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Hallo zusammen und vielen Dank, dass Ihr Euch die Zeit für dieses Interview nehmt! Starten wir doch einmal simpel, und zwar mit Eurem eigenen Einführungsvideo: Dort sprecht Ihr an, dass es sich bei BOOK OF ODDITY nicht nur um eine musikalische Band handelt, sondern dass sich hier Musik, Videos und eine sich entwickelnde Story miteinander vermischen. Wie seid Ihr denn auf diese Idee gekommen beziehungsweise warum war es Euch „zu wenig“, nur eine „progressive“ Band zu sein, die sich auf Musik konzentriert und musikalisch experimentiert?

Hallo Jonathan und auch dir vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für ein Interview mit uns. Das Einführungsvideo auf unserem YouTube-Kanal soll genau das sein: Eine Einführungshilfe in die merkwürdige Welt von „BOOK OF ODDITY – Echoes from the Void“, die verdeutlicht, dass innerhalb des Projektes mehrere Ebenen bedient werden. In erster Linie geht es aber darum, eine Geschichte zu erzählen. Musik ist daher eine von mehreren Facetten des Projektes und somit ist der Begriff ;Band‘ für uns nicht ganz passend. Der progressive Ansatz ist nicht nur die Musik, sondern vor allem das Gesamtkonzept, das aus Story, den beteiligten Charakteren, Bildern, Videos und eben auch Musik besteht.

Bleiben wir zunächst bei der Story: Ihr erzählt diese unter anderem mithilfe eurer Songtexte (den Anfang machte die Veröffentlichung „Ecstasy Of Souls“, das 2018 erschienen ist), die dann auch in Videoclips umgesetzt sind. Gibt es schon eine fix und fertige Story, für die Ihr nun nach und nach Musik und Videos erschafft? Oder schreibt Ihr die Story auch fortlaufend und wisst teilweise selbst noch nicht, wie sie sich entwickeln wird?

Die Story entwickelt sich fortlaufend und es kommen immer neue Ideen hinzu, so wie fehlende Puzzleteile, die wir dann nach und nach einsetzen. Es gibt allerdings eine feste Grundstruktur, sodass wir bestimmte Passagen bzw. Zeitabschnitte in Kapitel unterteilen, zu denen es dann jeweils auch eine entsprechende Veröffentlichung (wie bei den beiden letzten MCDs) gibt. Wir können allerdings schon verraten, dass das Ende von BOOK OF ODDITY bereits feststeht, es also ein konkretes Ziel gibt, das es zu erreichen gilt und auf dessen Weg noch viele leere Seiten innerhalb der Geschichte gefüllt werden müssen.

Um dabei zu bleiben: Was kommt denn eigentlich zuerst? Worte, Bilder, Musik? Oder ist das immer anders? Schreibt Ihr manchmal die Musik zu bestimmten Worten? Und kreiert manchmal Worte zu schon vorgebebener Musik? Oder ganz allgemein gefragt: In welchen Phasen entsteht Eure Kunst und wie läuft der kreative Prozess ab?

Es ist ein fortlaufender Prozess, wobei sich die einzelnen Medien gegenseitig ergänzen und inspirieren. Mal gibt es erst eine Textzeile, aus der dann Musik entsteht, dann wieder erst eine Melodie oder etwas ganz anderes, das uns inspiriert hat, dass die Fortschreibung der Geschichte beflügelt wird. Auch wenn die einzelnen Veröffentlichungen jeweils wichtige Meilensteine für uns markieren, so ist der kreative Prozess all dem übergeordnet und dabei stetig im Wandel. Hierdurch unterscheidet THE BOOK OF ODDITY sich vermutlich von vielen klassischen Bands, bei denen der kreative Prozess sich ja häufig auf Zusammenkünfte im Proberaum fokussiert. Eine Hauptquelle unserer kreativen Arbeit ist zum Beispiel auch unser E-Mail-Verkehr, mit Hilfe dessen wir unsere Gedanken und Ideen stetig austauschen. Dazu kommen viele weitere Notizen und Skizzen zu den unterschiedlichsten Themen, aus den sich dann am Ende jeweils ein Gesamtbild herauskristallisiert.

BoodOfOddity Cover

Die Story ist insofern besonders spannend, als regelmäßig Spannungsverhältnisse aufgebaut werden – zwischen Realität und Fiktion, zwischen dem inneren Empfinden und dem Ausdruck im Äußeren, zwischen den dunklen und hellen Aspekte der Psyche, die es beide braucht, um zu überleben, zwischen der scheinbar ewigen Wahrheit und dem Relativismus. Verstecken sich hinter Eurer Geschichte bestimmte psychologische oder philosophische Konzepte? Gibt es da Werke von anderen Künstler*innen und Denker*innen, die Euch besonders beeinflusst haben?

Zum ersten Teil der Frage: Schön, dass dir das auffällt und du hast bereits in der Frage unsere Intention treffend umrissen. Es geht zunächst genau um die Wechselwirkung von Realität und Fiktion, sowie innerer und äußerer Welt/Stimme. Zusätzlich kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu, in dem wir die Ebene des Erzählers/Künstlers zugleich als Bestandteil der ;fiktiven‘ Welt, in der die Geschichte BOOK OF ODDITY angelegt ist, sehen. Sprich: Fred Austin und TNGX existieren zum einen als Autoren der Geschichte und sind zugleich Teil der Geschichte, indem sie in der Band ODDITY gemeinsam mit den Hauptdarstellern/Charakteren Oddward und Anima auftreten. In der Band übernimmt Oddward den männlichen Leadgesang und Anima den weiblichen Part. Letztere sind – auch das sei hier erwähnt – zugleich die Schauspieler*innen in den Musikvideos.

Zum zweiten Teil der Frage: In künstlerischer Hinsicht ist vor allem David Lynch mit seinem Gesamtwerk und seiner speziellen Perspektive eine wichtige Inspiration für uns. Im Hinblick auf Denker*innen hat uns vor allem auch eine soziologische Perspektive beeinflusst, wie zum Beispiel die von Niklas Luhmann, was uns eröffnet hat, bestimmte Phänomene aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel zu betrachten und anschließend eine Sprache oder ein Medium zu finden, um diese Erfahrungen wiederum vermitteln zu können.

Für Eure neue Veröffentlichung „The Modernist“ habt Ihr das Setting der Geschichte spezifiziert und Euren Hauptcharakter Oddward in eine futuristische Stadt gebracht, in welcher sich ein Science-Fiction-Szenario entfaltet. Die großen Fragen des Lebens sind aber dieselben geblieben – wieso wolltet Ihr die Fragen gerade vor der Blaupause eines Science-Fiction-Szenarios bearbeiten? Was ermöglicht Euch dieses Szenario?

Das Science-Fiction-Setting haben wir vor allem deswegen gewählt, weil es dem Thema der Story am nächsten liegt. Es geht darum, dass Oddward sich in diesem Kapitel in den modernen Strukturen verirrt und zugleich versucht sich zu orientieren und anzupassen, was ihm tragischerweise nicht gelingt. Diese modernen Strukturen sollen durch das SciFi-Setting besonders deutlich zum Ausdruck gebracht werden und sich darin widerspiegeln. Insgesamt läuft die Geschichte des Buches allerdings nicht anhand der typischen, linearen Vorstellung von Zeit ab, sondern es gibt Sprünge (siehe erstes Video zu ,Pale Aurora And The Rhythm Of The Stars‘, wo Oddward auch als alter Mann auftritt) und auch Traumsequenzen, die die herkömmliche/lineare Erzählweise bewusst irritieren beziehungsweise verfremden. Wenn wir also bei dem Bild eines linearen Zeitstrahles bleiben wollen, ist es fraglich, ob „The Modernist“ in der Zukunft spielt oder bereits vergangen ist. Um deine Frage aufzugreifen: Was ermöglicht uns dieses Szenario? Alles ist möglich! Das ist natürlich zum einen etwas beängstigend, da es den Rahmen unserer vertrauten Wahrnehmung der Welt sprengt und zum anderen ermöglicht es uns aber grenzenlose Kreativität und einen Blick, der weit über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus geht.

Scheinbar gibt es von Sarah Cannon ein einigermaßen bekanntes Buch namens „Oddity“ – hat das irgendetwas mit Euch zu tun bzw. kennt Ihr dieses Werk?

Das Buch kennen wir leider nicht und hat uns dementsprechend auch nicht beeinflusst.

Machen wir einen Streifzug zu den Videos selbst und beginnen mit den technischen Aspekten: Wie kommen diese Videos zustande? Mithilfe welches Programms werden diese erschaffen und wer von Euch hat diesbezüglich eine spezifische Ausbildung, um dies überhaupt zu können?

Wir entwickeln und gestalten die Videos selbst, haben aber keine spezifische Ausbildung und benutzen verschiedene 3D-, Schnitt- und Bildbearbeitungsprogramme. Auch hier folgen wir wieder dem Ansatz, dass zunächst die Idee im Mittelpunkt steht und wir dann versuchen, diese so gut es geht umzusetzen, mit welchen Hilfsmittel und auf welche Art auch immer. Die Programme und alles sind also auch hier eher ein Mittel zum Zweck.

Folgt Ihr bezüglich der Ästhetik der Videos auch einer gewissen Theorie/Schule oder ist das mehr „einfach“ das, was Euch gefällt?

Wir wissen nicht genau, ob das eine Theorie/Schule ist, aber beeinflusst haben uns - wie gesagt - vor allem David Lynch und auch Stanley Kubrick. Das sind natürlich große Namen, mit ganz anderen Fähigkeiten und aber auch Mitteln. Das ist auch ein Grund, warum wir auf die Computertechnik zurückgreifen, da uns einfach kein Schauspielensemble mit Kameraleuten et cetera zu Verfügung steht und wir aber trotzdem unsere Ideen – so gut es geht – umsetzen wollen. Zudem ermöglicht es uns die 3D-Technik, die Ebenen von Realität und Fiktion miteinander verschmelzen zu lassen und alle Akteure mit all ihren unterschiedlichen Facetten zur Geltung zu bringen.

Wie wichtig, glaubt Ihr, sind diese Videos für Hörerinnen und Hörer? Kann man Eure Kunst auch einfach nur hören, ohne sich die Bilder anzuschauen? Wie viel geht da verloren bzw. wie viel wird vielleicht durch die eigene Phantasie auch gewonnen?

Man kann natürlich auch einfach nur die Musik hören. Aber wir bieten eben zusätzlich die Möglichkeit dank mithilfe von Story, Bildern und Videos tiefer in die Materie einzutauchen und sich darüber das Gesamtkonzept zu erschließen. Auch über die Liedtexte kann man bereits viele Aspekte der Story verstehen. Der große Zusammenhang ergibt sich allerdings erst aus dem Gesamtwerk. Die eigene Fantasie wollen wir auf jeden Fall eher anregen und fördern. Wenn das besser allein über die Musik funktioniert, können wir damit gut leben.

 

 

Ich habe mir recht lange überlegt, wie ich Eure Musik beschreiben soll, aber ich bin ziemlich gescheitert: am sinnvollsten erschiene mir noch, BOOK OF ODDITY als „futuristischen Progressive-Rock“ zu bezeichnen, aber das ist auch mehr oder weniger eine Leerformel. Habt Ihr für Euch selbst einen Begriff gefunden oder lehnt Ihr solche Kategorisierungen ab? Wenn ja, warum?

Das Thema ,Grenzen überschreiten‘ spiegelt sich bei uns auch in der eigenen Genrefindung wider und es passt uns ganz gut, dass wir nicht so ganz einfach eingeordnet werden können. Aus künstlerischer Sicht freuen wir uns also. Im Hinblick auf Marketing, Spotify-Playlists et cetera hat es uns das allerdings schon vor Probleme gestellt. Uns ist die kreative Freiheit allerdings wichtiger, sodass wir damit leben können, eher nicht den Mainstream, sondern eher eine Kunstnische zu bedienen. Ganz nach unserem Motto: „Odd music for odd people“.

Wie schon angesprochen, folgt die Musik ja oft der Story (beziehungsweise die Story der Musik), dementsprechend sind Eure Songs sehr dynamisch. Es kommen unterschiedliche Charaktere (Gesangsstimmen) vor, es wird manchmal richtig heavy und Bass-lastig, manchmal sehr ruhig und schon fast Ambient-haft, und manchmal spielt ihr viel mit elektronischen Soundcollagen. Wie kann man sich vorstellen, dass solche Songs entstehen (rein vom musikalischen Standpunkt aus)? Startet bei Euch alles mit einer Melodie, einem Riff, einem Pfeifen? Und wie entwickelt sich der Song dann weiter? Welche Elemente kommen dann dazu und werden wie zusammengesetzt? Wie macht Ihr das als Band? Digital oder analog in einem Proberaum?

Unsere Vorgehensweise hat sich mit der Zeit gewandelt. Die erste MCD „Ecstasy of Souls“ ist eher klassisch vom Gitarrenriff her aus komponiert und dann anschließend um die Soundcollagen und die anderen Stimmen und Instrumente erweitert worden. Unsere aktuelle MCD „The Modernist“ ist eher auf dem Notenblatt einem musiktheoretischen Aufbauplan folgend entstanden und parallel dazu haben wir die Story entwickelt. Diese Vorgehensweise hat es uns ermöglicht, bestimmte Stimmungen auch musikalisch direkt zu berücksichtigen, weswegen aus unserer Sicht „The Modernist“ eher einem Soundtrack gleicht als die MCD zuvor. Die nächste MCD zum dritten Kapitel ist bereits in Arbeit und hier gab es dann die Story sogar zuerst und daraufhin wird momentan die Musik komponiert. Im Proberaum treffen wir uns nicht, sondern 90 % der Arbeit findet digital statt. Wir stimmen uns regelmäßig persönlich oder telefonisch ab, tauschen Ideen aus und besprechen die nächsten Schritte und wie sich was umsetzen lässt.

Gibt es so etwas wie Vorbilder (Bands, Künstler*innen, Ensembles, et cetera), die für Euch musikalisch Leitsterne sind?

Wir sind sehr vielseitig orientiert und hören, sehen und lesen alle möglichen Genres. Konkrete Vorbilder haben wir für das Projekt nicht, aber es gibt bestimmte Bands, die uns auf die ein oder andere Weise besonders beeinflusst oder auch beeindruckt haben. Zu nennen sind hier vor allem Pink Floyd, The Young Gods, Nine Inch Nails, Tool, Enslaved, Opeth, Agalloch, Type O Negative, Anathema, Disillusion, Urfaust, Porcupine Tree…

Zur Band selbst: Es ist irgendwie immer nur die Rede von TNGX und Fred Austin, aber es gibt ja noch zwei weitere Bandmitglieder, wenn ich das Bandfoto richtig interpretiere. Wie sieht das Bandgefügte konkret aus?

Wie oben bereits erläutert gibt es zwei Ebenen: Auf der Erzählerebene und organisatorisch agieren Fred Austin und TNGX. Die Band ODDITY besteht allerdings momentan aus vier Mitgliedern, nämlich Oddward, Anima, Fred Austin und TNGX.

 

BookOfOddity Band

 

Um kurz dabei zu bleiben: Habt Ihr alle eine musikalische Grundausbildung oder habt Ihr Euch das alles selbst beigebracht? Und gilt das auch für das Produzieren von Musik? Wenn ich das richtig sehe, habt Ihr auch das Abmischen und das Mastern selbständig gemacht?

Es ist alles autodidaktisch und selfmade. Auch das Produzieren an sich ist ein stetiger Prozess, und wir lernen mit jeder Veröffentlichung dazu. Grundsätzlich haben wir für uns herausgefunden, dass wir am liebsten soweit es geht alles selbst machen und außerdem ist das ganze Projekt ein zeitintensives Unterfangen, das bei Fremdvergabe für uns auch unbezahlbar wäre. Und auch während des Produktionsprozesses kommen immer noch neue Ideen und Änderungen auf, sodass das Ganze wirklich im Wandel ist, was dann auch für Externe sicherlich schwer vermittelbar wäre.

Habt Ihr Euch bereits überlegt, ob Ihr auch live auftreten wollt? Ich kann dazu weder auf Eurer Homepage noch auf der Bandcamp-Seite etwas finden. Für Euch würde sich ja die neue Technologie der Hologramm-Auftritte anbieten. Habt Ihr darüber schon einmal nachgedacht?

Am Anfang haben wir über Live-Auftritte nachgedacht und uns dann dagegen entschieden. Uns ist die konzeptuelle Ausarbeitung des Projektes und auch das schnelle Voranschreiten im Hinblick auf Veröffentlichungen wichtiger als das Einstudieren von Live-Performances. Über Hologramme haben wir schon mal nachgedacht und ist vielleicht tatsächlich was für die Zukunft. Momentan haben wir allerdings erstmal noch andere Prioritäten, die wir zunächst versuchen wollen umzusetzen.

Zum Abschluss noch eine komplette Detailfrage, aber sie hat mich verwundert: Auf Bandcamp heißt Euer Song ,Low Level Lights‘, aber auf YouTube heißt der Song ,Low Level Fights‘ – Absicht oder ein Versehen?

‚Low Level Fights‘ ist ein Remix von ‚Low Level Lights‘. Es geht hier darum die ursprünglichen Kompositionen noch einmal aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Das passiert in der Regel ad-hoc und erscheint auch etwas fremdartig im musikalischen Gesamtzusammenhang. Daher haben wir – wie im Video zu sehen – die Figur des außerirdischen Beobachters gewählt, der die Musik ganz andersartig rezipiert. Damit schließt sich sozusagen auch der merkwürdige Kreis der Geschichte, die wiederum von außen noch einmal beobachtet wird und auf eine ganz eigentümliche Art interpretiert wird, was dann wieder Bestandteil der Geschichte wird.