NAPALM DEATH, MASTER, PRIMITIVE MAN, WORMROT @ BACKSTAGE, MÜNCHEN – 19.02.2024
Die “Campaign For Musical Destruction” Tour ist mittlerweile zur liebgewonnenen Tradition geworden. Sie war die letzte Tour des Rezensenten vor der Covid-Pause und konnte auch vor exakt einem Jahr unter gleichem Banner voll überzeugen. Damals mit Siberian Meatgrinder, Dropdead und Escuela Grind im Schlepptau, knickte Rampensau Barney Greenway gleich zweimal mit dem Fuß um, verletzte sich ernsthaft und sang ein paar weitere Stücke sitzend, ehe nichts mehr ging und er nach ein paar improvisierten Stücken der Restmannschaft mit Sanitätern von der Bühne gebracht wurde. Wir glauben, hoffen und wünschen das heute alles unfallfrei ablaufen wird. Was leider nicht klappte, war Biermächt mit in diesem Paket sehen zu können. Mit MASTER hat man aber einen, wenn auch stilistisch anderen, wirklich würdigen Ersatz gefunden.
Die Singapur-Posse WORMROT darf schon um 19Uhr auf die Bühnenbretter, was für so manchen berufstätigen nur schwer zu schaffen ist. Trotzdem ist das Backstage Werk zumindest schon gut halb gefüllt das die Combo mit voller Kraft losgrinded. Live-Verstärkung Gabriel Dubko (Ex-Impore) macht hinter dem Mikro den Eindruck als sei er schon ewig dabei und gibt eine sehr gute Figur ab. Das Publikum braucht gute 10 Minuten Anlaufzeit, bis es aufgetaut ist und sich der erste kleine Circle-Pit direkt vor der Bühne bildet. Die Band fährt einen für Grindcore recht originellen, abwechslungsreichen Stilmix mit eingestreuten Experimenten, bei dem speziell das facettenreiche Drumming besonders hervorzustechen weiß. Dieses ist so etwas wie Herz und Motor von WORMROT. Glücklicherweise ist der Sound von Anfang an druckvoll und gut abgemischt, so dass sich auch Feinheiten in der Performance gut heraushören lassen. Eine würdige, arschtighte 30-minütige Anheizershow!
An dem folgenden Trio aus Colorado schneiden sich die Geister und so mancher Ersthörer beißt sich am fiesen, völlig unkommerziellen Sludge/Noise/Doom-Gebräu dieser Amis die Zähne aus. PRIMITIVE MAN musizieren meist total in sich versunken und auf die Mitmusiker fixiert frei aus Herz und Seele. Publikumsinteraktion, Ansagen oder Blickkontakt mit den Zuschauern wird vermieden. Man lässt die spröde Musik für sich selbst sprechen. Dabei werden Gitarre als auch Bass mit jeder Menge Noise-Effekten aufgeladen, welche die Musiker je nach Bedarf auch immer wieder fleißig nachjustieren. Meistens bauen sich die Stücke mit wenigen Riffs monoton und hypnotisch auf, um sich dann mit immenser Wut und Wucht zu entladen. Bei diesen Parts drückt das Trio auch gelegentlich mal kurz aufs Gaspedal und übt sich in Celtic Frost Midtempo-Grooves. Die Vocals von Ethan alias ELM sind tiefe, finsterste Hass-Growls mit Charisma, welche ungeübten Ohren aber sicherlich Stirnrunzeln verursachen können. Was Riffs und Feeling betrifft, so kommen einem als Brüder im Geiste immer wieder die mittlerweile aufgelösten Haarp aus New Orleans in den Sinn, welche Phil Anselmo für sein Housecore Label im Rooster hatte. PRIMITIVE MAN stehen für misanthropische, nihilistische sowie hasserfüllte Musik, welche diese Negativität allerdings kathartisch entlädt und deshalb auf eine merkwürdige Art und Weise etwas sehr Positives hat. Ein ähnliches Reinigungsgefühl verspürt so mancher möglicherweise während und nach einer Neurosis-Show.
MASTER waren und sind stets ein Garant für schnörkellose, kurzweilige und packende Live-Shows. Dabei geht die Kult-Combo stets gleichermaßen bodenständig sowie professionell vor und das Publikum frisst ihnen vom ersten Ton an aus der Hand. Dem förderlich ist natürlich auch das Charisma des sehr zufrieden und ausgeglichenen Paul Speckmann. Der gute versprüht eine ganze Familienpackung an positiver Aggression und malträtiert seinen Bass mit viel Leidenschaft und Hingabe. Klampfer Alex, welcher auch seit 1991 mit den CZ-Thrashern Shaark aktiv ist bringt es, wenn man eine kurze Pause unterschlägt auch bereits auf über 20 Jahre Bandzugehörigkeit. Der Gitarrist ist im Vergleich zu Mr. Speckmann eher der Ruhepol, weiß sich aber mit ultra-tightem Spiel sowie rasiermesserscharfen geilen Soli richtig gut in Szene zu setzen. Peter hinter dem Drumkit hat ordentlich Pfeffer im Hintern und liefert eine sehr energetische, spielfreudige Performance ab. Die Setlist ist recht gut zwischen unsterblichen Kult-Klassikern und neueren Gassenhauern ausgewogen. Ebenso finden sich kurze punkige Eruptionen genauso sie groovige Midtempo-Walzen in der Show wieder. Besonders zu gefallen wissen heute `Pledge Of Allegiance`, die Klassiker `Judgement Of Will` und `Submerged In Sin`, das neuere Stück `Subdue The Politician` sowie der Kultsong `Re-Entry And Destruction` (Death Strike Cover). Ein amtlicher Totalabriss – Horns up!
Nun ist es aber endlich Zeit für die Grind-Großmeister und Urväter NAPALM DEATH. Man kann sich absolut nicht vorstellen, dass diese Herren irgendwann langsamer oder altersmilde werden. Auch wenn sich nicht leugnen lässt, dass die letzten Alben wunderbare Experimente in Richtung Atmosphärischer Düster-Songs enthalten. Selbst wenn diese Ausflüge nicht neu sind, wurden sie selten so gelungen auf einem Album eingefangen. Barney steht heute wieder und fetzt vom Opener `From Enslavement To Obliteration` an wie ein radioaktives Eichhörnchen kreuz und quer über die Bühne. Allerdings hat er sich knöchelhohe Wanderschuhe angezogen. Sicher ist sicher und die Zeit von lockeren Chucks nun wohl vorbei. Vermisst wird heute Urviech Shane Embury, der sich wohl eine kurze Auszeit nehmen wollte und musste. Mr. Greenway versichert uns in einer Ansage, dass er entgegen von Gerüchten noch am Leben und OK ist. Seine Vertretung Adam Clarkson musiziert nicht nur astrein und wie besessen, sondern wirklich auch mit mächtig Spaß in den Backen, was vom Publikum sehr wohlwollend aufgenommen wird. Ein guter Anlass seine Hauptband Corrupt Moral Altar zu checken, in der auch John Cooke aktiv ist. Dieser entwickelt sich immer mehr zum weiteren festen Bandmitglied und ist mittlerweile fast nicht mehr von NAPALM DEATH Live-Shows wegzudenken. Er zockt alte wie neue Songs souverän wie ein Schweizer Uhrwerk und seine Dreadlock-Mähne ist stets am Fliegen. Sehr erfreulich ist, dass sich heute gleich zu Beginn ein paar länger nicht gespielte Tracks im Set wiederfinden. So wird „Enemy Of The Music Business“ gleich mit zwei (`Taste The Poison`, `Next On The List`) und “Order The Leech” mit einem Stück (`Continuing War On Stupidity`) berücksichtigt. Danach folgt ein Block von Nummern der jüngeren Alben, während dessen Drummer Danny zeigen kann, wie viel mehr als nur Blastbeat und schnell zu spielen in ihm steckt. `Contagion` und `The Wolf I Feed` starten den ersten größeren Moshpit. Diesen hält die Crowd auch während den folgenden Tracks `Resentment Always Simmers` und `The Curse Of Being In Thrall` aufrecht. Anschließend gibt es mit `Amoral` eine atmosphärische Verschnaufpause, ehe die grobe Kelle und Oldschool ausgepackt wird. `It`s a M.A.N.S World! ` vertritt letztere, das großartige `Backlash Just Because` und `Fuck The Factoid` die andere Kategorie. Dann regnet es eine Stange Hits und Klassiker, welche das Energielevel vor der Bühne auf das absolute Tageshoch treiben. `Suffer The Children` wird mit einer amtlichen Toleranz-Ansage von Barney eingeläutet, `When All Is Said And Done` hat man wegen seiner Live-Intensität schmerzlich vermisst und der Übersong `Scum` zermalmt endgültig alles und jeden. Nach diesem Song-Trio klappt schon so manche Kinnlade nach unten. NAPALM DEATH legen gleich mit `M.A.D`, `Success?` und dem überlangen Epik-Opus `You Suffer` vom Debüt nach. `Metaphorically Screw You` wird als Anti-Unterdrückungs-Statement angesagt und bekommt mit `Dead` noch einen „proggigen“ Hassbatzen hinterher geschoben. Der Triumphzug auf allen Ebenen wird mit dem unvermeidlichen Dead Kennedys Cover `Nazi Punks Fuck Off` und `Instinct Of Survival` vom Debüt abgeschlossen. Und wenn man denkt da kommt nichts mehr, schiebt die Birmingham-Posse mal noch eben den Düster-Kriecher `Contemptuous` von „Utopia Banished“ als Betthupferl hinterher. Diese Band liefert nach wie vor Live als auch auf Konserve Lehrstunden in Extremer Musik mit Herz, Hirn und Seele ab. Respekt!
Text: Markus Wiesmüller
Fotos: Andreas Krispler