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KLASH OF THE RUHRPOTT Open Air

KREATOR – SODOM – DESTRUCTION – TANKARD

20.07.2024 Gelsenkirchen, Amphitheater im Nordsternpark


„...Zeche Nordstern, jawohl!“ Nicht wenige dürften beim Anblick des Fördertrurms eben dieser ehemaligen Arbeitsstätte an die Szene in der alten „Thrash-Altenessen“-Fernsehdoku mit und über KREATOR gedacht haben, als ein blutjunger Stoney - erster Manager und ewiger Roadie der Band – seine harte Arbeit als Bergmechaniker unter Tage schildert und nicht ohne hörbare Ironie den Namen der Grube in den Raum wirft.

 

Heute steht das Gemäuer mit dem eigentlichen Schacht und seinem charakteristischen Turm, dem Kohlebunker und den Leitungen zur alten Mischanlage der Kokerei auf der anderen Seite des Landschaftsparks Nordstern und wird im erweiterten Sinne Kulisse für ein Happening, das Metal Fans aus aller Welt zusammenströmen lässt. Um Musik zu hören, die es ohne den Ruhr-Bergbau und ohne harte Knochenarbeit nicht geben würde. Viele Fans nehmen für die Anreise mit voller Absicht den Umweg über Schloß Horst, um an dieser Zechen-Silhouette vorbei zum Amphitheater zu pligern.

Davor bilden sich lange Schlangen am Einlass und den vorgelagerten Futter- und Trinkbuden. Wer den Blick über die Anwesenden schweifen lässt, sieht Kutten, Nieten, Patronengürtel und teils uralte Tourshirts. Hier hat sich die alte Schule des Thrash Metal zusammengefunden und möchte sich selbst feiern... Warum? Weil sie es kann!

 

TANKARD

Pünktlich um 17 Uhr stürmen Gerre, Frank und Andy auf die Bretter und eröffnen den Reigen mit 'One Foot In The Grave'. Das führt dazu, dass sich das Amphitheater schnell füllt und trotz brütender Hitze von über 30 Grad entstehen kleine Moshpits und die Fans feiern ausgelassen. Mit 'The Morning After', 'Alien', 'Chemical Invasion' und 'Zombie Attack' feuern TANKARD auch gleich Songs in die Menge, die bestens zum Erscheinungsbild vieler Anwesenden passen: Die sehen aus, als wären sie gerade eben aus einem 1985er DeLorean DMC-12 gefallen. Ein paar Tracks jüngeren Datums haben die Frankfurter aber auch am Start: 'Ex-Fluencer' nutzt Gerre, um dem Publikum den neuen Schlagzeuger Gerd vorzustellen, der heute den zweiten Auftritt mit der Band absolviert und einen dermaßen souveränen Auftritt spielt, als wäre nie jemand anderes hinter dem Kit gesessen. Gerre wetzt, hüpft und tänzelt derweil wie ein Wahnsinniger über die Bühne und kommuniziert mit seiner unverwechselbaren Art aus feinfühliger Mimik und Gestik mit den Leuten in den ersten Reihen. 'Beerbarians' und das mit einem Seitenhieb auf die zuvor drei Abende in Gelsenkirchen gastierende Taylor Swift versehene 'A Girl Called Cerveza' folgt noch, bevor mit 'Empty Tankard' das Finale des Auftritts eingeläutet wird und Gerre den fulminanten Moshpit samt Mitgröhl-Part so bekommt, wie er ihn sich von den Fans gewünscht hat.

 

Ein großes Thema unter den Anwesenden sind die V.I.P.-Upgrades, die von KREATOR, SODOM und DESTRUCTION angeboten und vor dem regulärem Einlass abgehalten worden sind. Wobei die kostenpflichtige Besichtigung der Bühne für Spott sorgt. Nur TANKARD haben abgelehnt, daran teilzunehmen, was von vielen Fans sehr wohlwollend aufgenommen wird. Grundsätzlich gilt ja: Nachfrage bestimmt das Angebot und mit seinem sauer verdienten Geld kann ein jeder anfangen, was er möchte. Trotzdem können sich TANKARD die imaginäre Credibility-Medaille an die Jacken heften, weil sie beim V.I.P.-Gedöns nicht mitgemacht haben. Zwischen Zapfhahn und Wurstbude trifft man auf dem Gelände dann Szeneurgestein Peppi, aka Grave Violator von SODOM, schwätzt mit Merchandiser-Urvieh Zwini 'ne Runde schwäbisch, stolpert in der Meute vor der Bühne unvermittelt über Hate Squad Schreihals Burkhard Schmitt, latscht am Bierstand entweder dem Night Eternal-Sänger Ricardo, Warpath-Fronter Dirk oder den Darkness-Leuten auf die Füße. Die Lockenköpfe der Stöber-Brüder, auch als Eradicator bekannt, sind bei dieser Hitze bestimmt die Challenge, dafür jedoch von überall weithin sichtbar. Grundstimmung Familientreffen ist angesagt und so schleppt jeder ein leicht entrücktes Grinsen im Gesicht mit sich rum...

DESTRUCTION

'Curse The Gods', 'Invicible Force' und 'Nailed To The Cross' ist dann das Eröffnungstriple von DESTRUCTION. Eigentlich sollte das Garant für einen Triumphzug sein, irgendwas stimmt aber nicht am Sound der legendären Band. Wo man sich auf dem Gelände auch postiert, die Drums von Randy Black krachen zu laut in den Gesamtsound rein, was die kleinen und im Sound von DESTRUCTION so wichtigen Gitarrenmelodien und Schmiers spitze Schreie in den Hintergrund boxt. Aber da Stücke wie 'Mad Butcher' und 'Total Desaster' von diesen Stilelementen leben, schreit Schmier oft gegen den Schlagzeuger an und die Gitarren klingen meist kratzig. Da hilft es nicht viel, das das Gitarristen-Duo Damir Eskic und Martin Furia voller Spielfreude über die Bühne fegt und gerade Damir immer für etwas Posing zu haben ist. 'Life Without Sense' wird dann auch noch zum Stimmungskiller, weil sich die Gitarrenfraktion im Mittelteil der Nummer zu sehr auf Virtuosität konzentriert, statt den Song schlicht in Punkrock-Manier wegzuholzen. Die nagelneue Single 'No Kings – No Masters' und der Titeltrack vom letzten Album kommen hingegen selbst mit dominantem Drum-Sound sehr gut an. So bringt die Band mit 'Thrash Til Death' und 'Bestial Invasion' einen guten Gig über die Ziellinie, aber leider keine überragende Machtdemonstration. Einen Extrapunkt gibt's aber: Mit den handgeschweißten Mikroständern und in schwarzweiß und silber gehaltenen Bühnen-Artworks sind DESTRUCTION die Band mit den besten Stilleben des Tages.

 

Das Amphitheater hat sich mittlerweile gefüllt, im Gegensatz zum Rock Hard-Open Air achtet jedoch keiner darauf, dass die roten Treppen freigehalten werden, was es sehr schwer macht, zu den Toiletten zu gelangen, die wegen der Hitze auch als Wasserauffüllstationen für die aus diesem Grund zugelassenen Plastikflaschen dienen. Andy Brings hingegen trinkt kein Wasser. Der ehemalige SODOM-Klampfer erzählt allen die ihn fragen, gern etwas über die kommende „Tapping The Vein“-Box von SODOM, die bald erscheinen wird und an der Angelripper und er in der letzten Zeit intensiv gebastelt haben, steht für Fotos bereit und prostet mit seinem Bier den Leuten zu, die ihn erkennen.

SODOM

SODOM machen sich gerade bereit, die Bühne zu entern und als das 'Procession To Golgatha'-Intro direkt in 'S.O.D.O.M.' übergeht wird der Jubel laut, als Frank Blackfire, York Segatz und Tom Angelripper die Bühne betreten und einen einstündigen Abriss vom Zaun brechen. „Hallo Heimat!“ Die Aussage sagt alles. Die Band hat ein Heimspiel und Gelsenkirchen kriegt, was es verdient. 'Get What You Deserve'. Old-School as Fuck! ist der folgende Dreierpack mit der von Trommler Toni Merkel brutal runtergeprügelten Version von 'Nuclear Winter', einem böse von Tom gekläfften 'Blasphemer' und 'Sodomy And Lust', bei dem das ganze Halbrund zum ersten Mal die Fäuste in die Luft reißt und aus voller Kehle mitschreit. Tom genießt es sichtlich, eine zentrale Figur des Happenings zu sein und sucht immer wieder den Kontakt zu den Fans. Den Sonderbeifall bekommt er, als er Nationalitäten aufruft, von denen er weiß, das Fans von dort weder Geld noch Mühen gescheut haben um hier mit dabei zu sein. Einen komplett perfekten Moment erwischen SODOM, als 'Napalm In The Morning' vom „M 16“-Album angestimmt wird. Schon bei den ersten Tönen verwandelt sich das passend in ekelhaften Rottönen eingenebelte Gelände in ein wild eskalierendes Tollhaus, das sich beim direkt darauffolgenden, konsequent in ekelhaftem Orange eingefärbtem 'Agent Orange' auch nicht beruhigt. Es ist heiß, die Sonne sengt und so verteilen Angelripper und Blackfire in den Pausen zwischen den Songs Wasser an die, die gerade noch im Moshpit umhergetobt sind. Es folgen 'The Crippler' von „Tapping The Vein“, 'Remember The Fallen' und der Allzeit-Klassiker 'Bombenhagel'. Chris Witchhunter an einem solchen Tag nicht zu erwähnen, ist jedoch ein arges Versäumnis. Wie sehr der Bergbau diese Region geprägt hat, erkennt man daran, wie viele Leute das 'Steigerlied' mitsingen, das gespielt wird, während SODOM noch alle Setlistenzettel, Drumsticks und Plektern an die Fans verteilen, die sie auf der Bühne finden können. Gerüchten zufolge sogar welche, die DESTRUCTION dort liegen haben lassen.

 

Genauestens verfolgt wird der Auftritt von Thomas Such und seiner Band von hinter der Bühne jedoch von einem gewissen Miland Petrozza. Die Rivalität der beiden aus den Anfangstagen der Bands ist zwar längst begraben. Und doch ist an diesem historischen Tag der Blick auf die jeweils andere Band etwas geschärfter als sonst.

Die Info macht die Runde, von Essen her kommend könnte ein Gewitter aufziehen. Damit sind jedoch leider nicht nur KREATOR gemeint, auch der Wettergott will an diesem Abend noch ein Wörtchen mitreden...

KREATOR

Die Bühne ist verhüllt, links und rechts sieht man die KREATOR-Dämonen als Aufblasfiguren. Es erklingt das 'Sergio Corbucci Is Dead'-Intro, der Vorhang fällt und die Band wütet mit 'Hate Über Alles' los. Vom ersten Moment an versprühen Frédéric Leclercq, Mille Petrozza, Sami Yli-Sirniö und der hinter einem gigantischen Drumkit thronende Ventor eine Spielfreude, die man so nicht erwartet hat. In den Augen der Musiker spiegelt sich gerade nicht nur das Feuer der Showeffekte, die die Band abbrennt, sondern auch das Feuer, das vor so vielen Jahren hier aus jugendlicher Wut entbrannt ist. Klingt super-kitschig, ist aber der Eindruck, den alle Leute mit nach Hause genommen haben. Direkt danach folgt das tausendmal gehörte 'Phobia', das aber mit interessanten Farben und Lichteinstellungen cool ausgeleuchtet ist. Es gibt bei Konzerten was, was mich übelst aufregt, nicht nur bei KREATOR, aber eben auch da: Die fuckin' Unsitte, Klassiker-Songs kurz anzuspielen und dann zu einem komplett anderen Track zu wechseln. Geschehen mit 'Coma Of Souls', aus dem dann 'Enemy Of God' wird. Warum? So etwas hat eine Kult-Band wie KREATOR eigentlich nicht nötig. Vom Rhein-Herne Kanal her ziehen schwarze Wolken über das Gelände, der Wind frischt auf, es beginnt zu regnen. '666 – World Divided' und 'Hordes Of Chaos (A Necrologue For The Elite)' folgen, der Wind ist eine Herausforderung für die Pyro- und Feuershow, mehr als einmal kommen die Flammen Milles Gesicht gefährlich nah. Aber das und der stärker werdende Regen scheint Teile des Publikums und die Band nur anzustacheln, die Spielfreude der Musiker ist ungebrochen und klatschnasse Zuschauer toben umso wilder durch den Moshpit, eskalieren in von Mille geforderten Wall Of Death-Spielereien und freuen sich, als nach 'Satan Is Real' mit einer Dia-Show zu Instrumentalklängen und dem 'Choir Of The Damned'-Intro der Old-School-Set beginnt. Die Leinwand fällt, hinter Ventor ist das „Pleasure To Kill“-Design zu sehen und die Band holzt 'Ripping Corpse' herunter, gefolgt von 'Riot Of Violence', wie immer gesungen von Ventor. Regen prasselt vom Himmel, Mille will gerade Luft holen um 'Extreme Aggressions' anzukündigen, da kommen hektisch gestikulierte Kommandos vom Bühnenrand: Abbruch wegen Unwetter! In den Gesichtern von Musikern und Fans Unglauben! Ein Gewitter mit Starkregen zieht über den Ort des Geschehens.

Ein sichtlich zwischen Enttäuschung und Wut schwankender Mille will eigentlich weiterspielen, diskutiert kurz mit Leuten am Bühnenrand und schlurft dann vom Wettergott geschlagen zum Mikrofon, um den Leuten den finalen Abbruch mitzuteilen, wo er erst auf Unverständnis stößt, weil der Regen sogar fast aufgehört hat. Die Enttäuschung bei den vielen Fans lässt sich auch mit allen Plektern und Drumsticks der Welt nicht lindern, die von KREATOR in die immer noch ungläubig dreinblickende, durchnässte Meute geworfen werden.

Ein legendärer Abend endet mit imposanten Blitzen, die über den Nachthimmel von Essen und Gelsenkirchen zucken, krassen Donnerschlägen und einem heftigen Regenguss, der auf all die niedergeht, die das Gelände verlassen.

 

Trotzdem ein unvergesslicher Tag. Der Rock n' Roll wärmt die Seele, das ist so! Viel von dieser Wärme konnte man vom Klash Of The Ruhrpott im Herzen mitnehmen. Es ist schon eine Ehre, Teil dieser Thrash Metal-Szene sein zu dürfen!

 

Wedekind Gisbertson