CAVALERA CONSPIRACY, INSTRUCTOR @ M.A.U.-Club, Rostock - 21.06
Camilla ist aus Brasilien, studiert in Berlin und liebt es in Deutschland zu Konzerten zu fahren. Mit ihrem Freund ist sie in Neustrelitz in den Zug gestiegen, sein Sepultura-Shirt macht gleich klar, wohin die Reise geht. Schnell entspinnt sich eine lustige Unterhaltung über Unterschiede und Erlebnisse auf Metal-Konzerten, die Cavaleras und ihre Bands, Gigs aus lang vergangenen Jugendtagen und die Frage, was man über die heutigen Sepultura denkt. Ein Fan aus Dresden gesellt sich dazu... Im Handumdrehen ist die Zeit verstrichen, wir erreichen Rostock.
Nach einem kurzen Walk durch die Hansestadt und am Hafen entlang, trifft man vor dem Club auf Gitarrist Travis und Bassist Igor Amadeus Cavalera die sich mit der Crew um das Ausladen des Anhängers kümmern. Die Hand voll Fans, die sich zu früher Stunde am Club sehen lassen bekommen ihre mitgebrachten Platten signiert, man wechselt einige Worte mit Iggor und Max und selbst seine Ehefrau Gloria darf mit auf Selfies und muss das ein oder andere Autogramm schreiben. Kurz vor Soundcheck kreuzt die Vorband aus Rostock auch noch auf.
Die nennen sich INSTRUCTOR und werfen pünktlich um 19 Uhr ihren neuen Trommler Phillipp ins kalte Wasser: Sein erster Gig, der ohnehin recht kleine Laden ist mit knapp 300 Leuten gut gefüllt als die Truppe mit 'Death Valley' loslegt und eine schnittige Mischung aus Thrash alter Schule, Death Metal und Thrash modernerer Gangart anbietet. Trifft den Nerv der anwesenden Leute und so wird es im Verlauf des Auftritts immer enger vor der Bühne und der Wunsch von Sänger und Gitarrist Jonas, die Zuschauer möchten doch Bewegung in die Songs bringen, wird bei 'Desert Wrath' und 'Ocean Skies' prompt erfüllt. Die Band ist sichtlich happy und Trommler Phillipp hat seine Kaltwassertaufe bestanden.
Wasser ist ein gutes Stichwort, draussen tropft das Zeug vom Himmel, drinnen von der Decke. Im unbelüfteten M.A.U. herrscht Tropenklima, das lässt alle und jeden klebrig werden, egal ob mit Bewegung oder ohne. Inzwischen etwa 550 Leute drängen mit lautstarkem Applaus nach vorne, als Iggor hinter sein Schlagzeug klettert und Travis, Max und Igor Amadeus nach dem Intro die Bühne stürmen um mit 'Bestial Devastation', 'Antichrist' und 'Necromancer' gleich ein fulminantes schwarzmetallisches Triple ins alte Gemäuer feuern. Der Set ist auf dieser Tour in verschiedene Blöcke unterteilt und CAVALERA CONSPIRACY arbeiten sich chronologisch durch die Geschichte von Sepultura. Nach dem Carmina Burana-Intro kommt „Morbid Visions“ an die Reihe, direkt nach dem Titelsong folgt eine schroff gezockte, von Max leidenschaftlich in das Mikro gebellte Variante von 'Mayhem' und ein garstig in den dunkelrot angeleuchteten Nebel geschrienes 'Crucifixion'. An die folgende Celtic Frost Verehrung 'Funeral Rites' hat man heute noch eine kleine, nach Black Sabbath tönende Jamsession angefügt. Die vielen Übergänge und Intros sind zu Beginn dieser Tournee noch nicht optimal aufeinander abgestimmt und so wird der Flow des Konzertes dadurch leider eher immer wieder ein wenig gestoppt. Der Jubel wird dann allerdings extrem laut, als Max seine nietenbewehrten Arme fast wie zur Beschwörung in Richtung Publikum hebt, die Bühne daraufhin in bläulich oranges Licht getaucht wird und das schrille „Schizophrenia“-Intro ertönt, welches nahtlos in das mächtige Anfangsriff 'From The Past Comes The Storms' übergeht, den kantigen VoiVod-Punk-Kracher 'Sceptic Schizo' direkt hintendran noch runtergerissen. Absolute Aktivposten auf der Bühne sind Gitarrist Travis und Max' Sohn Igor Amadeus, der keine sieben Sekunden stillstehen kann und headbangt und mit seinem Instrument rumfuchtelt, dass es eine wahre Freude ist. Ältere Semester, die zahlreich anwesend sind, erinnert Igor Amadeus an den jungen, wilden Max Cavalera und wie er Anfang der Neunziger über die Bühnen der Welt gesprungen und getobt ist. In wie vielen Besuchern mit heute lichter werdenden Hinterköpfen weckt der agile Jungspund wohl einen Moment der Erinnerung an eigene wilde Tage?
Aber: Nein! Früher war nicht alles besser! Was CAVALERA CONSPIRACY im Jahr 2024, also fast vierzig Jahre nach dem ersten Erscheinen von „Schizophrenia“ aus den alten Songs rausholen, ist schlicht grandios, trotz des etwas krachigen Sounds in dem kleinen Laden. Das zeigt sich ein paar Minuten später noch eindrucksvoller, als auf das Instrumental 'Inquisition Symphony' dann 'Escape To The Void' folgt, sich zum gnadenlosen Thrash-Nackenbrecher aufbäumt, all der Sperrigkeit zum Trotz, die diesem Stück innewohnt. Der vorübergehende Schluss bis zum Zugabenblock bedeutet, der Laden ächzt und ringt kurz nach Luft, bevor die Band wieder auf die Bühne steigt, Max ein langgezogenes „Chaaaooos!“ ins Mikro krakeelt und die Musiker mit 'Refuse/Resist' plus einer kurzen Version von 'Territory' den Laden nochmals zum Siedepunkt treiben, der bei allen die letzten Kräfte mobilisiert, die in einem Moshpit wegeskaliert werden. Genau diese Atmosphäre braucht der ewige Kultsong 'Troops Of Doom', um richtig zu wirken, bevor CAVALERA CONSPIRACY im Finale sogar noch 'Dead Embryonic Cells' unterbringen und 'Rest In Pain' runterholzen. Dann verdunkeln sich die dunkelroten Lichter, Leute drängen nach draußen, der frischen Luft entgegen. Es bleibt Kondenswasser an Rohren und Traversen unter der Decke. Sommersonnwende in Laut!
Wedekind Gisbertson