Alle Fotos von Andreas Krispler.
Freitag, 26. Mai 2023:
Die Rolle der ersten Band des Festivals ist traditionell besonders. Dieses Jahr darf ab 15 Uhr Schweden den Anfang machen. SCREAMER sind dem Traditions-Metalhead natürlich ein Begriff und zocken puren 80s-Heavy-Metal der klassischen Schule. Zusammen mit Combos wie ENFORCER zählen sie zur Speerspitze der neuen Generation an Oldschool-Bands, die es wissen wollen und mindestens das Potential haben, den alten Helden nahe zu kommen. Die Spielfreude als auch das sympathisch-bodenständige Auftreten der Band sorgen dafür, dass hier schnell Stimmung aufkommt und die bereits anwesenden bei Sonne satt gleich mal ideal eingegroovt werden. Bei `Slavegrinder` ist das Publikum bereits geknackt und besondere Stimmung kommt beim Killer-Song `Demon Rider` als auch der Bandhymne `Screamer` zum Ende auf.
Die folgenden NRWler MOTORJESUS haben nur ein Stündchen Anreise und werde im Amphitheater heute sobald sie die Bühne entern als Lokalmatadore gefeiert. Und das zurecht! Auch wenn sie von vielen als Hard-/Stoner-Rock abgeheftet werden, findet sich bezüglich Sound und Attitude auch eine Menge Metal im Grundsound der Band. Ein Freund des Verfassers dieser Zeilen merkt zurecht an, dass MOTORJESUS Bierdurst verursachen. Daher ist es praktisch, dass nette Menschen mit Bierrucksack unterwegs sind und die Leute ideal jederzeit mit kaltem Gerstensaft-Refill versorgen. Selbst wer die sympathische Truppe auf Konserve weniger zwingend findet und nicht alle Platten im Schrank hat, geht heute zu Granaten wie `Fist Of The Dragon` oder `Hellbreaker` völlig steil. MOTORJESUS sind eben stets eine bockstarke Live-Band. Sänger Chris merkt an und entschuldigt sich fast, wegen Erkältung heute nicht voll in Form zu sein. Sehr viel davon ist aber eigentlich nicht zu hören. `The Howling` und `A New War` sorgen dann sogar für etwas mehr Bewegung im Pit. Das bei letztem dann sogar Jesus höchstpersönlich auf die Bühne kommt und Bierdosen ins Publikum wirft, passt hier dann einfach perfekt ins Bild. Geile Show!
Sabina Classen will solange sie noch voll im Saft ist und musikalisch etwas zu sagen hat, mit Würde abtreten. Eine konsequente Entscheidung, von denen sich andere Mal eine Scheibe abschneiden könnten. Insofern sind die neue Platte „Invisible Queen“ als auch die angesetzte Abschiedstour als Schwanengesang zu sehen. Auch wenn es HOLY MOSES nie geschafft haben zum Status der „BIG 4“ des deutschen Thrash aufzuschließen, werden sie in der Szene durch die Bank geschätzt und respektiert. Dies zeigt heute auch die euphorische Resonanz, mit der die Aachener empfangen werden. In den 43 Jahren Bandkarriere (davon sechs Jahre Pause) haben sich natürlich einige Gassenhauer im Backkatalog angesammelt. Der Schwerpunkt der heutigen Setlist liegt auf den Klassiker-Alben zwischen 1987 bis 1991 – garniert mit Stücken von den letzten zwei Platten. HOLY MOSES steigt mit etwas matschigem Sound ein, der sich dann während des zweiten Stücks `Panic` aber glücklicherweise einpegelt. `Near Dark` vom Klassiker „The New Machine Of Liechtenstein“ erstrahlt dadurch in vollem Glanz. Beim Titelsong der neuen Scheibe fällt die Stimmung nicht ab, da die Band das Material herrlich räudig-rotzig performt. Sabina und ihre Mitstreiter haben nicht nur während dem Schmankerl `Nothing For My Mum` oder dem Smasher `World Chaos` tierisch Bock und strahlen dies auch aus. Das Abschluss Duo von „Finished With The Dogs“ haut dann voll rein. Zum Titelstück gibt sich dann sogar Ex-Mitglied Andy Classen die Ehre. Er zockt die Nummer mit viel Spirit und göbelt herrlich kultig im Duett mit Sabina ins Mikro. `Current Of Death` macht den Deckel auf eine kurzweilige, energetische Show.
Kalifornischen Gourmet-Metal servieren dann anschließend die seit 1979 aktiven Urgesteine VICIOUS RUMORS. Das Amphitheater war schon zuvor sehr gut gefüllt, nun hat man aber den Eindruck das sich nichts und niemand diesen Gig entgehen lassen möchte. Als Ernie von Krachmucker-TV noch in sehr humorvoller Art und Weise unter Applaus sein neues Buch „Metal Manifest“ vorstellt, stehen die Amis bereits auf der Bühne und haben `On The Edge` und `Abandoned` zum Besten gegeben. Während dem großartigen `You Only Live Twice` drücken sich immer noch Leute direkt vor die Bühne. Die Stimmung ist großartig, und es ist wahrlich schwer, sich dem Charisma und der Bühnenpräsenz des Bandgründers Geoff Thorpe an der Klampfe und Schlagzeuger Larry Howe, welcher auch bereits Mitte der 80s in der Band war, zu entziehen. Die neuen Mitmusiker lassen ebenfalls nichts anbrennen, performen astrein und legen eine Menge Spielfreude in die Show. Insbesondere Sänger Ronny Munroe, welcher erst seit 2022 Teil von VICIOUS RUMORS ist, weiß sich hier besonders positiv hervorzutun. Nicht nur Altstücke wie `Digital Dictator`, `Minute To Kill` oder `Ship Of Fools` singt er großartig. `Strange Behaviour` gibt es im Publikum nicht auszumachen. Dafür jede Menge Pommesgabeln, zufrieden grinsende Kutten-Metaller und mitsingende bzw. bangende Mosher vor der Bühne. Was einige vergessen zu haben scheinen ist, wie viele Killer-Riffs und großartige Songs diese Combo im Backkatalog hat. Die heutige Oldschool-Setlist stellt einen idealen Querschnitt durch die ersten vier Alben dar. Zum Ende der Show sorgen `Hellraiser`, `March Or Die` sowie der Hit `Don`t Wait For Me` nochmal für die höchsten Endorphin-Pegel vor der Bühne. Das bisherige Tageshighlight!
Nicht nur weil Todesblei dieses Wochenende im Line-up rar gesäht ist, kocht die Vorfreude im Nordsternpark nun. Schließlich steht gleich Birminghams bester Death-Metal-Export auf der Bühne. BENEDICTION sind nicht totzukriegen und haben nach längerer Album- und Konzert-Pause 2020 rund um die Pandemie mit „Scriptures“ ein mächtig geiles Album rausgehauen. Da man zu dieser Zeit kaum Gigs spielen konnte, werden derzeit gefühlt so viele Konzerte wie möglich gezockt. Und diese werden von den Briten mit viel Energie, Leidenschaft und Spaß in den Backen untereinander als auch mit dem Publikum regelrecht zelebriert. Wie Asphyx werden BENEDICTION gerne in die Sparte „Kumpel-Death-Metal“ einsortiert. Und was soll schlecht daran sein? Insbesondere Gitarrist Darren Brooks sprüht nur so vor Charisma, positiver Aura und Spaß. Seine unvergleichlichen Grimassen sowie die Art und Weise, wie er über die Bühne fetzt und bangend spielt ist sehr charakteristisch. Das gleiche könnte man für Rampensau, Witzbold und Front-Hünen David Ingram sagen. Er hat den Mob vom Eröffnungs-Duo `Divine Ultimatum` und `Iterations Of I` bestens im Griff und immer einen lockeren Spruch oder ein Witzchen auf Lager. Gelsenkirchen frisst ihm regelrecht aus der Hand. Mittlerweile sind BENEDICTION auch eingegroovt wie zu besten Zeiten. Arschtight und gleichzeitig rotzig-brachial erstrahlen so Perlen wie `Visions In The Shroud`, `Unfound Mortality` oder der Übersong `Nightfear` in vollem Glanz. Am wildesten wird der Moshpit bis Dato, als die Engländer `The Grotesque` raushauen. Banger direkt vor der Bühne als auch auf den Treppen wohin das Auge blickt. `Foetus Noose` von der „Dark Is The Season“ EP bekamen Fans bis letztes Jahr nur selten zu hören. Kleine Überraschung! Last But not least ist schön, dass die arschcoole „Grind Bastard“ Platte nicht ausgespart wird und nach `Agnoised` in der Hälfte des Sets auch noch `I` im letzten Viertel abgefeuert wird. `Rabid Carnality` macht den Deckel auf eine makellose Death-Metal-Show!
Sehr viele Bands könnten nach einer BENEDICTION-Show einpacken. Tom G. Warrior und seine TRIPTYKON-Mitstreiter müssen hier allerdings keineswegs fürchten. Die als „early Celtic Frost Show“ angekündigte Performance wird mit Spannung erwartet. Genauso wie die zuvorige Hellhammer-Sause, stellt diese für die Fans etwas ganz Besonderes dar. Es beginnt allmählich dunkel zu werden als die Band auf die Bühne geht. Die dunkle, stimmungsvolle Lightshow als auch der drückende, glasklare aber nicht zu saubere Sound sind vom Start-Doppel `Into The Crypt Of Rays` und `Visions Of Mortality` an wirklich perfekt. Insbesondere die Gitarren drücken herrlich brutal und TRIPTYKON wirken top eingespielt wie eine gut geölte Maschine. Neben Tom, welcher nicht nur `Dethroned Emperor` und `Morbid Tales` mit jeder Menge Leidenschaft und Power singt, ist und bleibt ein Blickfang, Saitenhexer V. Santura bei der Arbeit zuzusehen. Der gute hat kürzlich seine alte Hauptband Dark Fortress zu Grabe getragen und soliert und rifft sich wie eine echte Koryphäe durch das Set. Respekt! Die anderen Mitmusiker lassen ebenfalls nichts anbrennen, weswegen sich spätestens zu `Procreation Of The Wicked` gestandene Männer und Familienväter emotional in den Armen liegen, die Textzeilen mitshouten und der ein oder andere sogar mal eine Träne der Rührung verdrückt. Die Stimmung und Atmosphäre ist an diesem Abend wirklich magisch einzigartig. `Return To The Eve` und `Nocturnal Fear` machen den Deckel auf das erste Kapitel der Performance. Tom gibt sich mit Ansagen sparsam und lässt primär die Musik mit Klassikern der Marke `Circle Of The Tyrants`, `Visual Aggression` oder `Suicidal Winds` sprechen. Danach folgt die Überleitung zum „To Mega Therion“-Werk. An dieser Stelle ist anzumerken, dass TRIPTYKON die Gitarren für die Klassiker heute nicht so tief wie zu „Monotheist“- oder Anfangs-Zeiten der Band gestimmt haben. Außerdem werden die einzelnen Tracks nicht wie manchmal in der Vergangenheit im Lava-Gang, sondern näher am Original-Studio-Tempo performt. Dies kommt unwiderstehlichen Klassikern wie `The Usurper`, `Jewel Throne` oder `Dawn Of Megiddo` zugute. Ein kurzes Innehalten, ein Aufsaugen der Wahnsinns-Stimmung im Amphitheater, ehe Band und Publikum zum Ende während `(Beyond The) North Winds` und `Necromantical Screams` nochmals völlig aus sich herausgehen und das Energielevel förmlich überkocht. Einige Fans sind nach dieser Machtdemonstration dann zunächst sprachlos und lassen diesen Killer-Gig bei einem Schlaftrunk erst mal sacken. Eine bessere Headliner-Show hätte der erste Tag nicht bieten können. Zum Niederknien!
Samstag, 27. Mai 2023:
Traditionellen Heavy Metal der Marke alte Priest/Saxon bieten zu früher Stunde die Koblenzer MIDNIGHT RIDER. Da die LEGACY-Delegation eingangs noch etwas mit Katerfrühstück und dem ersten Konterbier des Tages beschäftigt ist, greifen wir auf vertraute Augen- und Ohren-Zeugen zurück. Wegen einer Beinverletzung spielt Klampfer Blumi heute im Sitzen. Ansonsten soll die Band durchweg positive Vibes versprüht und neben der Bandhymne, mit `Heroes And Speedfreaks` sowie `DDemons` zwei bockstarke Songperlen im Set gehabt haben.
Die Hessen KNIFE haben sich bei der Underground-Metal-Basis mit ihrem angeschwärzten, auch mal punkigen Speed-Metal natürlich längst einen Namen und Respekt erspielt. Die Band hat und macht Bierdurst! Energie und Attitude stimmen, weswegen dieser Gig ideal dafür geeignet ist, sich den Todeskater aus den müden Knochen treiben zu lassen. `Inside The Electric Church` und `Black Leather Hounds` im Doppelback mörsern gleich mal ordentlich los. Geil! Zwischen dem `Demon Wind` und `White Witch Black Death` gibt es auch mal klare Ansagen an die Adresse von Kriegstreibern sowie anderen beschissenen Auswüchsen unserer heutigen Gesellschaft. Attitüde, Energie und Fannähe stimmen bei KNIFE einfach, weswegen sie heute verdientermaßen ordentlich abräumen und wirklich sehr gut beim Publikum ankommen. Ein kleines Sahnehäubchen gibt es zum Schluss noch mit dem coolen Bathory-Cover `Sacrifice`. Horns up!
Danach wird die geplante Running Order etwas durcheinandergewirbelt, da NESTOR noch am Flughafen feststecken und Discharge ja hochkarätig durch the mighty VOIVOD ersetzt wurden. Dies hat zur Folge, dass nun DEPRESSIVE AGE etwas früher auf die Bühnenbretter müssen. Die 1988 formierten Berliner spielen, nach Wissensstand des Rezensenten, den ersten Gig seit 1997 überhaupt und werden von vielen mit Freude und Spannung erwartet. Die Urmitglieder Jochen Klemp (Gitarre) und Jan Lubitzki (Gesang) haben neue Musiker um sich geschart, welche gemeinsam mit ihnen vom Opener `Lying In Wait` an mehr als amtlich Gas geben. Daher stimmen wir mit `We Hate Happy Ends` in Folge heute nicht überein. Besonders hervorzutun wissen sich heute Marcus Marth (Postmortem, Klampfe) als auch die wie besessen den Bass malträtierende und ständig über die Bühne fetzende Rampensau Mario Prause. Kilometergeld würde sich bei dem Guten rentieren. Warum Zweitsänger Brutus heute nicht mit von der Partie ist, bleibt aktuell unbekannt. Vertreten wird dieser von Postmortem-Fronter Matthias Schütz, welcher heute für das Beisteuern der brutalen Shout-Vocals verantwortlich ist. Mit `Berlin` als auch `World In Veins` von der unterbewerteten „Symbols Of The Blue Times“-Platte gibt es dann zwei besondere Schmankerl zu hören. Danach wird auch die spätere Bandphase zelebriert, indem die ersten beiden Tracks vom dem 1996er-Output „Electric Scum“ herrlich tight und energetisch dargeboten werden. Herr Lubitzki unterstreicht seine sympathische Kauzigkeit heute auch mit selbstgenähtem Outfit und extravaganten Damen-Lederschnürschuhen. Sein Gesang verschafft den Diehard-Fans heute nicht nur während eines nicht identifizierbaren Songs, welcher als `War` angekündigt verstanden wurde, mächtig Gänsehaut. Ein neuer Track? `Innocent In Detention` spannt dann nochmals den Bogen zum Debüt, ehe dann mit dem mächtig brutal performten, von Postmortem-Matthias mit Shouts garnierten `Eternal Twins` der Deckel auf eine wirklich denkwürdige Show gemacht wird. Brutz&Brakel Marcus divt zum Abschied noch mal schnell incl. Klampfe ins Publikum. Schön, dass ihr wieder zurück seid, Männer!
Da NESTOR immer noch nicht da ist, werden als nächstes die für Discharge eingesprungenen VOIVOD auf die Bühne geschickt. Eigentlich hätten die Kanadier heute in Ulm spielen sollen, zogen dann aber doch diesen Festival-Gig vor. Auch wenn damit die D-Beat-Fraktion nicht auf dem diesjährigen Rock Hard Festival vertreten ist, finden sich anhand dieses hochkarätigen Ersatzes wirklich sehr wenig unzufriedene Nörgler vor der Bühne ein. Satte 42 Jahre existiert diese Ausnahmeband bereits. Der Blick auf den Backkatalog, welcher stattliche 15 jeweils völlig unterschiedlich klingende Alben vorweisen kann, ist wahrlich mächtig. Hauptbasis der heutigen Show ist ein Auszug der Neueinspielungs-Werkschau „Morgöth Tales“, welche am 21. Juli erscheinen wird. Los geht’s mit dem Klassiker `Killing Technology`, gefolgt vom neueren Stück `Obsolete Beings`. VOIVOD sind kollektiv ständig in Bewegung, strahlen Spielfreude, Bock und Energie pur aus, was sich sofort aufs Publikum überträgt. Der tosende Applaus in der ersten Spielpause spricht für sich. Der Soundmann scheint es ebenfalls sehr gut mit der Band zu meinen, da sie zusammen mit TRIPTYKON den bisher klarsten, drückendsten und dynamischen Sound des bisherigen Festivals hat. `Macrosolutions To Megaproblem` von „Dimenson Hatröss“ tönt heute fast magisch, was auch mit daran liegt wie göttlich der häufig zufrieden grinsende und fleißig bangende Chewy seine Solo-Salven ins Publikum abfeuert. Das Stück hatten VOIVOD seit guten 10 Jahren nicht mehr in der Setlist. `Rise` von der ultra-fiesen „Phobos“ Platte haben die Fans sogar seit 1999 nicht mehr live gehört. Mega-Geil! Mit `Rebel Robot` findet sich dann gleich die dritte Rarität in der Aufzählung. Von Snake viel intensiver als in der Studio-Version gesungen. Der Sänger glänzt wie gewohnt mit unglaublichem Charisma sowie dem perfekten Spagat an Selbstbewusstsein und Bodenständigkeit. Er ist eben, wie auch Drummer Away ein Original und eine echte Koryphäe im Metal Kosmos. Michael wird am 30.05 kurz nach dem Festival-Wochenende 60 und ist wirklich gut gealtert. Oldschoolig wird es anschließend mit `Thrashing Rage`, welches Live wesentlich brutaler als auf Konserve rüberkommt. Hier kann sich Rocky am Tieftöner mit herrlich rotzigem, fiesen Bass-Spiel hervortun. Der gute Mann war ohnehin ein totaler Glücksgriff, welcher die Fußstapfen von Urmitglied Blacky mehr als gut ausfüllen kann. Natürlich wird auch der letzte Longplayer „Synchro Anarchy“ mitberücksichtigt. Heute in Form von `Holographic Thinking` (ein klein wenig unspektakulärer) sowie `Sleeves Off`, was im Gegenzug noch mal für einen richtigen Stimmungshöhepunkt im Pit sorgt. Als dann am Ende noch die alte Bandhymne `Voivod` gespielt wird, gibt es bei Band und Publikum überhaupt kein Halten mehr. Euphorie und positive Aggression pur. Gefühlt sind den Chorus des Übersongs kollektiv fast das ganze Amphitheater mit. Diese Band ist live ungebrochen eine MACHT! Gerne hätte man VOIVOD auch gleich von vornherein als Headliner mit längerer Spielzeit buchen können.
Nach zwei eher anspruchsvoll-proggigen Bands ist es eine willkommene Abwechslung, klassischem Hard-Rock zu lauschen. In vielen Fällen hat es einen faden Beigeschmack, wenn „irgendein“ Ex-Mitglied einer größeren Band unter anderem Namen Auftritt und Songs seines alten Arbeitgebers umringt von Coverband-Musikern performt. Im Fall des 72-jährigen Brian Downey sieht dies aber völlig anders aus. Er war nicht nur seit Kindestagen ein enger Freund von Phil Lynott (R.I.P), sondern war neben ihm auch Bandgründer sowie das einzige konstante Mitglied, welches auch zahlreiche Klassiker mitgeschrieben hat. Als Schlagzeuger ist er ohnehin sträflich unterbewertet und sein Charisma strahlt auch hinter dem Drumkit enorm hervor. Die Mischung aus Gelassenheit und Punch, mit welcher er sein Kit verprügelt, ist ein schöner Blickfang. `Are You Ready` macht den Anfang und wird im Vergleich zum „Alive And Dangerous“-Werk deutlich gebremster dargeboten. Der Sound tönt herrlich „analog“ und warm, nicht zu aufgeblasen aber genügend Punch. Sänger und Bassist Matt Wilson will mit seiner Afro-Mähne sowie dem Outfit sicher nicht zufällig Mr. Lynott ähnlichsehen. Bzgl. Mimik und Gestik wirkt er aber völlig anders und ist einfach er selbst. Was man je nach Blickwinkel gutheißen oder ankreiden kann ist, dass er die variierten Gesangsphrasierungen von Phil in einigen Stücken nicht 1:1 kopiert, sondern hier bezüglich Gesangslinien auch immer mal eigene Wege geht. Dies passt mal hervorragend (häufig) – und mal eher weniger gut (gelegentlich). Generell singt er gut, stellt aber im Rahmen von „Jammern auf hohem Niveau“ die kleinste Schwachstelle von BRIAN DOWNEY`S ALIVE AND DANGEROUS dar. Völlig zu begeistern weiß das Gitarren-Duo Michael Kulbaka und Joe Merriman. Die Saitenhexer spielen beide arschtight, makellos und mit viel Feeling auf. Sie harmonieren wirklich prächtig. Dies wird schon während des Dreigespanns `Jailbreak`, `Emerald` und `Rosalie` (Bob Seger) überdeutlich. Die erste Überraschung abseits der zu erwartenden Standards stellt `Warriors` dar. Weder Think Lizzy noch Black Star Riders hatten diese Nummer in den letzten Jahren im Gepäck. Sehr stark! Die Ballade `Still In Love With You` von „Nightlife“ ist ebenfalls ein Stück, welches man live eher selten zu hören bekommt. Der einzige Track, der heute subjektiv gesehen in den Sand gesetzt wird, ist `Dancing In The Moonlight`. Groove und Feeling wollen, sofern man das Original gewohnt ist, irgendwie nicht so recht zünden. Umso mehr hauen danach die Endorphinbomben `Massacre` und `Cowboy Song` rein. Niemals könnte man als Fan genug von diesen unvergleichlichen, doppelstimmigen Gitarrenleads bekommen. Am meisten Resonanz erntet die Band heute während `The Boys Are Back In Town` und einem göttlich zelebrierten `Róisìn Dubh (Black Rose) – A Rock Legend`. Hier wird kollektiv mitgesungen und gefeiert was das Zeug hält. Und Brauereiumsätze angekurbelt selbstverständlich auch! Nach dem obligatorischen `Whiskey In The Jar` ist Schluss und über sehr weite Stecken macht sich ein zufriedenes Grinsen breit.
Nun sind auch NESTOR endlich da und profitieren von einem deutlich höherem bzw. späteren Slot in der Running Order. Angst haben, dass dies in die Hose geht, müssen die Schweden ja eh nicht. Die Band ist ja längst kein Geheimtipp mehr in der Szene und es hat sich herumgesprochen, dass der Hard-Rock getränkte AOR der Combo große Klasse ist. Den Nörglern mag dies zu poppig, zu untrue, zu weich und zu glammig-bunt sein. Kinder der 80s feiern diesen Humor, das konsequente fuck off entgegen der ewig-ernsten als auch den totalen over-the-top Kitsch in Outfits und Bühnen-Posing total ab. Und ja es steht auch ein Keyboard auf der Bühne und es wird oft und herrlich cheesy-plakativ eingesetzt. Performance und Sound von NESTOR sind für die Zielgruppe, welche hier eine Mega Party abfeiert, ohnehin völlig unangreifbar. Dies fängt beim Opener `Kids In A Ghost Town`, `Stone Cold Eyes` oder dem herrlich schnulzigen `Perfect 10 (Eyes Like Demi Moore)` an und hört mit dem vom Kult-Video bekannten `On The Run` auf. Auffällig ist, dass nicht nur die alten Damen und Herren, sondern auch einige Teens und Twens die Skandinavier vor der Bühne abfeiern. Vielleicht ist traditioneller Rock dieser Art in der jungen Hip-Hop-Generation doch nicht so gut, wie uns das aktuelle viele weismachen wollen. Nicht nur deswegen sind NESTOR so wertvoll wie ein kleines Steak! `Firesign` wird heute erstaunlich hart abgerockt, ehe der Überhit `1989` zum Besten gegeben wird. Und wenn man denkt es kommt nichts mehr, gibt es zum Ende noch das Whitney Houston Cover `I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)` zu hören. Den Refrain singt wirklich JEDER anwesende Zuschauer mit. Gute Songs funktionieren eben immer, selbst wenn sie Pop sind. Partysan-Gänger kennen das von der berühmten Abba-Party zum Ende des Festivals nur allzu gut.
Die Absage der besten Bay-Area-Thrash-Band EXODUS schmerzte natürlich vielen immens. Ob SODOM dafür ein würdiger Ersatz sind oder nicht, liegt im Auge des Betrachters. Und das die Teutonen aktuell (insbesondere im Pott) etwas überpräsent waren bzw. sind, mag schon sein. Angreifbar sind die Urgesteine aber anhand ihrer heutigen Performance sicherlich nicht. Als ideales Kontrastprogramm zu NESTOR steigen die Thrasher gleich fulminant-angepisst mit dem Schmankerl `Silence Is Consent` plus Klassiker `Nuclear Winter` in das Set ein. Angelripper trägt aus aktuellem Anlass ein Tank-Leibchen, Blackfire hat heute anhand seiner aggressiven Performance scheinbar einen Extra-Dämonen zum Frühstück verpeist und sind Axt-Sidekick York hat mächtig an Bühnen-Selbstbewusstsein zugelegt und wird des Bangens und Grimasse Schneidens niemals müde. `Outbreak Of Evil` ist live stets eine Bühnengranate und `Conflagration` hat sich von den neueren SODOM-Tracks als echter Highlight-Smasher herauskristallisiert. Toni Merkel an den Drums scheint der Combo gut zu tun, da er nicht so technisch-anspruchsvoll wie Makka, aber andererseits auch nicht ganz so schnörkellos wie früher Bobby trommelt. Er hält die Maschine schön tight, bremst aber weder das Tempo noch holt er zu viel Akrobatik aus, sondern performt stets songdienlich. `Sodomy And Lust` lässt die Action im Mosphit weiter ansteigen, ehe es mit `Book Burning` von „Code Red“ die erste Überraschung zu hören gibt. Ein toller Song einer viel zu vergessenen Killer-Platte. `Agent Orange` ist einer der Standards, den die NRWler einfach immer spielen müssen. Das Tom Tank sehr verehrt, ist hinlänglich bekannt. Anhand des Todes von Algy Ward macht er eine Ansage, wie wichtig der Musiker für ihn als auch indirekt SODOM war. Das Tank-Cover `Don`t Walk Away` wird ihm gewidmet. Die kultige Rumpelecke wird mit `Equinox` bedient, ehe es das für den Verfasser dieser Zeilen nervige und völlig überbewertete `Caligula` zu hören gibt. Klarer Tiefpunkt der heutigen SODOM-Show. Übers Fußball möchte Angelripper heute aufgrund des Schalke Abstiegs lieber nicht sprechen. Da würde nur Frustsaufen helfen. Danach gibt’s den wie gewohnt herrlich fies von Herrn Such gesungenen `Blasphemer`, als auch das vor 2021 zwanzig Jahre nicht gespielte `Incest` sowie die Hymne `Bombenhagel` zu hören. Während des `Steigerlied` vom Band ertönt, gehen SODOM mit verdientem tosenden Beifall von der Bühne.
Eigentlich sollten da TESTAMENT hier nun noch einen draufsetzen können. Mit Betonung auf eigentlich! Man erinnere sich an die gleiche Band auf dem gleichen Festival vor einigen Jahren. Der Sound war grottenschlecht. Leider wiederholt sich dieses Desaster heute erneut. Für viele Anwesende völlig unverständlich. Unter matschiger Zimmerlautstärke wird `Rise Up`, `The New Order`, `The Preacher` und `Children Of The Next Level` dargeboten. Irgendwann findet der Mischer dann den Lautstärke-Regler, meint es dann aber im gleichmäßigen Wechsel entweder mit Drums oder Gitarren viel zu gut. Diese Qual zieht sich leider durch drei weitere Songs der Show (`Practice What You Preach`, `WWIII´, ‚D.N.R (Do Not Resuscitate)`. Gut, dafür können jetzt die Amis auf der Bühne nichts. Aber man fragt sich schon, warum es diese Soundprobleme bei keiner bisherigen Band des Festivals gab und wieso dies das zweite Mal passiert. So verlassen einzelne Fans wütend das Amphitheater, andere schreien ihren Unmut in Songpausen heraus oder werfen Bierbecher in Richtung Mix-Zelt. TESTAMENT selbst müssen auf Alex Skolnik verzichten, welcher aus familiären Gründen nicht dabei sein. Die vorherige Show bestritt man mit nur einer Gitarre, wogegen heute sehr kurzfristig Phil Demmel (Vio-lence) als Aushilfe dabei ist. Dieser hatte so gut wie keine Zeit die Songs zu lernen und eine gemeinsame Probe war auch nicht drin. Dafür macht der Profi und Ausnahme-Musiker seine Sache wirklich mehr als gut. Leider ist er aber im Mix, egal ob gewollt oder nicht, wesentlich leiser als Eric Peterson zu hören. Dieser scheint heute anhand seine Entschlossenheit, Power und Spielfreude irgendwie die Show alleine retten zu wollen. Chuck Billy wirkt heut souverän wie immer, aber auch ein wenig routinierter als gewöhnlich. Während `3 Days In Darkness` pegelt sich dann der Sound auf ein erträgliches Level ein und man kann von Genuss sprechen. Der Klassiker `The Haunting` lässt deshalb dann das erste Mal ein wenig mehr Stimmung aufkommen. `Night Of The Witch` kann dieses Level nicht ganz halten. Aber dann! Die großen Klassiker verfehlen ihre Wirkung nicht. `More Than Meets The Eye` groovt höllisch, `Over The Wall` und `Into The Pit` eröffnet wirklich ENDLICH den Mosphit – und `Disciples Of The Watch` zermalmt heute dann im Rahmen der Soundmöglichkeiten wirklich ordentlich. Ganz zum Schluss hat Chuck noch eine Sternstunde und singt `Alone In The Dark` so großartig und leidenschaftlich, dass man so manchen zuvorigen Frust am liebsten vergessen möchte. So ganz mag dies aber nicht gelingen. Als Diehard-TESTAMENT-Fan tut es weh das zu schreiben. Aber Shows der Truppe sind in den letzten Jahren, primär wegen dem Sound, öfter eine kleine Wundertüte. Es kann wie heute eben nur gut oder eine völlig plättende Killer-Show sein.
Sonntag, 28. Mai 2023:
Am dritten und letzten Festivaltag sind die Knochen müde, die Gräten tun weh und die Birne ist matschig. Moral, Bierdurst und die Lust auf harte, laute Musik sind aber dennoch ungebrochen. Trotzdem schaffen es nur auserlesene Hardcoreler, pünktlich zu IRON FATE vor der Bühne zu sein. Die Niedersachsen zocken feinen US-Metal, welcher in ruhigen Momenten auch mal an Queensryche, in ruppigen eher an sehr melodischen Thrash erinnert. Die LEGACY-Delegation experimentiert noch mit Schönheitsschlaf (ob‘s hilft?), doch die Augen- und Ohrenzeugen des Vertrauens attestieren der Band eine gutklassige Show, welche aber im ersten Setviertel von Soundproblemen geprägt war.
Gerne werden sie als die deutschen Crowbar bezeichnet. Das ist einerseits ein schönes Kompliment, andererseits nicht ganz unpassend. Andererseits ist diese seit 30 Jahren aktive Band selbst viel zu eigenständig, originell und wertvoll, um nur auf diesen zweifellos deutlichen Einfluss reduziert zu werden. Das erste Mal seit NESTOR gestern ist der Sound wieder glasklar, druckvoll und gut ausbalanciert. UNDERTOW legen auch gleich Vollgas los und verlassen sich heute primär auf die schnellen, direkten Tracks im Repertoire. Sänger Joschi macht sich mit seinen wie gewohnt bodenständig-natürlichen Ansagen, der Selbstironie sowie den in Mark und Bein gehenden, intensiven Vocals einige neue Freunde. In Verbindung mit den intensiven Texten über Schmerz und Seeleinpein plus den ultra-fetten Riffs ergibt dies eine explosive Mischung die so gut ins Blut geht wie ein eiskaltes, frisch gezapftes Pils. Besonders intensiv wirken heute `Fire` sowie `Shadows` von der neuen, bockstarken Platte „Bipolar“. Andreas „Hundi“ weiß, wie er seine Dreads fliegen lassen muss und ist als Rampensau ständig am Bangen. Brandy an der zweiten Klampfe trägt hingegen nicht aus Zufall heute ein The Very End Leibchen. Für `Everember` holt man nämlich Björn Gooßes (Ex-Night-In-Gales) auf die Bühne, was beim Publikum sichtlich gut ankommt. UNDERTOW ist definitiv eine dieser Deutschen Bands, denen man wünschen würde etwas mehr Aufmerksamkeit zu bekommen und mal auf eine Tour mit einer größeren Combo passend mit aufspringen zu können.
Wunderbares Kontrastprogramm schaffen anschließend WUCAN. Die Sachsen betonen eingangs, von „drüben“ zu sein und lassen ansonsten viel die Musik wie `Fette Deutsche` sprechen. Und wir sprechen hier von feinstem Krautrock, der so authentisch nach 70s riecht und tönt, dass man sich manchmal kneifen muss, ob man nicht in eine Zeitmaschine gesprungen ist. Blickfang ist ganz klar Sängerin und Multi-Instrumentalistin Francis Tobolsky. Ja, eine sehr attraktive Frau mit einer Menge Ausstrahlung. Aber es wäre sehr flach, sie darauf zu reduzieren. Zum einen ist die Musikerin mit einer wunderbaren Stimme gesegnet, zum anderen eine hervorragende Songwriterin, welche ihre Stücke auf der Bühne wirklich durchlebt und sehr gut darin ist, diese Energie aufs Publikum zu übertragen. Abgesehen vom Ruhepol am Bass, welcher sich cool unter Sonnenbrille und Hut versteckt, ist Gitarrist Tim ein weiteres Energiebündel, dass ständig in Bewegung ist und mit Francis sehr gerne um die Wette post und interagiert. Wo man einige Anwesende gewöhnlich mit Querflöte und anderen Effektgeräten vertreiben kann, werden diese heute cool und sehr originell eingesetzt. `Don`t Break The Oath` bleibt heute durch seine verrückten, betörenden Gitarrenmelodien nachhaltig im Ohr hängen. Die Klaus-Renft-Combo wird mit dem Cover `Zwischen Liebe Und Zorn` eindrucksvoll gehuldigt. Und in der Ansage zu `Physical Boundaries` lädt uns Francis ein, sich auf eine Reise zu begeben. Die Andeutung lässt sich gut als Einladung zum Kiffen interpretieren. Würde anhand des verspulten Sound sicher nichts schaden. WUCAN sind allerdings auch völlig nüchtern höllisch intensiv. Neben UNDERTOW das bisherige Tageshighlight.
Zurück zur Basis führen uns anschließend LEGION OF THE DAMNED. Die Holländer ziehen gleich zu Beginn mit der Bandhymne das Tempo gut an und thrashen alles und jeden in Grund und Boden. Die haben heute so richtig Bock, kommentiert ein Nachbar recht treffend. Die Band ist hungrig und entschlossen, wirkt sehr gut eingespielt und profitiert nicht nur beim genialen Occult-Smasher `Slaughtering The Pigs` von einem sehr brutalen, rotzigen Sound und einem Publikum welches heute noch keinen härteren Sound zu hören bekommen hat. Bei `Son Of A Jackal` sind alle vor der Bühne auf Betriebstemperatur und es bildet sich ein feiner Circle Pit mit fleißigen Moshern außenherum. Nach dem neuen `Contamination` wird von Sänger Maurice ein weiteres neues Stück angekündigt, dessen Titel allerdings unbekannt ist. Bereits bekannt hingegen ist `The Poison Chalice`, der Titelsong des am neunten Juni erschienenen neuen Albums. LEGION OF THE DAMNED sind live immer gut und kurzweilig, können aber bei mehr als einer Stunde Spielzeit wegen stellenweiser Eintönigkeit auch etwas ermüdend werden. Heute zeigen alle Daumen nach oben!
ENFORCER haben sich über die letzten Jahre schrittweise, aber konstant von einer aufstrebenden Underground-Band, über einen starken Toursupport von Größen, bis hin zu eigenen Headliner-Tourneen hochgespielt. Die Schweden sind Live hervorragend. Nicht viele andere Bands des gleichen Stils können ihnen hier aktuell das Wasser reichen. Evil Invaders vielleicht! Denn Sänger/Gitarrist Olof und seine Mitstreiter haben so viel Power und Energie als ob sich jeder einzelne Musiker vor jedem Gig eine Familienpackung Koks durch die Nase gezogen hat. Und gleichzeitig spielt die Combo so tight und perfekt auf, dass man manchmal fast verblüfft ist wie perfekt die Freunde der traditionellen Heavy Metal Schule klingen. Aber hier ist unüberhörbar alles echt und nichts vom Band oder durch sonstige Technik-Spielereien aufgeblasen. Eine kleine Pyroshow darf auch nicht fehlen. Nur der Soundmensch meint es hier wieder nicht gut mit ENFORCER. Der Sound ist erst viel zu übersteuert, dann ist stellenweise nur eine Gitarre zu hören. In der zweiten Konzerthälfte bessert sich der Klang dann glücklicherweise. Nach der grandiosen Eröffnungs-Dreifaltigkeit `Destroyer`, `Undying Evil` und `From Beyond`, wissen heute `Coming Alive`, `Mesmerized By Fire` und `Midnight Vice` zum Schluss am meisten mitzureißen.
Auch wenn man TANKARD schon unzählige Male live gesehen hat: Kann sich irgendjemand ein eine schlechte Show erinnern? Wohl kaum! Die Frankfurter räumen immer total ab, sind ein Garant für energiegeladene, schweißtreibende und spaßige Thrash-Shows. Die Musiker strahlen kollektiv Positivität und Energie aus, haben stets Freude daran gemeinsam auf der Bühne zu stehen und sind immer noch hungrig. Hier ist jeder Musiker perfekt eingespielt, ständig in Bewegung und sucht pausenlos Blickkontakt zu den ersten Reihen. Sound und Publikumsresonanz stimmen ebenfalls, wodurch sich die Band während der ersten vier Songs regelrecht in einen Rausch spielt. `The Morning After` killt live immer und der neuere Track `Ex-Fluencer` kann gerne länger bleiben. Basser Frank hat heute einen besonders guten Tag erwischt. Sein Bass knarzt schön laut im Mix und er geht durchweg ab wie ein radioaktives Eichhörnchen. Langsam nicht mehr hören können einige den Opener `Rectifier` - vermutlich einer der meistgespieltesten neuen Stücke. Damit sind wir auch schon bei einzigen Kritikpunkt: Die Setlist sollte dringend mal wieder angepasst bzw. runderneuert werden. Natürlich dürfen bestimmte Klassiker im Set nie fehlen. Aber die Hessen haben so viel saugute platten, dass es wirklich lohnen würde mal wieder Gassenhauer von den 90s-Alben auszugraben. Kein einziger Track von der Albumphase 1992 bis 2000 taucht in der Setlist aus. Gerade von „Stone Cold Sober“, „Two-Faced“ und „The Tankard“ würden Diehards unglaublich gern mal wieder was Live hören. Von den neueren Nummern kommt heute `One Foot In The Grave` als auch `Octane Warriors` von „Thirst“ besonders gut an. Nach dem obligatorischen Klassiker-Duo `Chemical Invasion` und `Zombie Attack` ist Party pur vor der Bühne angesagt. Moshpit, Crowdsurfer, Banger, Mitgröhler – alles zahlreich vorhanden. Bei `A Girl Called Cerveza` wird Fronter Gerre romantisch. Da wird auch nicht davor gezögert, dass er endlich seine Liebe zu Sabina Classen gesteht und Sie zum Schluss für ein Duett auf die Bühne holt. `(Empty) Tankard` beschließt eine kurzweilige, intensive Show mit Abzügen in der B-Note wegen der einfallslosen Setlist.
Und wieder wird Abwechslung großgeschrieben. Nach der Thrash-Party hält Tiefgründigkeit, Schwermut und Melancholie Einzug. Neuere KATATONIA polarisieren ja gerne bei der „True-Fraktion“, welche primär die frühen Longplayer zu schätzen weiß. Andererseits sind es dann doch auch wieder diese Leute, welche sich die Band dann trotzdem geben und sich eben der Magie dieser Songs nicht entziehen können. Die Schweden sind als Songwriter unglaublich gereift und schaffen es selbst bei Tageslicht, eine sehr drückende, knisternde Atmosphäre zu erzeugen. Es ist eine erhöhte Frauenquote vor der Bühne auszumachen und nicht nur die verdrückt der ein oder anderen Gänsehautmelodie heimlich ein Tränchen. Die Setlist wird heute ausschließlich aus den drei Werkern „Viva Emptiness“, „The Great Cold Distance“ und „Night Is The New Day“ zusammengepuzzelt. Die Reihenfolge ist clever und lässt die einzelnen Stücke ideal ineinanderfließen. Die Musiker konzentrieren sich primär auf das perfekte darbieten der Musik und halten Interaktion mit dem Publikum auf einem Minimum. Eine starke, dunkle und sehr unter die Haut gehende Show. `The Longest Year` und `Leaders` am Ende gehen heute am meisten unter die Haut.
Danach darf Großmeister Michael Schenker mit seiner Solo-Band das Festival abschließen. Natürlich ist die Koryphäe als Musiker und Songwriter völlig unangreifbar. Manche Nörgler, welche dem 68-jährigen ein zu großes Ego bescheinigen, wird es immer geben. Konzentrieren wir uns als auf die heutige Show. Licht, Sound und Optik sind ebenso perfekt wie freitags zu CELTIC FROST. Besser geht’s eigentlich kaum. Erfreulicherweise findet sich heute eine Menge U.F.O im Programm. Gleich mal den Übersong `Doctor Doctor` als drittes rauszuhauen, muss man sich leisten können. Die Band wirkt sehr gut eingespielt und motiviert. Insbesondere der chilenische Sänger Ronnie Romero weiß durch seinen kraftvollen, charismatischen Gesang besonders zu gefallen. MICHAEL SCHENKER GROUP Tracks wie `Looking For Love` singt er genauso packend wie die U.F.O Großtaten `Lights Out` oder `Let It Roll`. `Assault Attack` erntet heute auffällig viel Resonanz, ehe der Klassiker `Rock Bottom`, von Michael Schenker mit einem fünfminütigen Mega-Solo veredelt noch mal das gesamte Amphitheater zum Beben bringt. Für die müde Fraktion, welche meinte die Combo wäre am dritten Tag `Too Hot To Handle` und deshalb schon nachhause ist, kann es einem leidtun. Denn die MICHAEL SCHENKER GROUP spielt `Only You Can Rock Me` zum Schluss und hat spätestens dann die letzten Zweifler auch noch geknackt und überzeugt. Ein absolut würdiger Abschluss-Headliner.
Damit geht ein sehr intensives, mit abwechslungsreichen Band gespicktes Top-Festival Zuende. Die Location, gute Auswahl an Essens- und Getränkeständen, familiäre Atmosphäre und anwesende Metal-Basis welche primär wegen der Musik kommt, kann gar nicht genug gelobt werden. Bleibt zu hoffen, dass das Rock Hard Festival inmitten der aktuellen Konzert- und Festival-Krise auch in 2024 unbeirrt so weitermachen kann, will und wird, wie wir es seit Jahren gewohnt sind.