Gut, der Freitagabend tut hier vielleicht noch sein Übriges. Auf jeden Fall ist es sehr schön zu sehen, dass Old School Thrash wieder richtig angesagt ist und sich die heutigen Besucher wirklich bunt gemischt im Altersbereich von Teenager bis in Würde ergrautem Endfünfziger bewegen.
Bereits um 19 Uhr, als so mancher Zuschauer noch im Freitagsverkehr bzw. der Anreise feststeckt, legen DEATH ANGEL fulminant mit dem Titelsong der letzten Platte „Humanicide“ los. Darauf gleich das Altstück `Voraciouos Souls` auszupacken, erweist sich als cleverer Schachzug. Sound und Licht sind wie meist im Backstage Werk, erste Sahne! Der sympathische Fünfer spielt wie gewohnt arschtight auf und feuert weitere Schmankerl wie `Claws In So Deep`, das geile `Aggressor` sowie `The Dream Calls For Blood` ab. Gitarrist Rob geht insbesondere beim Solieren stets voll aus sich heraus und verkörpert Pure Leidenschaft. Sänger, Grinsebacke, Energiebündel und Gin-Fan Mark feuert die Meute stetig an, ist pausenlos in Bewegung und verzaubert mit seinem positiven Charisma nicht nur die ersten Reihen vor der Bühne. Durch die Treppenstruktur rechts und links von der Bühne ist die Altersstruktur sehr gut sichtbar. Im Moshpit flippen die Teens and Twens plus Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, völlig aus. Darum bildet sich ein Gürtels von 30s und 40s an der Front, die sich zusammen mit ein paar Youngstern die Rübe zu Brei bangen. Auf den Treppen sowie in den hinteren Reihen stehen die in Würde ergrauten Veteranen, die begeistert mitnicken bzw. mitsingen. Darin dass `The Moth` eine wahre Sternstunde der jüngeren Vergangenheit von DEATH ANGEL ist, sind sich aber alle Anwesenden einig. Danach tritt die Band das Gaspedal noch mal ordentlich durch und zockt gleich eine Stange unsterbliche Klassiker-Tracks. Gitarrist Ted läutet `Seemingly Endless Time` vom Meilenstein „Act III“ ein. Darauf folgt das geniale Altstück `The Ultra Violence`, das erneut eindrucksvoll zeigt, wie gut sich Drummer Will Caroll im Laufe der letzten elf Jahre in die DNA der Combo eingefügt hat. `Thrown To The Wolves` ist und bleibt einer der größten neueren Hits von DEATH ANGEL und macht den Deckel drauf. Bis auf den einen oder anderen Klassiker, den man sich noch gern gewünscht hätte, eine rundum perfekte Vorstellung. Wer braucht Opener, wenn man so ein Oberliga-Paket sehen kann?
Nach dem tendenziell eher positiven sowie stellenweise melodischen Gourmet-Thrash von DEATH ANGEL wird jetzt die brutalste, aggressivste und energetischste Variante des Bay-Area-Stahls dargeboten. EXODUS waren und sind stets ein Abriss-Kommando – egal in welcher Besetzung die Band auch auf der Bühne steht. Bei allem Respekt und Wertschätzung für seine Vertretung Kragen Lum (Heathen), freuen sich heute nicht wenige, dass endlich wieder der Shred-Master Holt leibhaftig mit auf der Bühne steht. Sage und schreibe neun (!) Jahre ist es her, dass er europäische Bühnen unter dem Banner seiner Hauptband beglückte. Dass die Show (nach dem `Zehn kleine Jägermeister`-Intro) trotzdem mit der starken Altus-Komposition `Body Harvest` startet, ist bezeichnend. Lee hielt während Garys Abwesenheit, auch noch zur „Dukes-Era“, den Kahn stets über Wasser. So unglaublich das Duo Hunolt/Holt in der Vergangenheit auch war: Altus/Holt ist diesem mittlerweile stets ebenbürtig. `Blood, Blood Out` kurbelt den Moshpit weiter an, der ebenfalls von den erneut idealen Sound- und Licht-Bedingungen profitiert. EXODUS wirken heute hellwach, topfit und haben an „Alterscharisma“ zugelegt. Da ist Gesichtzeigen angesagt! Bis auf Tieftöner Jack Gibson, der mittlerweile auch bereits 23 Jahre an Bord ist, haben alle Musiker kollektiv den Bart und teilweise das Haupthaar dezent gestutzt. Insbesondere dem wesentlich sympathischer als früher auftretenden Shouter Steve „Zetro“ steht das verdammt gut. Den Übersong `Deliver Us To Evil` aus der Baloff-Phase performt er genauso souverän wie den Smasher `Fabulous Disaster` aus „seiner“ Zeit. Ebenso überzeugend geht er zu dem Holt gewidmeten achteinhalbminütigen Amphetamin-Erlebnisbericht `Deathamphetamine` völlig aus sich heraus. Gary hat den Spaß seines Lebens, post ständig seinen Mitmusikern zu und genießt unübersehbar jede Sekunde auf der Bühne. Was er vor dem Hit `Blacklist`, welcher gefühlt von der ganzen Halle mitgegrölt wird, auch mit einer glaubwürdigen Ansage verkündet. Und er ist sich auch nicht zu schade, mal spaßeshalber kurz zwei Slayer-Tracks anzuspielen und das Publikum zu teasen.
In Songpausen kuschelt er auch mal mit DEATH ANGELs Mark, der sich fast den ganzen Gig Gin-schlürfend vom Bühnenrand ansieht. EXODUS gehen symbolisch kurz von der Bühne, um fulminant mit dem Klassiker `Bonded By Blood` zurückzukehren. Nicht zu vergessen, dass Drummer und Urgestein Tom Hunting mit seinem unvergleichlichen Punch und effektiven, aber originellen Spiel nicht nur diesem Stück die Krone aufsetzt. Bei dem Meilenstein `The Toxic Waltz`, in dessen Solo-Teil sich Lee und Holt ein gekonntes Duell liefern, kocht dann die Stimmung im Backstage völlig über. Vor der Bühne Crowdsurfer, Banger und Moshpit als auch Gangshouts, wohin das Auge auch blickt. Die Teens flippen kollektiv mit den in Würde ergrauten Papas aus. Genauso schön anzusehen wie die in den letzten Jahren deutlich erhöhte Frauenquote auf Thrash-Konzerten. Dann kommt, was eben niemals fehlen darf. `Strike Of The (Fucking) Beast` ! „Good Friendly Violent Fun“ in Reinkultur eben. Der größte Circle-Pit des Abends und eine gigantisch große Wall of Death im Breakteil sind die Quittung einer absolut perfekten Show, welche so manchen Banger bereits völlig ausgepowert hat. Da passt ins Bild, dass im Anschluss `Exodus` von Bob Marley durch die PA gejagt wird.
TESTAMENT wissen ganz genau, dass sie die Urgewalt und Aggression von EXODUS nicht toppen können. Aber darum geht es der Band auch nicht (mehr). Man setzt auf tollen Bühnenaufbau, vergleichsweise helle Lightshow und eine ausgewogene, abwechslungsreiche Setlist. Gleich zu Beginn die ersten zwei Tracks (`Eerie Inhabitants`, `The New Order) vom Klassiker „The New Order“ abzufeuern, ist eine coole Aktion und bringt alle Anwesenden sofort auf Betriebstemperatur. Die Band ist viel besser eingespielt und in Form als auf so mancher Festival-Einzelshow der letzten Jahre, auf der man teilweise den Eindruck bekommen konnte, es wäre kaum Zeit zum gemeinsamen Proben gewesen. Chuck ist zudem nicht zur bei `The Persecuted Won`t Forget` und dem Altstück `The Haunting` bestens bei Stimme. Gene „The Atomic Clock“ hat weiter abgespeckt, was ihn aber nicht davon abhält, neben aller Präzision und Technik sein Kit mit unglaublicher Urgewalt zu bearbeiten. Koryphäe Steve DiGiorgio hat einen hübschen Fretless-Bass umgeschnallt und harmoniert mit seinem hingebungsvollen, unglaublichen Spiel perfekt mit Mr. Hogan. Die erste tolle Überraschung des Abends ist, dass das seit 1993 nicht mehr live gespielte Sahnestück `The Greenhouse Effect` heute dargeboten wird. Zum Niederknien ist dabei nicht nur das gefühlvolle, geniale Solo von Saitenhexer Alex Skolnick. `Dark Roots Of The Earth` funktioniert live immer außerordentlich gut, da sich der Chorus sofort ins Hirn bohrt und ideal zum Mitsingen ist. Mit `Last Stand For Independence` und `Throne Of Thorns` folgen gleich noch zwei weitere Songs vom gleichen Album.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass das eine oder andere schnellere Altstück (gar nichts von „Souls Of Black“, „The Ritual“ und „Low“?) hier den Fluss des Sets weiter aufgelockert hätte. Stattdessen werden mit `Brotherhood Of The Snake` und `The Pale King` zwei Stücke vom rückblickend „nur“ guten, nach Schnellschuss riechenden Longplayer „Brotherhood Of The Snake" performt. Beide fallen im Vergleich zum Rest des Sets merklich ab, was auch durch einen kurz abkühlenden Moshpit zu bemerken ist. Danach kriegen TESTAMENT aber glücklicherweise sofort wieder die Kurve und sorgen für die zweite große Überraschung des heutigen Abends. Das von Chuck mit einer Lobpreisung an Gene angesagte, ultrabrutale `Fall Of Sipledome` dürften die meisten nicht auf dem Zettel gehabt haben. Von dieser Tour abgesehen, wurde der Track vorher nur ganze zweimal im Jahre 2018 live gespielt. Zum Niederknien! Rhythmusgitarrist Eric Peterson scheint heute auf die ganz harten Stücke besonders viel Bock zu haben. So steuert er mehr denn je gerne brutale Backing-Vocals bei, was hier und da einen tollen zusätzlichen Schub gibt.
Nach einer kurzen Verschnaufpause für Band und Publikum, kehren die Musiker auf die Bühne zurück und kündigen etwas Neues an. `Night Of The Witch` kommt live extrem gut an und dürfte sich ergo in den nächsten Jahren einen festen Platz in der Setlist gesichert haben. Anschließend hagelt es dann Klassiker auf Klassiker: `Into The Pit`, `Practice What You Preach`, `Over The Wall` und zuletzt `Disciples Of The Watch`. Das Backstage flippt noch ein letztes Mal kollektiv völlig aus. Diese Massen-Euphorie ist wirklich beeindruckend. Auch TESTAMENT sind sichtlich verblüfft ob dieser Mega-Resonanz und gehen mit einem breiten Grinsen erst sehr zögerlich von der Bühne.
Das Resümee ist, dass es dem Thrash Metal derzeit verdammt gut geht und er wieder generationsübergreifend von jung bis alt angesagt ist und Generationen vereint. So erfreulich dies auch ist, fragt man sich als Die-Hard-Fan manchmal schon, wo denn all diese Leute zwischen 1994 und den frühen 2000er Jahren waren. Egal! So lange unsere „alten“ Helden noch so im Saft stehen und starke, relevante Alben abliefern, ist alles in Butter. Was für ein genialer Konzertabend!
Setlist DEATH ANGEL:
Humanicide
Voracious Soul
Claws in So Deep
Aggressor
The Dream Calls for Blood
Seemingly Endless Time
The Ultra-Violence
Thrown to the Wolves
Setlist EXODUS:
Body Harvest
Blood In, Blood Out
Deliver Us to Evil
Fabulous Disaster
Deathamphetamine
Blacklist
Bonded by Blood
The Toxic Waltz
Strike of the Beast
Setlist TESTAMENT:
Eerie Inhabitants
The New Order
The Persecuted Won't Forget
The Haunting
Greenhouse Effect
Dark Roots of Earth
Last Stand for Independence
Throne of Thorns
Brotherhood of the Snake
The Pale King
Fall of Sipledome
Night of the Witch
Into the Pit
Practice What You Preach
Over the Wall
Disciples of the Watch