Es ist nachvollziehbar, wieso selbst an einem Montagabend relativ viele Fans ins Münchener Backstage pilgern. Schließlich hat mit PESTILENCE doch eine hochkarätige Death Meta-Größe zum Rapport gerufen und auch das Rahmenprogramm lässt einiges erwarten. Indes findet das Konzert im kleinen Club des „Backstage“ statt, der erwartungsgemäß ziemlich schnell proppevoll ist. Den Anfang machen DISTILLATOR, ein ebenfalls aus den Niederlanden stammendes Trio, welches sich satten, traditionellen Thrash Metal auf die Fahnen geschrieben hat. Bis dato erschienen eine EP sowie die beiden Alben „Revolutionary Cells“ und „Summoning The Malicious“ via Empire Records. Nun also befindet sich die Formation mit ihren Landesvettern von PESTILENCE auf Tour. So richtig passen tut der rohe Thrash DISTILLATORs nicht wirklich zum Rest des Abends, andererseits sorgt dies allerdings auch für eine gewisse Portion Abwechslung. Rein musikalisch gesehen zeigt sich das Trio sehr von altem teutonischen Thrash beeinflusst, hier fallen einem nicht zuletzt auch dank des Gesangs des Öfteren immer wieder die guten, alten Destruction ein. Frontmann Desecrator, der nebenbei auch noch die Gitarre bedient, erinnert dabei fast schon an eine Mischung aus Schmier und Mike in Personalunion. Dabei hat der Herr leider nicht ganz so coole Riffs wie die Originale auf Lager, sodass die Musik zwar unterhaltsam rüberkommt, aber nicht wirklich zwingend wirkt. Gruppen wie DISTILLATOR gab es in der Vergangenheit bereits zur Genüge und auch in der Gegenwart finden sich zuhauf „Thrash Revival“-Combos ähnlicher Qualität. Ein eigenes Gesicht haben die Niederländer derzeit noch nicht wirklich etabliert. Ihrer Funktion als Opener des Abends werden die Jungs allerdings alles in allem gerecht. Für höhere Weihen empfiehlt sich das Trio jedoch noch nicht. Desecrator ist zudem angesichts der Doppelbelastung Gesang/Gitarre in seiner Bewegungsfreiheit etwas eingeschränkt, was bei derart rabiater Musik live natürlich ebenfalls etwas von Nachteil ist.
Auch die nachfolgenden REBAELLIUN haben nur eine Klampfe am Start, sind die Brasilianer doch mittlerweile zu einem Trio geschrumpft. Zweitgitarrist Adriano Martini, der live manchmal aushilft, musste wohl scheinbar leider zuhause bleiben. Natürlich hat man bereits im Vorfeld konkrete Vorstellungen von einer Show der Südamerikaner, wenn man sich jenen schädelspaltenden Auftritt der Gruppe beim 2016er Party.San in Erinnerung ruft. Damals stand das ganze Zelt Kopf, als der Hyperspeed-Todesblei-Zug in ICE-Geschwindigkeit über die Anwesenden hinwegraste. Selbstverständlich erwartet man nicht, dass das Münchener Publikum in Sachen Passion und Energie dem Party.San-Mob das Wasser reichen kann, vor allen Dingen nicht an einem Montagabend. Einige unbeirrbare Brasilien-Fans lassen sich aber dennoch hinreißen, REBAELLIUN gebührend abzufeiern. Es ist erstaunlich, dass die Musik des Trios auch nur mit einer Gitarre funktioniert. Anfangs vermisst man unter den superb besessen inszenierten Soli eines Fabiano Penna zwar noch eine Rhythmus-Klampfe. Trotzdem entfacht Sänger/Bassist Lohy Fabiano mit seinem Tieftöner den nötigen Druck und breitet einen sicheren Teppich unter dem Gefiedel seines Counterparts aus. Schier unglaublich, wie blitzschnell insbesondere Fabiano seine Finger über das Griffbrett fliegen lässt! Und Schlagzeuger Sandro Moreira ist ja ohnehin nicht von dieser Welt mit seinen hammerhart, aber äußerlich fast schon entspannt getrümmerten Blastbeats. Dabei wirkt trotz des chaotisch anmutenden Barbarismus der Musik an sich alles präzise aufeinander abgestimmt. REBAELLIUN entfachen auch im Backstage ein Feuerwerk an wahrhaft bestialischem Death Metal, der direkt aus dem düstersten Loch des brasilianischen Dschungels zu kommen scheint. Bei 'Legion' vom genialen neuen Album „The Hell's Decrees“ beschwört Lohy die Metal-Horden, in Form von 'Anarchy (The Hell's Decrees Manifesto') folgt ein weiterer neuer Song. Insbesondere Letztgenannter zeugt vom Können der Band, auch heute noch mitreißende, absolut nackenbrecherische Stücke erschaffen zu können. Der Rest der leider viel zu kurzen Setlist setzt sich aus Tracks älteren Datums zusammen. Mit der kultigen Kriegserklärung 'At War' besinnen sich REBAELLIUN noch einmal ganz an ihre Anfänge und setzen einen deftigen Schlusspunkt hinter einen engagierten, unglaublich intensiven Auftritt.
Man fragt sich, ob PESTILENCE diesem Inferno noch eins draufsetzen können? – Doch die Herangehensweise der holländischen Death Metal-Legende an diese Musik ist eine komplett andere als die der Brasilianer, weshalb sich Vergleiche eigentlich von vornherein verbieten. Während REBAELLIUN die großen Morbid Angel und Krisiun innigst huldigen und dabei trotzdem ihre ureigene, rohe Interpretation dieser Sounds etabliert haben, gehen PESTILENCE technisch perfekt aufeinander abgestimmt ins Rennen, um progressiv angehauchten Death Metal der Extraklasse zu bieten. Erst vor wenigen Tagen ist das neue Album „Hadeon“ erschienen, welches nicht nur hinsichtlich des Coverartworks wieder zur Klassikerscheibe „Testimony Of The Ancients“ Bezug nimmt. Die Niederländer beweisen darauf eindrucksvoll, dass sie endlich wieder auf dem richtigen Weg sind! Was Wunder dann, dass Urmitglied Patrick Mameli und seine junge Backing-Mannschaft an diesem Abend in der bayerischen Landeshauptstadt keinen einzigen Song des besagten Albums darbieten – oder hat sich da der Rezensent verhört? In jedem Fall würden die Stücke von „Hadeon“ ziemlich gut ins Konzept dieses Auftritts passen. Überraschend dann die Tatsache, dass PESTILENCE ihre Reise durch die eigene Diskografie mit gleich vier Stücken vom legendären Debüt „Malleus Maleficarum“ beginnen!
Nach dem allseits bekannten Intro brettern sich Mameli & Co. durch 'Anthropomorphia', welches gar noch etwas schneller als auf Platte rüberkommt. Nach 'Parricide' und 'Subordinate To The Domination' fordert jemand im Publikum 'Extreme Unction', damit ja schön die Reihenfolge von „Malleus Malefircarum“ eingehalten wird. Diesen Gefallen erfüllen die Musiker dem Fan allerdings nicht, sondern lassen gerade dieses Stück aus, um 'Commandments' mit schwindelerregender technischer Finesse darzubieten. Weiter geht's mit dem „Consuming Impulse“-Opener 'Dehydrated'. Dem schließen sich die beiden Banger 'Chronic Infection' und 'Echoes Of Death' vom legendären Zweitwerk an. Und dann ist man auch schon bei der erwähnten Klassiker-Scheibe „Testimony Of The Ancients“ aus dem Jahr 1991 angekommen: Vom Opener 'The Secrecies Of Horror' ausgehend über 'Land Of Tears', 'Prophetic Revelations' und 'Presence Of The Dead' gibt’s eine satte Vollbedienung vom dritten Album der Niederländer. Dazwischen rangiert dann der durch die Bank von nahezu allen Anwesenden abgefeierte Midtempo-Groover 'Twisted Truth'. Vom vielgescholtenen, aber einst visionären „Spheres“-Album wird lediglich der Opener 'Mind Reflections' geboten. Der „Consuming Impulse“-Smasher 'Out Of The Body' setzt dann den gelungenen Schlusspunkt hinter ein langes, aber ungemein kurzweiliges Set. Selbst wenn der eine oder andere Fan vielleicht noch eine Zugabe vertragen hätte, ist die Messe nach diesem imposanten Auftritt gelesen.
Wie aus der Riege an aufgezählten Bandklassikern ersichtlich, liefern PESTILENCE an diesem Abend eine mehr als amtliche Vollbedienung für diejenigen Anhänger ab, die sie bereits von Beginn an begleiten. Trotz getriggerten Drums und dem Click im Ohr des Schlagzeugers ist es indes auch gelungen, dass sich der Rezensent wieder wie in Teenagertage zurückversetzt fühlt. Die Niederländer profitieren dabei auch vom ungemein druckvollen Sound, der zum ersten Mal an diesem Abend wirklich über alle Zweifel erhaben ist. Bei den Vorgruppen verwischten insbesondere die Gitarren- und Bassklänge etwas zu sehr. PESTILENCE sind zudem die einzige Band des Abends, die mit zwei Klampfen aufläuft und zuzusehen, wie sich Bandkopf Patrick Mameli und Calin Paraschiv duellieren, ist eine wahre Augen- wie Ohrenweide! Die Niederländer präsentieren sich in einer bestechenden Form, alles wirkt akribisch aufeinander abgestimmt. In dieser Form unterstreichen PESTILENCE, dass auch anno 2018 noch mit ihnen zu rechnen ist. So bleibt einem nur noch, Danke zu sagen für diese gelungene Zeitreise zurück in die Endachziger/Frühneunziger. Danke für diesen gelungenen Abend!