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Die Herren von NEBELKRÄHE sind im deutschen Avantgarde-Black-Metal längst keine Unbekannten mehr. Spätestens mit ihrem kürzlich veröffentlichten dritten Album "ephemer" (2023) konnten sie zahlreiche positive Kritiken und begeisterte Fan-Kommentare für sich gewinnen. Ihre musikalische Reise begann jedoch schon 2007, und 2009 wagten sie mit ihrem Debüt "entfremdet" ihren ersten großen Schritt. Nun, 15 Jahre später, haben sich die damals schon aktiven Bandmitglieder erneut ihrem Erstlingswerk gewidmet und es in einem frischen Klanggewand sowie mit behutsamen Überarbeitungen neu herausgebracht. Über die Hintergründe dieses Projekts, die Zusammenarbeit mit Produzent V. Santura (DARK FORTRESS) und die musikalische Weiterentwicklung sprachen Dirk Dreischerf und Jonathan Jancsary ausführlich mit Bandleader Morg.

Nebelkrähe Band 2024 Afra Gethöffer Grütz

Foto-Credits: Afra Gethöffer-Grütz

Starten wir klassisch und einfach: Was hat euch dazu bewegt, „entfremdet“ neu aufzunehmen und professionell abzumischen? Hat es Euch schon länger unter den Finger gejuckt und der 15. Geburtstag war ein guter Anlass? Oder gab es einen spezifischen Impuls?

Uns lagen diese Songs immer sehr am Herzen, aber die Umsetzung wurde ihnen einfach nicht gerecht. Es war eben ein Debüt, da macht man viele Fehler. Alle Saiteninstrumente eines 50-Minuten-Albums an einem verlängerten Wochenende aufnehmen zu wollen, und zwar mit abmikrofonierten Amps, erwies sich im Nachhinein nicht als die beste Idee. Aber das ist ein normaler Lernprozess. Als Utopie, im Sinne von „müsste man mal machen“, geisterte die Idee darum schon seit vielen Jahren durch meinen Kopf. Der spezifische Impuls war der Studioaufenthalt mit unserem dritten Album „ephemer“ bei V. Santura. Die Zusammenarbeit war so bereichernd, und das Ergebnis entspracht so exakt meinen Vorstellungen, dass klar war: Wenn, dann mit ihm. Der zweite Faktor war, dass wir mit „ephemer“ nach zehn Jahren Funkstille 2023 ein Album rausgebracht haben, und zeigen wollten, dass das kein Strohfeuer ist – da war ein bereits fertig geschriebenes Album, das nur neu eingespielt werden musste, dankbar. So können wir jetzt allen, die mit „ephemer“ Blut geleckt haben, nur knapp ein Jahr später bereits ein weiteres neues Album präsentieren – denn das ist es für mich: ein neues Album.

Weil Du das hier schon direkt selbst ansprichst – die Aufnahmetechnologie sowie überhaupt das Equipment und die Verwendungsweisen des Equipments haben sich natürlich im Laufe der Jahre sehr gewandelt. Wie ist das bei Euch als Band grundsätzlich? Probiert Ihr gerne mit neuem Equipment herum und versucht da immer wieder Neues herauszuholen?

Persönlich bin ich das absolute Gegenteil zu einem Gear-Nerd. Ich bin froh, wenn mir jemand sagt, was ich am besten verwende und wie. Insofern bin ich sehr froh, dass umbrA (Gesang) und Miserere (Gitarre) da anders drauf sind und unser Studio- wie auch Live-Equipment dem technischen Fortschritt entsprechend aufgerüstet haben. Der größere Schritt für uns war aber einfach, dass wir bei „entfremdet“ 2008 eben noch ein „finales“ Signal aufgenommen hatten - wohingegen wir seit dem zweiten Album „Lebensweisen“ und eben auch bei „entfremdet (2024)“ das trockene DI-Gitarrensignal aufgenommen und erst im Studio durch Amps gejagt haben. Aber auch live bin ich wirklich froh, dass wir die ganzen „Tretminen“ mittlerweile durch Multieffektboards ersetzt haben.

Seid Ihr mit ehemaligen Mitgliedern in Kontakt gewesen bezüglich des Remakes? Es sind ja nicht mehr alle von damals in der Band, wenn wir richtig informiert seid. Wie seid Ihr damit umgegangen?

Nein. „entfremdet (2024)“ ist ein Herzensprojekt des von damals übriggebliebenen Trios, bestehend aus unserem Sänger umbrA, unserem Drummer Latrodectus und mir als Gitarrist sowie – im Rahmen dieses Projektes – auch Bassist. Weder unsere später hinzugekommen Kollegen noch unsere ehemaligen Bandmitglieder waren involviert.

Was waren denn die größten Aspekte an Eurem Debüt, die Ihr „überarbeiten“ beziehungsweise neu gestalten wolltet? Gab es da in der Band überhaupt Einigkeit? Oder mochten manche gewisse Aspekte gern und andere dies wiederum nicht, et cetera?

Vor allem war uns der Sound ein „Dorn im Ohr“. Dass das mit V. Santura besser würde, stand aber ja bereits von vorneherein außer Frage. Trotzdem hat er unsere Erwartungen nochmal übertroffen. Was die Musik angeht, ging es vornehmlich um Details – die in der Summe aber einen gewaltigen Unterschied machen.

Das ursprüngliche „entfremdet“-Album wurde von Stefan Traunmüller gemastert, auch einer kleinen Legende in der Szene. Wie lief denn damals mit ihm die Zusammenarbeit bzw. was meinte er zum gelieferten/abgemischten Material? Und habt Ihr ihn informiert, dass nun eine neue Version anstehen wird?

Witzig, dieses Detail des damaligen Produktionsprozesses war mir tatsächlich komplett entfallen. Die Hauparbeit mit unseren Spuren hatte damals unser Sänger umbrA, der bei dem Album ja quasi auch unser Produzent war, und die Aufnahmen geleitet sowie Editing und Mix übernommen hat. Er hatte in früheren Projekten einiges an Erfahrung gesammelt, während dem Rest der Band damals noch jedwedes Fachwissen gefehlt hat. Mit Stefan hatte er früher in verschiedenen Bands gespielt ... aber das ist alles sehr lange her. Bei dem neuen Release war Stefan nicht involviert.

Wie seid ihr an die Sache rangegangen? Habt ihr euch Track für Track vorgenommen und ein Tuning verpasst oder habt ihr Songs und das Album teilweise auch ganz neu gedacht?

Als erste Amtshandlung habe ich mir einen Bass gekauft und die Bassspuren überarbeitet, um den Songs mehr Groove und Schub zu verleihen. Dann waren die Gitarren dran – hier war die entscheidende Änderung, dass ich alle Spuren gedoppelt habe, um einen dichteren, druckvolleren Sound zu ermöglichen. Die Drumspuren haben wir bei den Recordings überarbeitet – mit Optimierungen, die sich teilweise über die Jahre eh eingeschliffen hatten, sowie mit Hinblick auf die neuen Bass-Lines. Als dann auch die Saiteninstrumente eingespielt waren, haben wir uns den Gesang vorgenommen. Auch hier ließ sich in Sachen Dynamik und Vielfalt noch viel rausholen. Die Songs sind also noch dieselben – nur eben um 15 Jahre Erfahrung reicher.

Könntest Du uns über die musikalischen Details noch ein bisschen mehr erzählen? Ging es da vorwiegend um Optimierungen oder gab/gibt es auch Elemente und kompositorische Arrangements mit denen Du/Ihr grundsätzlich unzufrieden wart? Vielleicht lassen sich 1-2 konkrete Beispiele aufzeigen?

Neben den erwähnten Verdopplung der Spurenzahl, sowie den Änderungen am Bass und Schlagzeug habe ich auch ein paar Details im Arrangement geändert. Konkret haben wir etwa ein paar Verse verschoben oder Strophen wiederholt, aber etwa in den Cleanparts in „Et in Arcadia ego.“ auch ein paar Wiederholungen gestrichen. Dabei ging es aber nie darum, den Charakter der Songs zu ändern, sondern nur darum, die Dynamik zu verbessern. An der einen oder andern Stelle war das Original einfach noch etwas ungelenk arrangiert. Mit dem neuen Sound haben auch ein paar Stellen harmonisch einfach nicht mehr funktioniert: Was damals einfach im Sound untergegangen war, klang jetzt einfach nur schief. Deswegen klingt zum Beispiel das Ende von ,Als meine Augen ich aufschlug …' jetzt etwas anders.

War das Lernen der Bassspuren bzw. überhaupt des Bassspielens denn eine Herausforderung für Dich? Oder sind diese auf „Entfremdet“ sowieso überschaubar hinsichtlich ihrer Wirkung?

Wie sagt man so schön: Man wächst mit der Herausforderung. Mit einem „echten“, gelernten Bassisten kann und will ich mich nicht messen - mit rund 20 Jahren Erfahrung an der Gitarre hat es aber für Pick-gespielten Metal-Bass und ein paar gezupfte Passagen ohne größere Probleme gereicht. Die Wirkung des Basses ist im Black Metal aber tendenziell massiv unterbewertet. Wie bereits dargelegt halte ich die neuen Bassspuren sogar für eine der zentralen Verbesserungen des Re-Makes.

Im Interview mit No Clean Singing steht – zumindest meiner Interpretation nach – dass Ihr im Studio auch ein bisschen improvisiert und experimentiert habt. Wie dürfen wir uns das vorstellen? Geht es da mehr um den Sound oder auch um die finalen Arrangements?

Sowohl als auch: Der Sound entsteht ja immer erst im Studio, aber die Schlagzeugspuren haben wir beispielsweise erst im Studio beim Recording in den Details ausgearbeitet, und auch bei den Gesangsaufnahmen hat sich sehr viel aus der Situation oder einer spontanen Idee heraus ergeben.

Das Cover-Artwork hat sich auch leicht geändert. Was habt Ihr Euch dabei gedacht? Ging es da nur darum, die beiden Versionen gut voneinander unterscheiden zu können?

Wie die Kompositionen, haben wir damals auch das Artwork sehr dilettantisch behandelt – unprofessionell abfotografiert und stümperhaft editiert. Für das Re-Make haben wir das Bild einfach so genommen, wie es gemalt wurde. Manchmal ist weniger (Editing) mehr. Die Unterscheidbarkeit ist nur ein praktischer Nebeneffekt.

Nebelkrähe entfremdet 2024 Cover

Können wir hier das Cover-Artwork grundsätzlich heranziehen, um noch ein bisschen über die lyrische Ebene des Albums zu sprechen? Oftmals tut man sich ja nicht so leicht, 15 Jahre später etwas zu lesen und zu sehen, was man „in seiner Jugend“ gemacht hat. Wie ging es Euch damit? Hattet Ihr auch kurzfristig mal die Idee, die Scheibe konzeptuell/lyrisch vielleicht „zu optimieren“?

Ich glaube, dass die Idee des Re-Makes überhaupt so hartnäckig gehalten hat, hängt auch sehr stark damit zusammen, dass ich noch immer jeden der Texte mag. Wir haben das große Glück, dass wir schon damals großen Wert auf gehaltvolles Texte gelegt hatten - und eben nicht bloß irgendwelche peinlichen Klischees bedient haben. Darum waren die Texte für mich - genau wie Riffs, Melodien und Songstrukturen - auch „heilig“. Von ein, zwei Wörten, die einfach besser in den Flow gepasst haben, oder Wiederholungen abgesehen haben wir die Texte darum nicht angefasst.

Daran anknüpfend: Alben sind ja stets auch ein Spiegel der Zeit, in der sie gemacht werden, also eingebunden sowohl in den musikalischen als auch konzeptuellen Kontext der Zeit (was damals so los war in der Szene und in der Welt). Hast Du das Gefühl, dass „entfremdet (2024)“ da nach wie vor sehr aktuell ist oder hast Du in manchen Ebenen schon ein bisschen den „Zahn der Zeit“ gemerkt?

Wir sind ja nicht Ministry, die auf jedem Album gegen den jeweiligen US-Präsidenten wüten, was später vielleicht als Zeitdokument wichtig ist, aber keine konkrete, aktuelle Relevanz mehr hat. Im Gegenteil: Das Thema unseres Albums - das Gefühl der Entfremdung, ob nun individuell vom eigenen bisherigen Leben oder auch von der Gesellschaft als solcher, ist eigentlich zeitlos.

Wollt ihr zum Jubiläum auf Tour gehen oder gibt es bereits anderweitig Pläne?

Wollen kann man viel, gell. Aber eine Tour ist auf dem Level, auf dem wir uns befinden, illusorisch. Realistisch betrachtet ist es im Underground schon schwierig geworden, überhaupt Shows zu realisieren: Veranstalter und Clubs werden mit Anfragen überhäuft, sodass man als Band ohne Bookingagentur im Rücken weder mit Bookinganfragen rechnen darf, noch mal eben selbst etwas aufziehen kann. Dazu kommt das finanzelle Risiko: Viele Veranstalter wollen oder können nicht einmal Spritgeld zahlen. Und wenn man selbst was aufzieht, ist das Invest für eine einzige Show schnell vierstellig. Und am Ende ist meinem Empfinden nach das Interesse der Leute auch einfach nicht mehr so da: Die meisten gehen heute lieber für 50-100 € zu etablierten Tagesfestivals oder gleich den ganz großen Events, als für 20 € zu irgendeinem Underground-Konzert mit drei lokalen Bands. Und wer kann es ihnen verdenken. Nur mit 5 € Eintritt bekommst du eben heute keine Show mehr gegenfinanziert.

Inzwischen ist das Album ja seit einem Monat veröffentlicht. Wie waren die Reaktionen auf diese Neueinspielungen? Entsprechen diese dem, womit Du gerechnet hast?

Ehrlich gesagt habe ich mit gar nichts gerechnet. Ich weiß, das klingt nach einer Phrase, die Musiker immer sagen, um Enttäuschung zu kaschieren. Aber in diesem konkreten Fall war die Ausgangslage eine ganz andere als etwa bei unserem letzten Album, „ephemer“: Das hat zwar massenhaft toller Kritiken bekommen, hat in der Auswirkung auf unseren Bekanntheitsgrad oder unsere „Reichweite“ aber meine Hoffnungen nicht erfüllt. Bei „entfremdet (2024)“ hingegen war uns von vornherein klar, dass wir dieses Re-Make in erster Linie für uns machen. Es ist heutzutage schon schwierig genug, mit neuer Musik auf sich aufmerksam zu machen. Aber auf das Re-Make eines 15 Jahre alten Albums, das damals schon ein reines Underground-Ding war, hat nun wirklich niemand gewartet. Das ist aus kommerzieller Warte ein absolutes Himmelfahrtskommando und ich bin Holger von Crawling Chaos sehr dankbar, dass er sich überhaupt bereit erklärt hat, diesen Release mit uns durchzuziehen. Wenn man all das zusammennimmt, freue ich mich einfach, dass wir ein paar Rezensionen bekommen, die erfreulicherweise auch noch durchweg gut ausfallen, und dass sich ein paar Leute so über den Re-Make freuen, dass sie ihn sich auf CD zulegen. Das ist am Ende nicht viel und bringt uns nicht nennenswert weiter, aber wie gesagt: Darum ging es hier auch nie - und genau das war vielleicht auch so befreiend an diesem Aufnahmeprozess. Ein „neues“ Album ist in jeder Hinsicht eine Blackbox … von den Songs bis zum Sound. Hier war zumindest das Material schon bekannt, das reduziert die Fallhöhe - zumal, wenn Aspekte wie der Sound jetzt objektiv unbestreitbar besser sind.

Vielleicht noch ein wenig weiterführend und umfangreicher: Hast Du das Gefühl diese „Rückschau“ auf das Erstlingswerk hat einen Einfluss auf Eure Arbeiten am vierten Album? Oder könnt Ihr das recht gut als „Nebenschauplatz“ belassen?

Nach 15 Jahren wieder an diesen Songs zu Arbeiten, hatte etwas von „nach Hause kommen“. Wir haben auf „Lebensweisen“ viel experimentiert und mit „ephemer“ die Stärken der beiden Vorgänger gut kombiniert, aber dafür einen enormen Aufwand betrieben: „ephemer“ hat ja nicht grundlos so lange auf sich warten lassen. Dagegen war der Entstehungsprozess von „entfremdet (2024)“ mit rund anderthalb Jahren Entstehungszeit ja extrem kompakt und unkompliziert, was ich sehr genossen habe. Für mich hat sich damit auf jeden Fall ein Kreis geschlossen.

Letzte Frage: Am 29. Dezember spielt Ihr eine Release-Show zusammen mit ANOMALIE. Was ist da geplant? Werdet Ihr die gesamte „entfremdet (2024)“-Platte spielen?

Nein, das komplette Album nicht, das wäre im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Spielzeit gar nicht möglich, da wir auf jeden Fall auch ein paar Songs anderer Alben spielen wollen. Aber natürlich widmen wir einen guten Teil der Show diesem Album, und spielen etwa auch zwei Songs, die es lange nicht live zu hören gab.

Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Mühe! Wir wünschen Dir persönlich und für NEBELKRÄHE nur das Allerbeste!

Ich danke für das Interesse - deines, aber auch das von allen, die bis hierher gelesen haben. Ich kann nicht deutlich genug betonen, wie wichtig dieser Support für Bands unserer Größe ist. Darum, bei allem Nutzwert von Spotify und all den spektakulären Mega-Events da draußen: Vergesst die kleinen Bands nicht, kauft gelegentlich ein Shirt oder eine CD oder geht mal wieder auf ein Underground-Konzert. Sonst wird es diese Bands und die kleinen Clubs eines Tages nicht mehr geben … und dann gibt es keine organisch größer gewordenen Bands mehr, sondern nur noch irgendwelche hochgejazzten Hype-Bands.

Das ganze Album kann auf Bandcamp gestreamt werden - ebenso wie die weiteren Werke von NEBELRKÄHE!

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