Zum Hauptinhalt springen

Chandlers of Doom

Weder verwandt noch miteinander verschwägert sind die Herren Dave und Greg Chandler. Beide Protagonisten eint indes, dass sie mit ihren Bands überwiegend in Slow-Mo-Gefilden wildern, Beide zählen in ihrem jeweiligen Bereich zu den Wegbereitern. Dabei mag die musikalische Ausrichtung in Ansatzpunkten zwar ähnlich sein, letzten Endes ist das was der US-Amerikaner und der Brite machen, jedoch vollends verschiedener Natur, man könnte sogar behaupten, dass die beiden Namen sinnbildlich für die enorme Bandbreite stehen, in der sich das Genre Doom Metal bewegt.

Gitarrist Dave hatte das Glück der früheren Geburt, und doch klagte er bei SAINT VITUS darüber, zu spät geboren worden zu sein. Mit besagter Gruppe leistete er hinsichtlich traditionellem Doom im Geiste der allmächtigen Black Sabbath Pionierarbeit. Zumeist in unteren Geschwindigkeitsregionen operierend, ließ sich die Formation ab und an auch von  Vertretern des frühen Hardcore/Punk Rock inspirieren.

Sänger/Gitarrist Greg hingegen setzte mit ESOTERIC markante Merkmale dessen, was heutzutage landläufig als Funeral Doom bezeichnet wird. Die zuvor von den „UK Big 3“ etablierte Death/Doom-Mischung wurde um noch ein paar BPM mehr nach unten geschraubt, ausladende Effektspielereien sorgten für eine unheilvolle, düstere Atmosphäre.

Sowohl SAINT VITUS als auch ESOTERIC werden im umfangreichen Special-Feature über den guten, alten Doom in der aktuellen Legacy-Ausgabe Nr. 141 für ihre Vorreiterrollen entsprechend gewürdigt. Eine Kontaktaufnahme mit den beiden Chandlers war in diesem Kontext also Pflicht.


SAINT VITUS: Glorreiche Vergangenheit, düstere Zukunft?

Ein Interview mit Dave Chandler (SAINT VITUS)

121Drehen wir zu Beginn das Rad der Zeit etwas zurück: Ende der 70er operierten SAINT VITUS noch unter dem Namen TYRANT, ehe 1984 der erste selbstbetitelte Longplayer der US-Doom-Pioniere erschien. Natürlich waren Dave & Co. damals sehr von Black Sabbath beeinflusst, eine reine Kopie der Birminghamer waren sie indes freilich nicht. So beschränkte sich Chandlers Sammelsurium an Inspirationsquellen nicht ausschließlich auf Ozzy und Konsorten: „Wie die meisten anderen Rock-Gitarristen hatte auch ich ein großes Faible für Jimi Hendrix. Ich würde mich allerdings nie als Die-Hard-Fan bezeichnen, denn schließlich war Jimi etwas vor meiner Zeit aktiv. Meine Haupteinflüsse waren damals eher K.K. Downing von Judas Priest oder Leigh Stephens von Blue Cheer. Gut, für Letztgenannte war ich ebenso etwas zu spät geboren, aber viele meiner Freunde besaßen deren Platten. Seit der Sekunde, als ich erstmals Judas Priest hörte, war ich ein riesengroßer Fan dieser Band, vor allen Dingen K.K. Downings Tremolo-Krach hat unglaublichen Eindruck auf mich gemacht. Und dann gibt’s auch noch andere Musiker, die zwar nicht unbedingt in die Kategorie Doom Metal passen, die mich aber dennoch sehr inspiriert haben, wie zum Beispiel insbesondere die beiden Gitarristen von Blue Öyster Cult oder Martin Barre von Jethro Tull. Letztgenannter ist einer meiner absoluten Lieblingsgitarristen. Als wir mit dem Musikmachen anfingen, frönten wir einfach der Art Sound, die wir selbst mochten, wir hatten von anderen Bands, die einen ähnlichen Stil spielten, damals überhaupt keine Ahnung. Die erste Gruppe aus besagter Richtung, der wir gewahr wurden, waren Witchfinder General, die uns ein Freund empfahl. Also beschafften wir uns deren Album. Zudem suchten wir auch regelmäßig Plattenläden auf, wo ich auf das Trouble-Debüt stieß. Ich wusste damals gar nicht, wer sie waren, und legte mir die Scheibe nur wegen dem Albumcover und den Songtiteln zu. Auch von Pentagram hatten wir zuvor noch nie etwas gehört, bis uns unser Frontmann Scott „Wino“ Weinrich die Band vorstellte, da er mit den Jungs befreundet war. Scott meinte zu uns, dass das Mucke wäre, die uns sehr zusagen würde, uns war diese Gruppe bis Mitte/Ende der 80er unbekannt.“

312327473 515472323412108 7631923579391118411 nHardcore trifft Doom am Mardi Gras

Wie eingangs bereits erwähnt, schimmern speziell auf den schnelleren VITUS-Tracks immer wieder Bezüge zu frühem Hardcore/Punk Rock durch. „Das hat uns ebenfalls generell sehr beeinflusst. Von dem Moment an, als unser Bassist Mark Adams und ich so etwas zum ersten Mal hörten, waren wir sofort davon begeistert. Wir liebten englische Bands wie die Sex Pistols, The Damned oder The Clash. Dann stießen wir auch auf kalifornische Gruppen, die sich diesem Stil verschrieben hatten. Und so beeinflusste uns dies ebenfalls, da wir uns nie von Vornherein vorgenommen hatten, ausschließlich langsam zu spielen. Denn viele Bands, mit denen wir aufwuchsen, hatten schnelle Songs im Repertoire. Zudem waren wir damals auch riesige Motörhead-Fans, und die spielten ja auch ziemlich flott. 'White Stallions' sowie 'Hallow's Victim' sind zwei sehr gute Beispiele von VITUS-Songs, die insbesondere sehr von Punk Rock beeinflusst waren.“

In der Frühphase der Band bestand zudem eine ziemlich intensive Verbindung zu Black Flag respektive deren Gitarristen Greg Ginn: Nicht von ungefähr erschienen bei dessen Plattenfirma SST Records die ersten vier VITUS-Longplayer. Zu besagtem Ex-Labelboss hat Dave heutzutage jedoch keinerlei Kontakt mehr: „Greg ist ziemlich von der Bildfläche verschwunden. Niemand redet mit ihm, und er selbst spricht ebenfalls mit niemandem. Ich bin jedoch nach wie vor gut mit dem ehemaligen Black-Flag-Bassisten Chuck Dukowski befreundet, erst fürs letzte Mardi Gras kam er nach New Orleans, um uns zu besuchen, wir schreiben uns regelmäßig. Zudem bin ich nach wie vor noch mit vielen Leuten, die mal bei SST gearbeitet haben, via Facebook befreundet und unterhalte mich ab und an mit ihnen. Wir stehen also schon etwas miteinander in Kontakt, und wenn diese Leute mal hier in der Gegend sind, versuchen wir uns zu treffen. Ich probierte bereits ein paarmal, mir die Circle Jerks anzuschauen, wo ja der ursprüngliche Black-Flag-Sänger Keith Morris und der ehemalige Bad-Religion-Gitarrist Greg Hetson zusammen musizieren, aber leider hat das nie wirklich geklappt. Ich bin nach wie vor mit Ex-Black-Flag-Frontmann Henry Rollins befreundet, wir hören hier und da mal voneinander, und ich besuchte mal seine Spoken-Words-Veranstaltung hier bei uns. Ab und an schreibt Henry 'ne E-Mail, um zu fragen, wie es mir geht. Insofern kann man schon sagen, dass wir mit den meisten Leuten, mit denen wir damals abhingen, noch befreundet sind.“

312253355 3609046652646224 4418003855622975819 nBandinterne Geheimnisse 

Für Chandler und seine Mitstreiter waren SAINT VITUS seit jeher nicht bloß eine Band, sondern eine Art zu leben. „Das stimmt vor allen Dingen, wenn man sich jene Zeiten in Erinnerung ruft, als wir uns komplett dieser Musik verschrieben hatten. Heutzutage ist jedoch Wino der Einzige, der wirklich nonstop aktiv ist. Unser Sänger Scott Reagers tritt ab und an als Gastmusiker bei anderen Bands in Erscheinung. Wenn VITUS mal wieder was machen würden, wäre er wohl sicherlich dabei, aber die meisten Leute, die mal in dieser Band waren, haben heutzutage überhaupt nichts mehr mit Musik am Hut, mit Ausnahme von Wino natürlich.“

Trotz wechselnder Sänger (Reagers, Christian „Chritus“ Linderson sowie besagter Wino) blieben SAINT VITUS immer ihrem ureigenen Sound treu. Insofern ist zu vermuten, dass eher die Rhythmusfraktion sowie natürlich Daves unnachahmlicher, charakteristischer Gitarrenstil die Klänge der Gruppe nachhaltig prägten, egal wer da letztlich hinterm Mikro stand. „Ich schrieb ja nahezu alles bei VITUS, insofern dürften sich dort überall meine Finger- oder Fußabdrücke finden lassen, haha. Das war der grundlegende Kern dieser Band. Mental gesehen änderte sich diese Situation, als unser Schlagzeuger Armando Acosta 2010 starb und unser Bassist Mark Adams 2016 die Gruppe verließ. Von da an fühlte es sich so an als sei die Kernbesetzung nicht mehr da. Sänger kamen und gingen, alles, was ich machen musste, war, den Stil dem jeweiligen Frontmann anzupassen. Ich schaute mir genau an, wo welche Person ihre Stärken hatte, und änderte manche Sachen etwas. Aber im Wesentlichen behielten Armando, Mark und ich damals alles absichtlich so bei.“

Zig Gruppen versuchten im Laufe der Dekaden, den charakteristischen Sound der Amis zu kopieren, bei nur sehr wenigen klappte das, und nie bekam das eine Formation wirklich 1:1 hin. Dave möchte sich bei diesem Thema jedoch nicht allzu tief in die Karten blicken lassen: „Jede Band hat diesbezüglich so ihre Geheimnisse, die sie nicht verrät. Bei uns gibt’s ein paar Dinge, die zu unserem spezifischen Sound führen. Natürlich schmeichelt es uns, dass andere Gruppen versuchen, ähnlich wie wir zu klingen, und viele kommen da nah ran, aber zu 100% schafft es keine. Das ist jedoch gut, denn niemand sollte jemand anderen einfach nur kopieren. Als wir mit VITUS anfingen, meinten die Leute zu uns, dass wir lediglich ein Black-Sabbath-Klon wären. Aber wenn man sich unsere Musik genau anhört, fällt einem direkt auf, dass wir das keineswegs sind. Wir spielen zwar ebenfalls langsam, hören uns jedoch nicht 1:1 wie Sabbath an.“ 

312159687 654100089426545 6082361012356418335 nDer singende Gitarrist

Nachfolgend muss Dave noch mit einem weitverbreiteten Irrtum aufräumen, wonach gemeinhin immer angenommen wird, dass Scott Reagers der Ursänger der Band war. „De facto war er gar kein Gründungsmitglied, das waren Mark, Armando und ich. Zudem zeichnete ich auch für sämtliche Texte verantwortlich. Scott musste damals erst dazu bewogen werden, bei uns zu singen. Vor ihm hatten wir einen Frontmann, den wir persönlich sehr mochten, der sich wie Robert Halford anhörte und mit seiner Stimme ähnliche Tonhöhen wie der Judas-Priest-Sänger erklimmen konnte. Bei unserem ersten Konzert unterlief ihm jedoch ein sehr großer Fehler. Er hat das Ganze zwar jetzt nicht unbedingt versaut, aber besagter Fehler war unentschuldbar, weswegen wir ihn aus der Band herausschmissen. In Folge übernahm ich den Gesang. Wir spielten und feierten damals relativ oft in einem bestimmten Club, wo Scotty eines Tages aufkreuzte und einen Gig von uns sah. Für mich war es schwer, gleichzeitig Gitarre zu spielen und zu singen. Also nervte ich Scotty ständig, dass er als Frontmann bei uns einsteigen sollte, und irgendwann gab er einfach nach und meinte, dass er das machen würde.“

Notgedrungen musste Chandler auch bei der 2014er-Auflage des Hammer Of Doom Festivals im unterfränkischen Würzburg Teile der Vocals übernehmen. „Ja genau, das war damals, als Wino nicht aufkreuzte (der Frontmann war wenige Tage davor an der norwegischen Grenze wegen Mitführung illegaler Substanzen verhaftet worden und verbrachte einige Zeit in Polizeigewahrsam – Anm.d.Red.). Aber das Konzert machte uns trotzdem Spaß. Abgesehen von unserem Schlagzeuger Henry Vasquez übernahmen bei ein paar Songs wie zum Beispiel 'War Is Our Destiny' oder 'White Stallions', bei denen ursprünglich Scotty sang, Gastmusiker wie Gerrit Mutz (u.a. Sacred Steel) oder Tourmanager John Perez (Solitude Aeturnus) die Vocals.“


Zu Höherem geboren

Im Doom-Special der Legacy-Ausgabe Nr. 141 kommt auch Tom Reiss zu Wort, seines Zeichens ehemaliger Begründer und Chef von Hellhound Records, die sich in den 90ern einen großen Namen in der Szene gemacht haben, als sie Unmengen an Scheiben einschlägiger Doom-Formationen veröffentlichten, von denen viele heutzutage zu Recht Kultstatus besitzen. Auch SAINT VITUS arbeiteten mit dem deutschen Vorzeigelabel zusammen, die Studioalben „V“, „C.O.D.“ und „Die Healing“ erschienen dort. „Hellhound hatten einen Löwenanteil daran, dass wir in Europa bekannter wurden. Hier in Amerika spielten wir kaum Konzerte mit anderen Heavy-Metal-Bands, denn die Leute, die damals auf diese Art Musik standen, mochten uns überhaupt nicht. Deswegen unterschrieben wir auch einen Plattenvertrag bei SST, die eher im Punk Rock beheimatet waren. Denen gefiel unser Sound, weswegen wir damals zumeist Shows mit Punk-Rock-Bands spielten. Uns war gar nicht bewusst, welches Potenzial VITUS eigentlich besaßen, hatten nur eine vage Ahnung davon, dass wir eigentlich zu Höherem geboren waren. Wir machten das nur, weil zahllose andere Bands wie Black Sabbath, Witchfinder General oder Judas Priest auch mal klein angefangen hatten. Wir hatten nicht den blassesten Schimmer davon, dass unser Sound anderswo Anklang finden könnte. Hellhound hatten eine Booking-Agentur, die sich mit SST in Verbindung setzte. Und von da an stieg das Interesse an VITUS. Wir waren regelrecht schockiert, da der Unterschied zwischen Europa und Amerika wie Nacht und Tag war: Während wir hierzulande in Clubs spielten und die nicht mal ausverkauften, waren die Buden in Europa gerammelt voll. Das war schon sehr cool. Mit SST hatten wir noch nicht mal einen wirklichen Plattenvertrag, das ging einfach so spontan von Album zu Album vonstatten. Insofern waren wir an das Label auch nicht wirklich gebunden. Als uns Hellhound die Möglichkeit eröffneten, bei ihnen unterzukommen, machten wir das, da wir sahen, dass diese Art Metal in Europa weitaus populärer als bei uns war. Hellhound waren auch die Ersten, die uns mit dem Genre Doom Metal in Verbindung brachten, wir selbst hatten diese Stilbeschreibung bis dato noch nie gehört. Sie druckten das auf ein Poster von uns, und ich fragte Tom, was Doom Metal denn eigentlich sei, und er meinte nur, dass das die Musik ist, die wir spielen. 'Oh, was auch immer, okay …' Haha. Hellhound hatten demnach einen immens großen Einfluss darauf, uns auf dem europäischen Markt zu etablieren.“

Bei dem Berliner Label erschien 1990 auch der erste, schlicht und einfach „Live“ betitelte offizielle Konzertmitschnitt von SAINT VITUS. Die Aufnahmen stammten von einer Show am 10. November 1989 in einem Club namens Circus Gammelsdorf inmitten der oberbayerischen Provinz. Die von Mitte der 70er bis Mitte der 90er Jahre bestehende Location etablierte sich im Laufe der Jahre zu einer wichtigen Anlaufstelle für subkulturelle Szenen im Münchener Umfeld und wurde auch über die Landesgrenzen bekannt. Kein Wunder, traten dort doch Ikonen der Marke Nirvana, Sonic Youth, My Bloody Valentine, The Swans, Type O Negative oder Paradise Lost auf, oft noch bevor sie überhaupt bekannt wurden. „Ja, ich hörte, dass der Circus Gammelsdorf schon seit einiger Zeit dichtgemacht hat. Wann immer wir dort spielten, genossen wir das in vollsten Zügen, da alle Leute dort unglaublich nett waren. Aber besagter Abend, der auf „Live“ verewigt wurde, war etwas seltsam, da irgendetwas hinsichtlich Sound in dieser Location und auf der Bühne nicht rund lief. Wir konnten unser normales Live-Setting nicht umsetzen, weswegen ich dort stehen musste, wo normalerweise Mark war und umgekehrt. Deswegen bin ich auf dem Coverfoto an Winos linker Seite zu sehen anstatt rechts. Aus diversen Gründen mussten wir das damals so machen, aber das war auch das Einzige, was an dem Abend nicht so klappte. Wir spielten immer sehr gern im Circus Gammelsdorf, das war stets sehr cool. Der Ort liegt ziemlich abgelegen, irgendwo in der Nähe der Berge. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wieso wir genau dort eine Show mitschnitten, aber das Endergebnis ist doch gut ausgefallen, insofern ist das nicht wirklich von Belang.“

312109409 647495430116734 3094343568675600027 nEin Kreis schließt sich

Über vier Dekaden währte die Karriere von SAINT VITUS, wenn man mal die Jahre der Stille zwischen 1996 und 2003 sowie zwischen 2004 und 2008 ausklammert. Nach seinen persönlichen Highlights der letzten 40 Jahre befragt kommt Dave zunächst etwas ins Stocken: „Puh, das ist wirklich schwierig zu beantworten. Das erste Mal, dass wir in die Punk-Rock-Welt geworfen wurden, war einer der tollsten Momente. Denn diese Art von Shows zu spielen war einfach nur verrückt. Wir hatten es bis zu dem Zeitpunkt noch nie erlebt, dass Musiker anderer Bands zu uns als Security-Kräfte auf die Bühne kamen, um uns zu schützen. Und wir kannten es bis dato gar nicht, dass sich Leute uns gegenüber absolut feindselig verhielten. Das war schon seltsam, aber zur gleichen Zeit auch ungemein aufregend, für mich definitiv ein persönliches Highlight. Unseren Auftritt beim Hellfest 2009 würde ich ebenfalls als Meilenstein bezeichnen, denn das war die größte Show, die wir je gespielt haben. Wir traten als Headliner auf der zweiten Bühne vor etwa 80.000 Leuten oder so auf. Das war ein unglaubliches Gefühl und ein weiterer Höhepunkt in unserer Karriere. Dass wir zudem einige unserer Idole wie Blue Öyster Cult oder Motörheads Lemmy bei diversen Festivals persönlich kennenlernen konnten, war ebenfalls eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Es war zudem oft so, dass ich Musiker traf, von denen ich schon seit Jahren ein Fan war und die wiederum Fan von SAINT VITUS waren. Sachen wie diese sorgten für die nötige Würze des Ganzen und waren supercool.“

Dass der letzte VITUS-Longplayer aus dem Jahre 2019 ebenso wie das Debüt schlichtweg den Bandnamen im Titel trug, geschah im Wesentlichen auf Scott Reagers Anregung hin, für den besagte Scheibe die erste Studioplatte mit der Gruppe seit „Die Healing“ aus dem Jahre 1995 darstellte. „In gewisser Weise wollten wir damit quasi einen Kreis schließen. Unser Debüt aus dem Jahre 1984 war indes ein einziges Durcheinander, nichts lief so, wie ich das wollte. Damals stritt ich mich ständig mit unserer Plattenfirma herum. So wie die Platte letztlich herausgekommen ist sollte sie eigentlich gar nicht aussehen. Aber es war durchaus eine bewusste Entscheidung, sowohl unser erstes Album als auch unsere letzte Scheibe schlicht und einfach „Saint Vitus“ zu nennen.“

Hinsichtlich der Zukunft der Doom-Dinosaurier schweigt sich Dave indes aus: „Momentan gibt's überhaupt keine Pläne bezüglich SAINT VITUS, weder was Konzerte, Tourneen noch was neue Songs anbelangt. Diese Band liegt momentan in jeglicher Hinsicht auf Eis. Ich weiß nicht, ob wir noch mal zurückkommen werden. Schau dir doch nur mal an, was heutzutage auf der Welt so los ist: Man weiß nie, was noch alles passieren wird.“

Christian Wachter
www.saintvitusband.com


 

ESOTERIC: Abgefahrene Aggressivität

Ein Interview mit Greg Chandler (ESOTERIC, LYCHGATE, SELF HYPNOSIS)

esotericlogoAls ESOTERIC anno 1994 ihr Debüt „Epistemological Despondency“ auf die Menschheit losließen, existierte der Begriff Funeral Doom noch gar nicht. Greg Chandler möchte seine Hauptband auch nicht unbedingt in dieser Kategorie einsortiert wissen: „Als wir anfingen, Musik zu machen, waren unsere Haupt-Inspirationsquellen unsere Emotionen, Erfahrungen, die dunklere Seite des Geistes, Philosophie, Okkultismus, Psychedelica und natürlich die Musik selbst. Wir hörten damals fast alle Metal-Stile und ebenso viele andere Musikrichtungen wie Klassik, Psychedelic, Progressive, Dark Ambient, Ambient, Avantgarde, Rock und so weiter. Wir wollten mit ESOTERIC etwas erschaffen, das einerseits sehr düster, langsam und abgefahren war, andererseits aber auch ungemein aggressiv und hasserfüllt. Musik, die sich mit den dunkleren Seiten menschlicher Emotionen auseinandersetzt, zudem fungierte sie für uns als Mechanismus, derartige Dinge freizusetzen. Abgesehen von all den schnellen Sachen genossen wir vor allem langsame Passagen auf Death-Metal-Alben von Bands wie Autopsy, Decomposed, Winter oder den frühen My Dying Bride, Paradise Lost etc. Wir wollten etwas wirklich Schweres, Langsames, aber gleichzeitig auch Aggressives kreieren. Um entsprechende Atmosphären zu schaffen, setzten wir diverse Effekte auf düstere, chaotischere sowie extremere Art und Weise ein. Wir selbst bezeichnen ESOTERICs Musik nicht zwingend als Funeral Doom. Die meisten tun dies jedoch, und das ist schon in Ordnung so. Allerdings wurde diese Klassifizierung erst im Nachhinein angewendet, während der Anfangsjahre dieser Gruppe existierte dieses Subgenre noch gar nicht. Wir denken, dass unsere Musik etwas zu experimentell ist, als dass man sie streng in eine Schublade einsortieren könnte. Diesen avantgardistischen Ansatz hatten wir bereits von Beginn an. Sehr wenige Metal-Bands verwendeten damals Effekte wie wir, vor allen Dingen keine vielschichtigen Effekte, die in Echtzeit programmiert und moduliert wurden. Zudem griffen wir auch auf Loops, die wir ebenfalls modulierten, und viel Delay-Oszillation zurück. Wir versuchten ebenfalls, das Songwriting selbst etwas anders zu gestalten, indem wir ungewöhnliche Akkorde, Tonleitern, Taktarten, Tempi etc. verwendeten. Vieles davon dürfte wahrscheinlich beim Hörer unbemerkt vorbeirauschen, aber wenn man sich mit der Musik sowie der Art und Weise, wie wir diese Klänge erzeugen, näher beschäftigt, dürfte man verstehen, dass da eine immens große Liebe zum Detail drinsteckt. Wir standen weniger auf der melodischen Seite des Doom/Death, was ebenfalls dazu beitrug, dass unser Sound weniger populär war als der vergleichbarer Formationen. ESOTERIC sind kein Easy Listening, und genau das war auch unsere Absicht.“

1DSC 172423Leicht verständlich oder gar oberflächlich sind ebenso die generell eher introspektiven Texte keineswegs. Andererseits wendet Greg jedoch ebenso den Blick nach außen, setzt sich mit der Welt auseinander und streift insbesondere immer wieder die Themenfelder Philosophie sowie Okkultismus, die sich gemäß Chandler eher gegenseitig ergänzen als ausschließen. „Ja, meine Lyrics können sowohl introspektiv sein als auch die Welt um mich herum beobachten. Für mich ist es einfacher, über etwas zu schreiben, das ich erlebe oder über das ich nachdenke, anstatt Geschichten oder Fiktion zu erschaffen. Dies impliziert ebenfalls, dass der Inhalt meiner Texte sehr persönlich ist und mir viel bedeutet, was mir wiederum hilft, mehr Emotionen in den Gesang hineinzulegen. Die Worte haben eine Bedeutung, da steckt Leidenschaft dahinter. Zudem denke ich, dass Philosophie mit vielen Dingen verbunden ist und als ein Werkzeug zur Entwicklung methodischer Denkprozesse herangezogen werden kann. Dieses Streben nach Erkenntnis ist eng verknüpft mit dem Okkultismus, der Psychologie, Religion, dem Wissen, der Realität sowie der Existenz an sich.“

Jung, aber nicht naiv

Wie bereits erwähnt war der kommerzielle Erfolg ESOTERICs relativ überschaubar. Waren die Briten also zu früh dran mit dieser Art von Musik? „Ich glaube nicht, dass es am Timing als solchem liegt, auch wenn wir zu einem Zeitpunkt begonnen haben, als die meisten Bands versuchten, so schnell wie möglich zu spielen. Mag sein, dass sich die Leute erst im Laufe der Zeit daran gewöhnen und sich mit dieser Art von Tempo so nach und nach anfreunden mussten. Aber ich glaube nicht, dass es direkt am Zeitpunkt lag, es war vielmehr so, dass wir begannen, diese Art Sound zu kreieren, als extremer Doom noch etwas sehr Neues war. Sicherlich waren die Reaktionen auf unsere Musik zu Beginn noch recht unterschiedlich und manche davon alles andere als positiv. Das hat uns jedoch nicht davon abgehalten, genau die Klänge zu kreieren, auf die wir Bock hatten. Das allein war schon ungemein lohnenswert. Wir riefen die Band nicht ins Leben, um bekannt zu werden, uns war durchaus bewusst, dass unsere Musik zu extrem und weit davon entfernt war, jemals in kommerzieller Hinsicht eine große Rolle zu spielen. Wir waren jung, aber so naiv waren wir dann doch nicht. Diesen Grundvoraussetzungen gesellte sich noch unsere allgemein eher introvertierte Natur hinzu, was dazu führte, dass ESOTERIC keinesfalls ein Erfolgsrezept war, aber noch mal: Das war auch nicht das, wonach wir strebten. Wir sind froh, dass wir die Aufnahmen unserer Alben finanzieren und einige Konzerte sowie Tourneen spielen können. Kommerzieller Erfolg ist uns nie in den Sinn gekommen – wenn überhaupt, ist es besser gelaufen, als wir das hätten voraussehen können. Wir schätzen alle die Menschen, welche die Band unterstützen, und wir werden weiterhin Musik veröffentlichen und Shows spielen, solange wir den Willen haben, dies zu tun.“

3DSC 1838b22Etwa zur gleichen Zeit wie Greg & Co. versuchten sich vor allen Dingen im Norden Europas Bands wie Thergothon oder Unholy ebenfalls an einem ähnlich düster-atmosphärischen Stil wie die Briten, was die Vermutung nahelegt, dass beide Lager an Gleichgesinnten damals voneinander gewusst haben müssen. Doch falsch gedacht: „Nein, wir kannten diese Bands damals noch gar nicht. Erst, als wir begannen, Fanzines zu kontaktieren und Rezensionen zu unserem Demo „Esoteric Emotions – The Depth Of Ignorance“ sowie zu unserem ersten Album erhielten, entdeckten wir Gruppen wie Thergothon, Unholy, Skepticism, Disembowelment, Evoken oder Mournful Congregation. Wir tauschten mit einigen dieser Bands unsere Veröffentlichungen und hatten das Glück, später mit ihnen die Bühnen zu teilen, sofern sie noch aktiv waren. Ich denke, dass Winter vielleicht die einzige wirklich langsame Band war, die wir bereits von Beginn an kannten. Damals gab's halt noch keine wirklich kommerziellen Magazine, die mehr als nur eine Handvoll Ausgaben herausbrachten. Demnach erhielt man seine Informationen hinsichtlich des Undergrounds schlichtweg aus Fanzines, Tape-Trading und Mundpropaganda. Die 'Neuigkeiten', die man so aufschnappte, waren zumeist schon ziemlich alt, als man sie las. Aber das war nicht unbedingt eine schlechte Sache. Es bedeutete auch, dass Alben länger aktuell waren, dass alles nicht so schnelllebig war.“

Abwechslung ist Trumpf 

Nachdem Greg 1996 eine Ausbildung zum Tontechniker absolviert hatte, arbeitete er ein Jahr später in diversen Studios in Vollzeit. „Insofern ist es also schon eine ganze Weile her, dass ich beschloss, meinen Lebensunterhalt mit dem Produzieren von Musik zu bestreiten. Als ich damit anfing, war ich noch freiberuflich tätig, arbeitete in verschiedenen Studios und machte etwas Live-Sound (obwohl das äußerst selten war und nur zu Beginn meiner Karriere). Nach und nach etablierte ich mich bei den Priory Studios und übernahm sie 2006. Seitdem führe ich demnach mein eigenes Studio. Zwar arbeite ich ab und an auch mal in anderen Studios, aber meistens in meinem eigenen. Im Laufe der Jahre habe ich mich mit allen möglichen Arten von Musik und Projekten beschäftigt. Ein großer Teil meiner Arbeit ist zwar schon mit Metal-Bands, aber ich kooperiere auch mal mit Künstlern anderer Stile. Ich habe zwar keinen blassen Schimmer, an wie vielen Alben ich in all den Jahren beteiligt war, aber ich habe viel Unterschiedliches gemacht, was ich sehr cool fand, alles von Klassik bis Jazz-Fusion sowie Jive, Bhangra, Pop, Folk, Post-Rock, Metal, Rock, Trip-Hop, Dark Ambient, Psychedelic, Progressive, Grunge, Blues, Soul oder indische, afrikanische, südamerikanische, indonesische Musik und so weiter ... Ich mag halt etwas Abwechslung, haha.“

3DSC 1758b21

Mit ESOTERIC bereitet sich Greg gerade auf die im November anstehende Europatournee zusammen mit Saturnus vor. „Diese Konzertreise fängt in Dänemark an und führt uns durch Deutschland, die Niederlande, Belgien, Tschechien, Rumänien, Serbien, Ungarn, Slowenien, Italien und Frankreich. Nächstes Jahr haben wir einige UK-Shows geplant, die jedoch noch nicht offiziell angekündigt worden sind. Zudem beabsichtigen wir auch in einer Gegend zu touren, in der wir bis dato noch gar nicht waren. Davon abgesehen haben wir auch schon etwas an neuem Material gearbeitet, aber das ging aufgrund von Besetzungswechseln nach der Veröffentlichung unseres letzten Albums „A Pyrrhic Existence“ langsamer vonstatten als erwartet. Abgesehen von ESOTERIC hab ich ja auch noch LYCHGATE, mit denen ich vor nicht allzu langer Zeit erst im Studio war und für die ich Gesang aufgenommen habe. Allerdings trete ich mit der Band nicht mehr live auf. Meine andere Gruppe SELF HYPNOSISs führe ich momentan als reines Studioprojekt fort, zudem schreiben wir gerade Songs für ein zweites Album.“

Christian Wachter
www.esotericuk.net