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30. Oktober 2025

Adel verpflichtet … zum Verschwinden

Titania Medien bringt Sherlock Holmes ab jetzt nicht mehr nur ins Ohr, sondern auch ins Regal. Mit DER VERSCHWUNDENE GRAFENSOHN steht aktuell die Veröffentlichung von Band drei bevor – ein guter Zeitpunkt für ein Gespräch mit Mastermind Marc Gruppe.

Sherlock Holmes ist seit über 100 Jahren Stammgast in unseren Köpfen – mal im Hörspiel, mal auf der Leinwand, mal zwischen Buchdeckeln. Auch Titania Medien hat Sherlock Holmes längst akustisch zu neuem Glanz verholfen – mit einer Hörspielreihe, die Fans wie Kritiker begeistert. Nun wagt man den nächsten Schritt: Holmes verlässt das Tonstudio und erobert das Bücherregal.

Nach IM SCHATTEN DES RIPPERS und „Der Lumpensammler von Paris“ steht nun mit DER VERSCHWUNDENE GRAFENSOHN der dritte Band unmittelbar bevor. Diesmal führt die Spur in die Welt des Adels, wo der plötzliche Verlust eines jungen Grafensohns nicht nur für familiäre Verwerfungen sorgt, sondern auch die Fähigkeiten von Holmes und Watson bis an ihre Grenzen fordert. Zwischen Machtspielen, verschlossenen Türen und unerwarteten Wendungen entfaltet sich ein Fall, der die vertraute Holmes-Atmosphäre mit neuem erzählerischen Glanz verbindet. Ein idealer Moment also, um den Schöpfer dieser literarischen Neuadaption zu Wort kommen zu lassen: Autor und Titania-Medien-Mastermind Marc Gruppe.

 

 

Titania Medien ist nun seit vielen Jahren für herausragende Hörspiele bekannt. Wie kam es zur Entscheidung, zusätzlich Romane zu veröffentlichen?

2011 belebten wir unsere 2004 begonnene „Sherlock Holmes“-Hörspielreihe neu, mit den „Geheimen Fällen des Meisterdetektivs“. Wir vertonten insgesamt neun Fälle, die ich selbst geschrieben hatte und die alle auf historischen Gegebenheiten beruhten. Was bedeutete, dass unheimlich viel Recherchearbeit dahintersteckte. Manche Themen haben mich schon von Kindesbeinen an interessiert, und ich verfügte über Unmengen an Sekundärliteratur. Man braucht ja gar nicht immer nur Fantasie – die Geschichte hat ja im 19. Jahrhundert genug Mord, Totschlag und Psychopathen zu bieten, die alle mal mit Sherlock Holmes in Berührung kommen konnten.

 

Warum hast du gerade den Ripper als Auftakt gewählt?

Er ist einer der düstersten, aber auch populärsten Charaktere in Londons Vergangenheit. Dieser unheimliche Serienkiller, der nie entlarvt wurde, ist ja bis heute in aller Munde, egal ob im Film, im Theater oder in der Musik. Allein im Heavy Metal gibt es unzählige tolle Vertonungen des Themas. Judas Priest haben ihn schon in den Siebzigern zum Leben erweckt – da klingt es, als würde er einen direkt im Dunkeln ansprechen. Motörhead ließen die Gestalt in einem Alptraumsong mit einem unheimlichen Phantom im Fenster durch Londons Gassen schleichen. Whitechapel haben ihm – der Bandname sagt ja schon alles – ein komplettes Konzeptalbum gewidmet – sogar mit Remix. Man merkt: Der Ripper ist für Metal-Bands einfach die ideale Figur, um Angst, Dunkelheit und Härte rüberzubringen. Und so ist es dann mit unserer ersten Folge der geheimen Fälle auch passiert: Das Hörspiel ist durchaus blutig, da ich mich komplett auf die wahren Begebenheiten und entsprechend auch auf die bekannten Details zu den einzelnen Morden gestützt habe. Ich denke, diese Dichte des Stoffes, die Wahrheit dahinter, der True Crime-Charakter haben dann dazu geführt, dass wir öfter Anfragen erhielten, ob wir die geheimen Fälle nicht in Romanform herausbringen könnten. So wie die Songs, die ich genannt habe, immer nur einen Aspekt des Ripper-Themas hervorheben können, so passt eben auf eine CD auch nur eine zeitlich begrenzte Wiedergabe der Ereignisse. Ich musste Dinge auslassen oder zusammenfassen, die ich im Roman wesentlich detaillierter und atmosphärischer schildern kann. Dieselbe Einschränkung gab es dann auch bei den folgenden Fällen. Da hat es mich selbst zunehmend gereizt, mir die Geschichten nochmals vorzunehmen und auch das Ungesagte oder Dinge zu beschreiben, die in einem rein akustischen Medium nicht ausführlich erzählt werden können. Trotzdem hat es dann aus Zeitgründen nicht funktioniert mit den Büchern, da die aufwendig recherchierten Skripte mir keinen Raum für die parallele Arbeit an Romanen ließen.

 

Wann wurde die Idee dann wieder aktuell?

Erst als Stephan Bosenius 2020 zufällig auf fast vergessene Holmes-Fälle stieß, nahm die Idee wieder Fahrt auf. Zuerst wollten wir ja nur die inzwischen zwölf von mir erdachten Fälle ausformulieren, doch jetzt eröffneten sich für uns ganz neue Perspektiven. Zwar waren diese Geschichten für uns zu verworren und zu weit weg vom Doyle-Kanon, wie ich ihn schätze, aber sie haben uns dazu animiert, sie neu zu erzählen, und da kam dann das Buchthema wieder auf.

 

Wo liegen die größten Herausforderungen beim (Um-)Schreiben eines Hörspiels zu einem Roman?

Oh, da gibt es einige. Es sind ja völlig verschiedene Medienformen. Ein Hörspiel ist eine Komposition aus Worten, Geräuschen und Musik. Hier darf ich die Grenzen der Hörgewohnheiten nicht sprengen, also beispielsweise kann eine Figur nur begrenzt darüber Auskunft geben, was sie gerade empfindet oder denkt, um ellenlange Monologe zu vermeiden. Es wird nicht erzählt, was die Figur hört, da es ja in den Hintergrundgeräuschen klar wird. Auch muss im Hörspiel einfach in kurzer Zeit viel passieren. Im Buch hingegen kann ich sinnliche Eindrücke, Landschaftsbeschreibungen, innere Monologe, längere Erklärungen und alles, was im Hörspiel keinen Platz findet, ausformulieren.

 

Wie gehst du mit diesem zusätzlichen Raum um?

Ich bin mit Doyles Sherlock-Holmes-Romanen aufgewachsen, daher möchte ich die Art, wie er geschrieben hat, nicht zu sehr verfremden. Doyle hat nicht zu tief in den psychologischen Befindlichkeiten seiner Figuren gegraben, daher nutzen wir den Raum nicht krampfhaft, um ausschweifende Zusätze zu erfinden. Wir füllen den Platz mit Details, die die Geschichte atmosphärisch und die Figuren glaubhaft erscheinen lassen und Möglichkeiten zum Eintauchen in die Geschichte und das viktorianische Zeitalter geben. In DER LUMPENSAMMLER VON PARIS nutzen wir die Chance, eine der tragenden Figuren näher zu charakterisieren und die Motivation für ihr Handeln zu ergänzen. Aber unsere Romane sind auch schlicht ein Mittel, um diejenigen Holmes-Fans gut zu unterhalten, die lieber lesen als Hörspiele hören.

 

Florian Tritsch

 

Titel: IM SCHATTEN DES RIPPERS

Autor: Arthur Conan Doyle, Amy Onn

Buchbearbeitung: Stephan Bosenius, Marc Gruppe

Seiten: 120

Verlag: Titania Medien

Bereits erschienen