30. Oktober 2025
Der Horror-Clown ist zurück
Mit THE JESTER 2 – TRICK OR TREAT slasht sich Colin Krawchuks mörderischer Spaßmacher erneut durch die Kleinstadt – intensiver, düsterer und verführerischer als je zuvor. Der Film wagt den Schritt in die Abgründe seiner eigenen Legende und entpuppt sich als makaber-elegantes Fest des Horrors.
Ende der letzten Dekade schuf Regisseur Colin Krawchuk auf YouTube eine kleine Sensation: drei Kurzfilme über einen unheimlichen Killer-Clown namens „The Jester“, auf deutsch „der Narr“, dessen grausame Eleganz und grotesker Humor Millionen fesselten. Über 30 Millionen Aufrufe (!) später öffnete sich die Tür nach Hollywood – genauer gesagt durch „Blair Witch Project“-Co-Schöpfer Eduardo Sánchez, der Krawchuk als Produzent zur Seite stand und ihm die Chance gab, seinen Dämon in Spielfilmlänge auf seine nichtsahnenden Opfer loszulassen.
Das Ergebnis war der 2024 veröffentlichte „The Jester – He Will Terrify Ya“, ein kleiner, aber raffinierter Schocker, der mit pointierter Atmosphäre und melancholischer Spannung auffiel.
Nun folgt mit THE JESTER 2 – TRICK OR TREAT die konsequente Weiterführung – und sie zeigt: Krawchuk weiß, dass Horror mehr ist als Blut und Schreie. Schon die Eröffnungssequenz macht klar, dass hier jemand das Handwerk des Schreckens versteht. Statt reiner Effekthascherei setzt Krawchuk auf die trügerische Stille, das Warten, die Anspannung zwischen zwei Atemzügen. Der Film zieht seine Kraft aus der Inszenierung – aus dem Wechselspiel zwischen Grauen und Schönheit. Krawchuk filmt die Dunkelheit, als wäre sie ein Charakter: zart, verführerisch, gefährlich.
Im Zentrum steht diesmal Teenagerin Max (Kaitlyn Trenthams), die (scheinbar) eher zufällig ins Fadenkreuz des makabren Spaßmachers (einmal mehr gespielt von Michael Sheffield) gerät. Anders als viele moderne Horror-Heldinnen ist sie keine taffe Überlebenskämpferin, sondern unbeholfen, verletzlich, voller Angst und Schuldgefühle. Ihr Mut wächst nicht aus Selbstbewusstsein, sondern aus reiner Verzweiflung – eine emotionale Wahrhaftigkeit, die dem Genre längst verloren gegangen zu sein schien. Krawchuk lässt sie stolpern, zweifeln, überleben – und macht sie dadurch glaubwürdiger als jede überinszenierte „Survivor Girl“-Figur.
Gleichzeitig öffnet sich THE JESTER 2 – TRICK OR TREAT jedoch auch stärker als sein Vorgänger. Es geht nicht nur um das Überleben, sondern um die Frage, was der Jester eigentlich verkörpert: Schuld? Kollektive Angst? Oder schlicht das Chaos, das in uns allen schlummert? Krawchuk bietet keine klaren Antworten – der Jester bleibt ein Rätsel, ein Spiegel, in dem sich unsere verdrängten Ängste verzerren.
Wo der erste Teil noch mit begrenzten Mitteln improvisierte, entfaltet sich nun ein durchdachtes visuelles Konzept. Die Übergänge zwischen Realität und Illusion sind fließend: Spiegelbilder, Schatten und Projektionen verschmelzen zu Albtraumsequenzen, die an „Nightmare On Elm Street“ erinnern. Krawchuk inszeniert mit einem Auge für das Groteske, für das Schöne im Schrecklichen. Seine Kamera gleitet durch verlassene Straßen, in denen Halloween-Dekorationen zu starren Totems des Wahnsinns werden. Flackerndes Neonlicht spiegelt sich in Pfützen.
Die Morde folgen einer morbiden Choreografie, die zugleich grausam und hypnotisch wirkt. In diesen Momenten blitzt die eigentliche Kunst des Films auf – das groteske Spiel mit Zuschauer*innenerwartungen. Wie einst „Scream“ oder „It Follows“ jongliert auch THE JESTER 2 – TRICK OR TREAT mit den Regeln des Genres, ohne sich über sie zu erheben.
Mit seinem zweiten JESTER-Film hat Colin Krawchuk nicht einfach ein Sequel geschaffen, sondern eine Vision: eine moderne Horror-Ikone, geboren aus dem digitalen Zeitalter, aber inszeniert mit der Eleganz klassischer Kult-Horrorfilme. Ein Film, der sich nicht anbiedert, sondern verführt. Und einer, der beweist, dass Angst, richtig erzählt, immer auch eine Schönheit in sich trägt.
Florian Tritsch
Titel: THE JESTER 2 – TRICK OR TREAT
Land/Jahr: USA 2020
Label: PLAION PICTURES
FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 83 Min.
Erscheint am 06.11.