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30. Oktober 2025

Gefährliche Raubtiere auf See

Titel: DANGEROUS ANIMALS

Land/Jahr: Australien/Kanada/USA 2025

Label: LEONINE Distribution

FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 99 Min.

Erscheint am 05. Dezember

Der für seinen Metal-Schocker „The Devil's Candy“ bekannte Regisseur Sean Byrne bringt einen bemerkenswerten Haifisch-Horror auf den Markt. Sein Flossenfisch-Film DANGEROUS ANIMALS verwandelt die australische See in eine Bühne für Wahn, Schmerz und einen gnadenlos schönen Schocker.

Es gibt Filme, die das Kino verändern – und es gibt jene, die sich unerschrocken auf diese Erbschaft berufen. „Der weiße Hai“ war definitiv Ersteres – quasi der Urknall im Subgenre des Haifisch-Horrors. Ein unbestrittenes Meisterwerk, der zeigte, dass selbst eine simple Prämisse durch Regiehandwerk, Rhythmus und Atmosphäre zu Größe finden kann. Was in den letzten Jahren immer wieder folgte, waren Trittbrettfahrer, bei denen der Flossenfisch zur bedeutungslosen Attraktion wurde. In diesem Meer aus trashigen Haifilmen, das vor Banalitäten schäumt, taucht mit DANGEROUS ANIMALS nun ein Werk auf, das zeigt, dass es auch anders geht.

 

Alptraumfahrt vor der Küste Australiens

 

Der australische Regisseur Sean Byrne ist Genrefans längst kein Unbekannter. Mit dem makaber-eleganten „The Loved Ones – Pretty in Blood“ und dem metallisch dröhnenden „The Devil’s Candy“ hat er sich als kompromissloser Filmemacher etabliert, dessen Œuvre nichts für zarte Gemüter ist. Und auch mit seinem neuesten Werk DANGEROUS ANIMALS bleibt Byrne sich treu: Sein Film ist spannend, roh und unglaublich fesselnd.

Dabei beginnt alles mit einem entspannten Urlaub. Hier lernen wir Heather (Ella Newton) und Greg (Liam Greinke) kennen, zwei Touristen, die das Abenteuer suchen. Und was könnte da besser sein, als eine Haikäfig-Tour zu buchen? Gesagt, getan, und so geraten sie auf das Boot beim exzentrischen Kapitän Bruce Tucker (Jai Courtney). Der Ozean scheint anfangs friedlich, das Wasser klar, die Sonne nachsichtig. 

Dann beginnt die erste Tauchfahrt – bei der man tatsächlich einen ähnlichen Twist wie bei „47 Meters Down“ erwarten könnte. Doch unser Urlauberpärchen kommt wider Erwarten gesund und munter aus dem Wasser  – bis Byrne einen Haken schlägt und Greg sterben lässt. Nicht durch einen Hai, sondern durch Tucker selbst. Was folgt, ist keine klassische Survival-Story, sondern ein perfides Psychospiel: Heather wird von ihm gefangen genommen und unter Deck eingesperrt. Doch dort bleibt sie nicht lange allein.

Denn kurz darauf gerät auch das Surfergirl Zephyr (Hassie Harrison) in Tuckers gnadenlose Gewalt. Bald müssen die beiden jungen Frauen erfahren, dass ihr Peiniger große Pläne mit ihnen hat. Anstatt sie einfach zu ermorden, will er ihren Tod mit kalkulierter Grausamkeit inszenieren – als sadistischen Snuff-Film, in dessen Finale er sie den Haien zum Fraß vorwerfen wird …

 

Ein Seriemörderfilm mit Haien

 

„Und der Haifisch, der hat Zähne, und die trägt er im Gesicht. Und Macheath, der hat ein Messer, doch das Messer sieht man nicht.“ – Die Zeilen aus Bertolt Brechts „Die Moritat von Mackie Messer“ drängen sich einem unweigerlich auf, wenn man den Anfang des Films sieht. Auch stellt sich Tucker als das eigentliche Raubtier heraus – weshalb DANGEROUS ANIMALS bei näherer Betrachtung auch kein klassischer Haifisch-Horror ist, als vielmehr ein Serienkillerfilm mit Haien.

Regisseur Byrne und Drehbuchautor Nick Lepard, der hier sein Autorendebüt gibt, gelingt es, die vertrauten Mechanismen beider Welten zu kombinieren: den kalten, methodischen Schrecken des Killers mit der unberechenbaren, elementaren Bedrohung des Meeres. Heraus kommt ein filmischer Albtraumtrip, der sich weigert, leicht einzuordnen zu sein.

Byrne inszeniert diesen Albtraum mit einer fast chirurgischen Präzision. Jeder Schrei wirkt überlegt, jeder Schnitt wie ein gezielter Messerhieb in die Psyche. Byrne versteht, dass das wahre Grauen nicht im Moment des Angriffs liegt, sondern in der Sekunde davor – im Atemholen, im Innehalten, im Wissen, dass Flucht sinnlos ist. Die Fluchtversuche von Zephyr sind wuchtig, schmerzhaft physisch und dennoch klar strukturiert. Man spürt in jeder Bewegung die Wut, die Panik, den unerschütterlichen Überlebenswillen. Dabei verzichtet Byrne auf unnötige Effekthascherei: Gewalt wird hier nicht ausgestellt, sondern spürbar gemacht. Die Momente der Hai-Attacken sind nicht nur handwerklich hervorragend – von den Effekten bis zur Tonmischung –, sondern auch emotional so präzise gesetzt, dass man unweigerlich mitzittert. Das Wasser, das Blut, das gleißende Sonnenlicht – alles verschmilzt zu einem fiebrigen Albtraum, in dem Realität und Instinkt ineinanderfließen.

Ein Höhepunkt – im wörtlich wie filmischen Sinn – ist die Fütterungssequenz. Wie schon in seinen früheren Werken erlaubt sich Byrne hier eine ungewöhnliche Tonbrechung: Mitten im Grauen tanzt Tucker. Eine groteske Szene, halb „Reservoir Dogs“, halb purer Wahnsinn.

Die Szene hätte natürlich leicht ins Lächerliche abdriften können, doch in DANGEROUS ANIMALS funktioniert sie dank der erstklassigen Figurenzeichnung. Selten ist eine Figur des Genres so präzise konstruiert wie Tucker. Seine Präsenz wirkt wie aus der Tiefe eines Albtraums heraufgeholt. Jede Bewegung, jedes Wort, jede Narbe erzählt eine Geschichte, die über das Drehbuch hinausweist. Sein Körper ist sein Testament: die Narben, die sich wie ein offener Biss über seinen Oberkörper ziehen, erzählen von einem Kindheitstrauma – einem Haiangriff, den er überlebte, ohne je wirklich geheilt zu werden. Diese Wunden sind keine bloßen Andenken, sondern Symbole einer lebenslangen Obsession. Sie haben ihn gezeichnet, geformt und schließlich zu dem gemacht, was er ist: ein Mann, der das Meer nicht fürchtet, sondern verehrt. Er sieht sich als Auserwählten des Raubtiers, als dessen irdisches Werkzeug, als Prophet des Schreckens, der die Balance zwischen Mensch und Natur mit Blut wiederherstellen will.

 

Erstklassige Besetzung

 

Dass das so gut funktioniert, liegt in erster Linie an dem erstklassig agierenden Jai Courtney, den DC-Fans unter anderem als Captain Boomerang aus „The Suicide Squad“ kennen. Hier liefert er die vielleicht beste Leistung seiner Karriere ab – unerbittlich, unaufhaltsam und herrlich unheimlich. Seine Figur bleibt unvergesslich, nicht, weil sie laut oder aufdringlich wäre, sondern weil sie eine unbarmherzige Präsenz ausstrahlt. Courtney spielt seinen Tucker nicht als Monster, sondern als Mensch, der längst mit seinem eigenen Wahn verschmolzen ist. Er ist Täter und Opfer zugleich, Prophet und Gefangener seines eigenen Mythos. Courtney gelingt es, diese Ambivalenz in jedem Blick, in jeder Geste greifbar zu machen.

Hassie Harrison, die Serienfans unter anderem als Laramie aus „Yellowstone“ kennen, überzeugt hier als Zephyr – Tuckers Gegenstück und zugleich sein moralisches Spiegelbild. Zephyr ist jung, attraktiv, Surferin – und geprägt von Brüchen, die sie mit einer Mischung aus Zynismus und Trotz überspielt. Auf den ersten Blick scheint sie das klassische „Final Girl“ zu sein, doch Harrisons Spiel entzieht sich jedem Klischee. Ihre Zephyr ist keine passive Überlebende, sondern eine Frau, die Kontrolle übernimmt, ohne zur unnahbaren Heldin zu werden. Klug, fokussiert und unerschütterlich behauptet sie sich in einer Welt, die sie permanent unterschätzt. Dieses Gleichgewicht aus Empathie und Distanz, aus Verletzlichkeit und kalter Entschlossenheit, macht sie zu einer der faszinierendsten Frauenfiguren, die das Survival-Kino seit Langem hervorgebracht hat. Wenn sie sich den Daumen abbeißt, um zu entkommen, ist das kein reiner Schockeffekt, sondern ein Moment brutaler Selbstermächtigung – der Beweis, dass sie gelernt hat, sich zu retten, weil es sonst niemand tut.

Der restliche Cast um „Harrow“-Darstellerin Ella Newton und Josh Heuston überzeugt ebenfalls und rundet die Besetzung ab. Gerade Heuston beweist, dass er schauspielerisch mehr zu leisten imstande ist, als sein Auftritt als Zeus Pretty Boy in Taika Waititis „Thor: Love And Thunder“ vermuten ließ. Seine Darstellung als Immobilienmakler Moses, der sich in Zephyr verliebt und unweigerlich in Tuckers Spiel hineingezogen wird, zeigt eine deutlich größere Bandbreite und Tiefe, die man in seiner bisherigen Karriere so noch nicht gesehen hat.

 

Fazit

 

Dass DANGEROUS ANIMALS in der Kategorie „Directors’ Fortnight“ bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes lief, ist keine Überraschung. Mit seinem Werk beweist Sean Byrne, dass das Genre-Kino noch immer zu Größe fähig ist, wenn es seine Werkzeuge ernst nimmt. Keine Ironie, keine grelle Meta-Ebene, sondern pure, konzentrierte Spannung. Der Film ist handwerklich makellos, emotional fordernd und dabei erstaunlich elegant. Er erzählt nichts Neues – und doch fühlt sich alles neu an, weil Byrne weiß, wie man Angst organisiert.

 

Florian Tritsch