Sind Musiker heute abgeklärter, mitunter auch desillusionierter bezüglich ihrer Erwartungen und Hoffnungen an ein Label und einen Deal? Oder musst du junge Bands oft auf den Boden der Tatsachen zurückholen – haben viele trotz der Informationsfülle übers Internet völlig unrealistische Ansprüche?
RAPH: In der Tat, Musiker sind heute aufgeklärter, aber das heißt nicht, dass sie gut aufgeklärt sind. Meiner Erfahrung nach, gibt es vier Kategorien von Musikern/Bands:
Erstens: Bands, die denken, dass sie kein Label brauchen, weil Label nur Geld kassieren und nichts machen. Diese Bands veröffentlichen ihre Alben selber über CD Baby, Record Jet, Spinnup oder ähnliche digitale Vertriebsservices und merken nach einem Jahr, dass sie einfach nur draufzahlen, weil niemand das Album kauft, weil kein professionelles Marketing betrieben wurde. Dann suchen sie nach einem Label, das sich um die VÖ vom nächsten Album kümmert, weil 50% von 1000 Euro besser als 100% von 10 Euro sind.
Zweitens gibt es Bands, die leider sehr schlechte Erfahrungen mit Labels gemacht haben. Sie wurden über den Tisch gezogen und sind sehr vorsichtig. Leider gibt es sehr viele unehrliche Labels, die Bands einfach verarschen. Aber meiste spricht es sich rum bei den Bands, sodass man weiß, wo man nicht unterschreiben sollte.
Drittens gibt es Bands, die denken, dass man noch in den 80ern ist, dass Label-Bosse alle Porsche fahren, mit einer dicken Zigarre im Mund. Diese Bands haben in der Tat unrealistische Vorstellungen über Vorschüsse, Lizenzsätze und so weiter. In der Regel finden sie kein Label, entscheiden sich, alles selber zu machen (Kategorie eins) und lösen sich nach zwei Jahren auf, weil sie einen massiven Flop auflegen.
Und dann gibt es viertens die Bands, die sich bewusst bei einem Label bewerben, die um den aktuellen Stand der Musikindustrie wissen und was einem guten, fairen Label-Deal ausmacht. Diese Künstler liebe ich, da sie die perfekte Basis für eine erfolgreiche Zusammenarbeit mitbringen. Label und Künstler sind wie ein Paar, man muss auf einer Welle sein, die Chemie muss stimmen, man muss in dem gleichen Bot sein, um die gemeinsame Ziele erreichen zu können!
Was sind deine Hauptkriterien, wenn du eine Band unter Vertrag nimmst? Muss sie in erster Linie dir gefallen – oder orientierst du dich weniger am privaten Geschmack, sondern eher an kommerziellen Gesichtspunkten: Was verkauft sich, welchen Bekanntheitsgrad hat die Band bereits, wie viel muss man investieren, wie engagiert ist sie promotechnisch in sozialen Netzwerken und live?
RAPH: Das ist eine Mischung aus allem! In erster Linie muss mir die Band persönlich gefallen. Ich stehe zu 110% hinter jeder DARKTUNES-Band. Das ist sehr wichtig, um eine kompetente und erfolgreiche Arbeit zu machen. Jedoch muss man auch ein Gespür für einen potentiellen kommerziellen Erfolg haben. Es bringt mir nichts, eine Band unter Vertrag zu nehmen, weil sie mir gefällt, wenn ich von vornherein weiß, dass sie aus irgendwelchen Gründen unvermarktbar ist. Um konkret zu sein, gehe ich wie folgt vor, wenn ich eine Bewerbung bekomme:
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Ich höre die Musik
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Wenn sie mir gefällt, gehe ich zuerst auf Facebook oder auf die Website der Band, um mir die Ästhetik der Band anzuschauen (Promo-Bilder, grafisches Konzept, Videos...)
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Wenn die Optik mich auch überzeugt habe, nehme ich die Fanbase der Band unter die Lupe. Hat sie überhaupt eine? Wenn ja, handelt es sich um eine richtige Fanbase, oder ist sie ein Fake? Wenn nein, frage ich mich, ob es möglich ist, in den nächsten fünf Jahren eine Fanbase für diese zu bekommen.
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Wenn alles passt, trete ich mit der Band in Kontakt und schaue, wie die Menschen hinter der Band-Maske sind. Dieser Punkt ist sehr wichtig, die Chemie muss stimmen.
Siehst du dich als Talentscout, der Bands entdeckt und für das nächste Level vorbereitet – oder bist du gekränkt, wenn sich Schützlinge von dir in Richtung einer größeren Firma verabschieden?
RAPH: Das ist natürlich schade, wenn du über Jahre eine Band aufbaust und sie dann das erste Universal Music-Angebot annimmt und dich verlässt... Ich glaube, da wäre jeder gekränkt. Das Ziel ist, das nächste Level gemeinsam zu erreichen. Wenn man es erreicht, heißt es, dass Band und Label harmonieren und perfekt zusammenarbeiten. Es entwickelt sich eine enge Beziehung über die Jahre, man vertraut sich, man weiß, was der andere kann, man weiß, wie man seine Ziele erreicht. Falls es nichts mehr geht und eine Band zu einem anderen Label gehen will, liegt es an zwei Dingen: Die Zusammenarbeit war erfolglos, weil man nicht zusammen funktioniert. Oder das Label hat seine Grenze erreicht, und die Band muss woanders hingehen, um sich weiterentwickeln zu können. In dem Fall wird meistens der alte Label-Boss zum Band-Manager und begleitet sie auf ihrem Weg mit dem neuen Label.
Hast du den Namen DARKTUNES bewusst so gewählt, dass er zwar atmosphärisch eine grobe Richtung vorgibt, stilistisch aber offen ist – eben für alle möglichen Strömungen zwischen Rock und Metal, Elektro und Gothic? Willst du zukünftig Sublabel für diese Sparten gründen?
RAPH: Wie gesagt, DARKTUNES war am Anfang eine Gothic- und Metal-Community mit mp3 Shop und Webzine. Wir hatten uns an iTunes angelehnt, um den Markteintritt einfacher zu machen. Aber dann ja, wir haben den Namen behalten, weil es in der Tat eine grobe Richtung gibt, ohne sich in eine Schublade zu stecken. Momentan planen wir nicht, Sublabels zu gründen, weil unsere Bands und Anhänger es toll finden, dass wir einfach nur Dark Music veröffentlichen, egal ob Nu Metal oder Electro Industrial. Aber wer weiß, unser Repertoire verdoppelt sich fast jedes Jahr, und es wäre vielleicht eine gute Lösung, die Bereiche doch zu trennen, um einen besseren Überblick zu schaffen.
Wie sieht deine eigene musikalische Sozialisation aus: Welche Musik hat dich als Kind begeistert, womit bist du vom Mainstream-Hörer zum Verfechter von subkulturellen Strömungen geworden?
RAPH: Ich habe mich sehr früh für Musik interessiert, als Kind (acht bis elf Jahre) wollte ich immer Techno-, Dance- und Trance-CDs zu Weihnachten haben. Dann mit zwölf habe ich mich für Motorräder und für die Biker-Szene begeistert und war von Biker-Rock-Musik fasziniert. Dann mit 14 bin ich immer mehr in Richtung Metal gerutscht. Mit 16 bin ich durch Marilyn Manson in die Gothic-Szene reingerutscht und habe mich sehr für Dark Electro und Industrial Electro interessiert. Parallel dazu habe ich immer französischen Rap, TripHop und Breakbeat gehört. Ich habe mich nie wirklich für ein einzelnes Genre entschieden, es kamen immer neue dazu. Heute höre ich 16 Stunden am Tag Musik. Mein Wecker klingelt mit Metal. Dann gehe ich in der Küche und mache Internet-Radio an, während ich mein Frühstück vorbereite (je nach Stimmung entweder Gothic oder Dark Drum’n’Bass). Dann gehe ich ins Büro und lege eine CD ein (meistens starte ich mit Metal oder Industrial, um wach zu werden). Dann wechsle ich die CD stündlich (ja, ich bin CD-Sammler und habe circa 2.000 CDs im Büro). Wenn ich abends Essen vorbereite, ist das Internetradio wieder dran. Dann mehr Gothic-Radios, da ich es mag, wenn jemand eine Sendung moderiert, und das passiert meistens abends. Und zum Schluss, wenn ich ins Bett gehe, höre ich gerne TripHop zum Einschlafen.
Hast du früher Musikmagazine gesammelt oder gar abonniert – oder bist du aus der Digital-Native-Generation? Ist das Internet für dich als Fan wie als Label-Betreiber ein Geschenk, eine (Arbeits-)Erleichterung oder eine Bedrohung in kaufmännischer Hinsicht?
RAPH: ich bin hart an der Grenze geboren, ich bin kein Digital Native, musste mich aber sehr früh in die digitale Welt einarbeiten, um in der Schule cool bleiben zu können (lacht). Das Internet gehörte zu meiner Teenagerzeit. Ich fühle mich aber wie ein Digital Native. Ich glaube, die Zeiten sind längst vorbei, um das Internet als Bedrohung zu sehen. Das Internet ist da, die Piraterie ist auch längst da, und man kann nichts dagegen machen. Man muss damit leben und eher die positiven Seiten sehen und auch geschäftlich nutzen. Das ist zum Beispiel ein Vorteil von DARKTUNES gegenüber älteren und eingefahrenen Labeln.
Apropos Kaufmann: Hast du etwas in dem Sektor gelernt, auch um Fallstricke beispielsweise beim Steuerrecht zu umgehen? Oder bist du Autodidakt und wächst quasi täglich mehr in deine Aufgaben hinein?
RAPH: Beides! Ich habe meine Fachabitur in Elektronik in Frankreich gemacht, danach habe ich ein Diplom in Marketing und Kommunikation gemacht, dann bin ich nach Deutschland umgezogen und habe die deutsche Sprache ein Jahr lang (à acht Stunden pro Tag) gelernt. Danach habe ich an der Popakademie in Mannheim einen Bachelor in Musikbusiness gemacht, danach noch eine Tontechniker-Ausbildung. Anschließend habe ich angefangen, als Facebook-Marketing-Manager für Großkonzerne wie Microsoft, Sparkasse, O2, BMW... zu arbeiten. Eines Tages hab ich gemerkt, dass es eigentlich nicht das ist, was ich machen wollte, weil mein Herz für Musik schlägt. Ich habe meinen Job gekündigt, um als Booker und Künstlermanager für eine Event-Agentur zu arbeiten. Der Job hat zwar Spaß gemacht, da ich die Möglichkeit hatte, mit großartigen Künstlern wie Glasperlenspiel, Blumentopf oder Westbam zu arbeiten, aber da merkte ich auch, dass ich überhaupt nicht der Typ bin, der als Angestellter einfach funktioniert. Nach zwei Jahren habe ich diesen Job auch gekündigt, um mich selbständig zu machen und das Label zu gründen. Also konnte ich sehr viele Erfahrungen in jedem Bereich sammeln. Wenn mir Kenntnisse fehlten, wie „Steuerrecht für Fortgeschrittene“, habe ich es mir selber beigebracht.
Kannst du dir auch vorstellen, DARKTUNES als reine Download/Stream-Plattform zu betreiben?
RAPH: Ich habe sehr viele Plan-B-Varianten. Ich kann jederzeit zurück in die Marketing-Branche gehen, ich kann weiterhin im Tontechnikbereich arbeiten, oder ich mache ein französisches Restaurant auf! Ich bin zwar CD-Sammler, aber ich habe absolut kein Problem damit zu sagen, dass DARKTUNES ab jetzt nur noch digital veröffentlicht. Es ist zum Teil schon so, 70% von dem Repertoire ist digital only. Es entwickelt sich sowieso in dieser Richtung seit ein paar Jahren.
Dein Business fährt dreigleisig, neben dem Label auch als Vertrieb und als Promofirma. Wie sind die Geschäftsbereiche quantitativ gewichtet? Gibt es viele Bands, die ihre Alben selbst herausbringen und euch als unabhängige Promo-Firma nutzen? Seid ihr für den kompletten deutschsprachigen Raum zuständig oder auch über G/A/S hinaus beispielsweise im Benelux-Bereich oder anderswo aktiv? Die Homepages sind Englisch gehalten, was einen internationalen Anspruch nahelegt.
RAPH: Am Anfang waren die Vertrieb- und Promo-Agentur-Bereiche am größten, wir hatten nur drei Bands „richtig“ unter Vertrag beim Label. Nach zwei Jahren hat sich der Schwerpunkt auf den traditionellen Label-Bereich gelegt, weil wir uns auf unsere eigenen Bands aus Überzeugung, aber auch aus finanziellen Gründen konzentrieren wollten. Mittlerweile ist es so, dass mehr als 60% vom Umsatz aus dem Label-Bereich kommt, und es wird immer mehr. Hier sieht man wieder, dass Bands, die man einfach nur vertreibt, am wenigsten einbringen und dass richtige Label/A&R/Marketing-Arbeit am wichtigsten ist, wenn man was erreichen will. Da ich Franzose bin, arbeite ich sehr viel mit französischen Bands zusammen. Das ist auch ein Vorteil von DARKTUNES, ich bringe französische Bands nach Deutschland, und deutsche Bands nach Frankreich. Wir arbeiten aber mit Bands aus dem ganzen Welt zusammen, haben Künstler aus Russland, Amerika, Mexiko, Italien, Schweiz, Frankreich, Deutschland unter Vertrag und versuchen, sie weltweit zu vermarkten. Der Schwerpunkt liegt aber in Europa. Wir haben keinen eigenen Mailorder, das ist zu Old School und nimmt viel zu viel Zeit in Anspruch. Wir arbeiten mit Soulfood/Sony zusammen und nutzen somit Europas besten Vertrieb mit. Für den Rest der Welt haben wir Inland-Subvertriebe und sind somit breit aufgestellt.
Welcher Art ist eure Kooperation mit Trisol?
RAPH: DARKTUNES ist ein eigenständiges Label. Trisol ist ein Partner von uns. Ich arbeite als Freelancer für Trisol und bin für den digitalen Bereich zuständig. Es gibt Künstler, da kümmern sich Trisol um das Marketing und die digitale Distribution und wir um die physikalische Distribution. Diese Kooperation ist bei unseren Künstlern sehr beliebt, da sie Power und Know-how von beiden Labels nutzen können.
Derzeit habt ihr abseits der Trisol-Kooperation 13 Bands auf der Homepage gelistet. Gibt es neue Signings, die demnächst mit Veröffentlichungen aufwarten?
RAPH: Oh ja, wir haben einige großartige neue Signings in der Pipeline! Es gibt auch die eine oder andere Band aus dem Vertrieb, die wir „upgraden“ werden, weil die langjährige Zusammenarbeit sich zu einer Freundschaft entwickelt hat und wir das Potentiell der Bands erkannt haben, die positive Weiterentwicklung. Wir haben keine kritische „Signing-Grenze“. Wenn meine zeitlichen Kapazitäten, hochqualitative Arbeit abzuliefern, erschöpft sind, werde ich Mitarbeiter einstellen, um DARK TUNES weiterhin zu vergrößern und um neue vielversprechende Bands zu fördern und aufzubauen.