BY NORSE MUSIC: Interview mit Simon Füllemann
Simon, du hast gemeinsam mit Einar Selvik (Wardruna) und Ivar Bjørnson (Enslaved) im Jahr 2016 BY NORSE gegründet. Was war die Idee hinter diesem Projekt?
Hi, und besten Dank für das Interview erst mal! BY NORSE entstand aus der Idee heraus, Showcases und Veröffentlichungen nach unseren Wünschen und Vorstellungen umzusetzen. Wir fingen in London mit einer dreitägigen Veranstaltung an. Bands wie Wardruna, Enslaved, Skuggsja, Einar Selvik und BardSpec waren dabei, aber auch eine Kunstausstellung, u.a. mit Gemälden von Ghaal. Die Veranstaltung war so erfolgreich, dass wir weitere Events mit lokalem Touch in New York und Oslo organisierten. New York fand im Scandinavia House und in der Webster Hall statt. Das was auch im Nu ausverkauft. Dasselbe in Oslo, als wir den Club Bla für drei Tage für uns hatten. Zur gleichen Zeit wollte Ivar die Rechte an einem Teil seines Backkataloges verwerten. So kam es, dass wir Enslaveds „Vikingligr Veldi“ zum ersten Mal als offiziellen Vinyl-Release veröffentlichten. Etwa zur gleichen Zeit haben Einar und ich drüber diskutiert, das nächste Wardruna-Album selbst zu veröffentlichen, was dann auch circa fünf Monate nach Gründung Tatsache wurde. Es war die grundsätzliche Idee, alles selber in der Hand zu haben, die uns trieb. Wir wollten unser Leben gestalten, wie es uns passt, ohne Kompromisse.
Jetzt weiß man ja, dass ihr drei auch privat gut befreundet seid. Inwieweit besteht hier auch die Gefahr, Privates und Geschäftliches zu vermischen, oder habt ihr das an sich gut im Griff?
Das ist richtig, wir sind Freunde über die Arbeit hinaus. Uns verbinden neben obengenanntem starken Wunsch nach geschäftlicher Freiheit und Selbstverwirklichung eine gemeinsame Vision und Werte. Der gegenseitige Respekt und die Freundschaft sind uns sehr wichtig. Wir kommunizieren ja auch täglich miteinander. Wir trennen dabei jedoch strikt das Private und Geschäftliche. Selbst in den täglichen Gesprächen machen wir da strikte Ansagen, wenn wir Privates diskutieren wollen. Da gibt es kein Vermischen – darf es nicht! Freundschaft ist gut und kann helfen, aber meiner Erfahrung nach kann es oft zum Gegenteil führen. Sobald es geschäftlich richtig schwer wird, kann Freundschaft die Objektivität nehmen. Das wollen wir nicht. Das war für uns von Anfang an klar, und wir haben vertraglich geregelt, was Geschäft ist und was nicht. Hier gibt es keinen Spielraum. Sobald es mal hart auf hart gehen würde, müssten die Anwälte eine Grundlage haben, zu entscheiden. Aber genau diese klare Linie in allen Belangen macht unsere Freundschaft so stark. Es gibt keine Unsicherheiten. Ich musste diesbezüglich viel lernen und aufgrund eben dieser nicht gesetzten Regeln ging mein erstes Geschäft den Bach runter. Da habe ich alles verloren, und das war mir eine Lehre.
Wie kommt eine Band zu einer Zusammenarbeit mit BY NORSE? Okay, sie muss aus Norwegen sein, aber sonst?
Nein, die Band kann von überall kommen! Wir schließen niemanden aus. Wir arbeiten ja auch mit Kaunan, bei denen ein Teil der Band aus Deutschland, ein anderer aus Österreich stammt. Oder Tvinna, eine Band mit deutsch-holländischer Besetzung. Somit kann sich jeder bei uns bewerben. Das begrüßen wir sogar. Wir setzen keine territorialen Grenzen. Unser Geschmack ist unser Grenzgeber. Alles drei haben einen ganz eigenen Geschmack, und wir sind sehr wählerisch. Grundsätzlich ist aber Einar der bestimmende Faktor. Er ist ein Musikgenie, genau wie Ivar. Beide haben ein hohes Musikverständnis für alle Genres. Sie verstehen, was zu BY NORSE passt. Ich bin eher der Stratege/Planer und gebe Input zu den Bands. Natürlich ist es auch so, dass Melanie, die BY NORSE führt, hier gewichtig mitzureden hat. Sie bearbeitet ja auch die meisten Projekte. Ohne sie ginge bei uns nichts. Somit sind alle Bands weltweit eingeladen, uns zu kontaktieren, vorausgesetzt, sie scheuen kein ehrliches Feedback.
Wie ist denn die Aufgabenverteilung bei BY NORSE so geregelt? Ich gehe mal davon aus, dass du eher für die Strategie stehst, und Einar den musikalischen Part innehat. Nur was macht dann Ivar?
Ich bin der Stratege. Ich habe z.B. die Festival-Idee entwickelt oder wie wann was gelauncht wird etc. Melanie führt BY NORSE im Tagesgeschäft und hat auch das Sagen in Produktion etc. Sie ist unser Herz. Ivar macht das Accounting, und Einar ist der A&R. Ivar und Einar sind sehr federführend in der Band-Auswahl. Wir sind ein Superteam, bei dem jeder seinen Part hat. Jeder ist glücklich und trägt zum großen Ganzen bei, das macht dieses Label so anders und spannend.
Die beiden Zugpferde bei BY NORSE sind zweifellos Wardruna und Enslaved. Gerade Erstgenannte haben ja mittlerweile ohne Frage den Sprung zu absoluten Megasellern (vor allem live) geschafft. Du hast ja mit den Jungs schon sehr lange Kontakt, warst Tourmanager/Booking-Agent. Hättest du je gedacht, dass Wardruna mal so durch die Decke gehen könnten?
Das ist richtig, diese beiden sind unsere Zugpferde, neben Ivar Bjornson & Einar Selvik (Skuggsja/Hugsja). Was Wardruna angeht, war ich schon ganz früh mit an Board. Es ist ebenfalls richtig, dass ich bis Ende 2019 das Management, Booking, Merchandising unter AISAmusic und Tour Management übernommen habe. Tour-Management ist mehr so ein Hobby und aus der Not heraus entstanden. Es ist auch ein großer Teil meiner Leidenschaft für diese Band, dabei zu sein, die Entwicklung hautnah mitzuerleben. Darum mache ich das. Seit Anfang 2020 konzentriere ich mich vollständig auf Management und Merchandising, während Cobra das Booking übernommen hat und Sony mit an Bord kam für bestimmte Märkte für den nächsten Release. Sie unterstützen BY NORSE und Wardruna, wie wir es wollten. Wir geben keine Freiheit auf. Für mich und meine Mitarbeiter war es einfach neben BY NORSE und allem anderen unter AISAmusic zu viel geworden. Aber bis dahin haben wir alles selber gemacht – und darauf bin ich stolz. Ob ich das jemals gedacht hätte, dass Wardruna so groß werden? Nein, ich habe es gehofft, da Wardruna meine Lieblingsband der 2000 sind! Was Slayer für mich in den 80ern waren, sind Wardruna seit 2009. Es war für mich eine Herzensangelegenheit, alles, was ich kann, für Wardruna zu geben. Man muss verstehen, dass in der Musikbranche das 80/20-Prinzip besteht. 20% kann man beeinflussen, der Rest geschieht einfach, wenn man die 20% richtig macht. Authentizität und Identität sind bei uns ganz wichtig. Das macht auch den Erfolg aus. Wir machen nicht auf pompös oder Big-Show. Hier ist alles echt. Das macht Wardruna so stark und ehrlich. Einar und seine Leute sind so. Die leben so, tagtäglich. Hinzu kamen glückliche Faktoren wie das 2009er Album „Gap Var Ginnunga“, das wirklich zum richtigen Zeitpunkt kam und ein Erfolg wurde, oder die TV-Serie „Vikings“, für die Einar bei der Musik mitgewirkt und auch in zwei Episoden als Schauspieler mitgespielt hat. Diese Faktoren kann man nie voraussehen, und sie gehören zu den 80%, die passieren, wenn man eben authentisch ist und ein wenig Glück hat. Dieses Jahr kommen noch einige andere hinzu wie die Musik für das Game „Assassin‘s Creed: Vikings“. Als ich mich 2010 entschlossen habe, für einige Jahre nach Norwegen zu ziehen, war mir sofort klar, dass ich hier meine geistiges und spirituelles Zuhause finden werde. Kein Hokuspokus, aber die Verbundenheit mit der Natur und die Bodenständigkeit. Und so kam es auch. Es war so herrlich, das zu sehen und zu leben. Da habe ich zum ersten Mal gespürt, dass dies viele Menschen erreichen kann.
Bei Enslaved könnte die Entwicklung meiner Meinung nach in dieselbe Richtung tendieren, oder glaubst du, dass Enslaved vielleicht dann doch zu hart/zu sperrig für den ganz, ganz großen Durchbruch sind?
Das ist richtig. Das wird auch so sein mit dem neuen Album. Es ist ein Meisterwerk geworden und steht mehr denn je für ihre Authentizität. Ich glaube, mit diesem Album werden viele die Band besser verstehen. Das Problem war für mich immer, dass es zu intellektuell war. Man konnte die Band nicht wirklich fassen, obwohl musikalisch alles top ist. Nun haben sie es geschafft, ihr Wesen und Gedankengut so darzustellen, dass man sieht, dass Enslaved eigentlich wie Wardruna sind, nur eben Metal spielen. Die Band lebt, was sie sind, und sie sind seit frühester Kindheit Musiker. Ivar, seit er elf ist. Phobia hat er mit 13 gemacht… So was gibt es nicht oft. Und auch BY NORSE und Ivar Bjornson und Einar Selvik sind Teil von Enslaved und umgekehrt. Enslaved ist wie gesagt, einfach die metallische Form dieses Ausdrucks. Für mich ist das vom Geiste her dasselbe. Enslaved hat natürlich klar den Nachteil der harschen Vocals. Da wird es immer Grenzen geben, da bin ich bei dir. Aber die Band wird wachsen und neue Freunde finden, davon bin ich überzeugt. Für mich ist das neue Album das beste seit „Below The Lights“.
Aktuell ist ja kulturtechnisch aufgrund der Corona-Pandemie eher Stillstand angesagt. Ihr seid ja bei BY NORSE direkt betroffen, Wardruna mussten ihre Tour verschieben, Enslaved ihr bereits fertiges Album. Inwieweit entstehen da Kosten für euch, auf denen ihr in so einem Fall sitzen bleiben könntet?
Das ist richtig. Vor allem die Tour- und Release-Verschiebungen von Wardruna und Enslaved sind brutal. Diese Situation betrifft uns alle. Vom High-Level-Management bis zum Die-Hard-Fan. Es ist schrecklich mitanzusehen, dass so viele sich, aus heutiger Sicht, in Unkosten gestürzt haben und nun höchstwahrscheinlich darauf sitzen bleiben. Ich bin auch Fan und verstehe somit auch diese Probleme mit gebuchten Flügen, Festival-Tickets, Hotels etc. Es betrifft also nicht nur uns hinter den Kulissen, sondern leider auch die Fans, was ich sehr bedaure. In unserem spezifischen Fall ist das natürlich ebenfalls eine große Katastrophe, da wirklich alles zusammenhängt: Planung, Album-Release, das ganze Tour-Booking, Einkommen für alle Mitarbeiter und auch für das Label. Nun ist der Worst-Case eingetroffen, und es muss alles verschoben werden, inklusive Release. Dies wiederum führt zu Verschiebungen der Video-Premieren, die Vorverkäufe ändern sich, und ein Großteil der Arbeit muss nochmals verrichtet werden und und und. Das ist ein Rattenschwanz an Effekten, welchen man sich kaum vorstellen kann, wenn man nicht Teil davon ist. Was das monetär für alle heißt, und zwar für alle Parteien, von den Stagehands bis zu Sony Music, ist schwer abzuschätzen, aber es ist existenzbedrohend. Somit ist das jetzt für uns das Worst-Case-Szenario. Wir werden nicht nur im finanziellen Bereich quasi einen doppelten Schaden tragen, sondern auch quasi doppelt und dreifach arbeiten. Nicht zu vergessen, die PR-Ausgaben für die Konzerte, die nun nicht stattfinden. Generell gesagt, wir müssen eine total neue Strategie ausarbeiten für die kommenden zwei Jahre, und das möglichst schnell. Das müssen wir nicht nur für Wardruna machen, sondern auch für den Brand Nordic Night, worunter wir viele Events und Veranstaltungen geplant hatten und in Gelsenkirchen die zweite Veranstaltung als EU Kick-Off geplant war. Red Rock letzten Oktober war der erste Event in der Reihe zum Beispiel. Aber da kann man nichts machen. Es liegt nicht in unserer Hand. Darüber haben wir früh diskutiert und beraten, wie man hier allen Beteiligten am besten helfen kann. Wir sind nicht der Typ, der lange nachtrauert, wir schauen immer nach vorne. Was kann man tun? Wie kann man helfen? Wir haben schnell gesehen, dass wir nur etwas machen können, was authentisch ist, und es etwas sein muss, das nicht nur uns, sondern allen hilft. Darum haben wir z.B. nordicmusicmerch.com am 1. Mai gelauncht. Eine Plattform für alles Nordische für Fans wie uns, für Bands, die Einkommen brauchen, und dadurch auch für Managements oder Crew. Wir werden ebenfalls neue Wege im Live-Segment gehen und viral, wobei wir immer „wie können wir helfen“ im Fokus haben werden. Einige dieser Ideen sind ja nun bereits gestartet, und ich hoffe, dass die Leute zahlreich dabei sind, bei unsere Events und Plattformen. Das wird unseren Crews und Menschen helfen, hier heil rauszukommen. Es wird länger dauern, als wir alle denken…
Schauen wir auch ob der ganzen Corona-Geschichte mal in die Zukunft. Ich wage zwei Prognosen und würde gerne deine Einschätzung hören. 1. Im Jahr 2021 werden wir wohl einen Tournee-Overkill erleben, alle Events, die nachgeholt werden müssen, plus die, die neu geplant sind. 2. Es werden wohl eher nur die „größeren“ Bands das Ganze mehr oder weniger unbeschadet überleben.
Da bin ich größtenteils bei dir. Aber an Q1-2021 zweifle ich ebenfalls noch stark, zumindest, so wie wir Live-Shows kennen. Solange keine Impfung da ist, wird nichts so sein, wie es war, und Events werde „bizarr“, wenn überhaupt welche stattfinden. AISAmusic und BY NORSE rechnen mit Herbst 2021, um ehrlich zu sein. Wir planen nur lokale Shows mit lokalen Bands in Territorien wie Norwegen, wo bereits keine Fälle mehr auftreten und es quasi isolierte Länder sind. International sehe ich das eher nicht, wie gesagt. Vor allem für größere Events. Aber ja, 2021 wird brutal, da alles von 2020 auf 2021 geht, und die meisten Bands, die 2021 was rausbringen wollen, praktisch keine Chance haben, zu touren oder auf Festivals zu spielen. Somit ist es richtig, dass die großen und authentischen Bands die besten Chancen haben, glimpflich davonzukommen. Ich bange sehr um unsere kulturelle Vielfalt in der Musikbranche. Das wird sich sehr ändern. Kaum eine Band im mittleren Segment wird überleben können, da ihr Hauptverdienst weggebrochen ist. Der Markt wird nun konzentriert auf Online-Business. Somit entsteht auch da ein Überangebot. Wir versuchen, Qualität und Authentizität zu bieten. Etwas, das Leute Halt gibt in der schwierigen Zeit, ohne plakativ zu sein. Man sollte sich damit beschäftigten und sagen: Ja, das will ich, das will ich unterstützen. Uns ist es wichtig, nicht zu bevormunden. BY NORSE ist eine inkludierende Firma, wie AISAmusic auch. Wir sind alle im selben Boot!