Wer die Band erstmalig live sieht, geht ganz automatisch davon aus, dass der charismatische Sänger und Teilzeitgitarrist mit Vornamen Sebastien heißt. Ein Irrtum, den Georgen (eigentlich Jiri) gerne erläutert. „Irgendwann fanden wir heraus, dass kaum jemand unseren alten Bandnamen Navar richtig aussprechen konnte. Wir suchten nach einer einprägsamen, sprachlich griffigen Alternative und wollten uns mehr in Richtung Symphonic Metal orientieren. Damals begannen unsere Konzerte mit einem Intro, in das auch eine berühmte Melodie von Johann Sebastian Bach eingebettet war. Also nahmen wir seinen zweiten Vornamen, schrieben ihn aber SEBASTIEN, weil es eine Hardcore-Band namens Sebastian gab. Aus dem Schwenk zum Symphonic Metal wurde nie so richtig etwas, aber der Name hatte Bestand.“
Das 2005er Navar-Album „1621“ war komplett auf Tschechisch getextet, aber auch die drei Songs des ersten SEBASTIIEN-Demos. „Závidím“ drei Jahre später. „Ich war immer ein großer Träumer. Aber selbst in meinen wildesten Träumen konnte ich mir zunächst nicht vorstellen, dass wir außerhalb unseres Lands als Musiker Erfolg haben könnten. Meine ersten zehn Musikerjahre war ich ein lokaler Künstler. 2008 änderte sich unser Songwriting, wurde vielleicht erwachsen. Als ich die ersten Ideen für ‚Dorian‘ hatte wusste ich, dass Tschechisch nicht mehr dazu passt. Dieser Song war die Initialzündung für englische Texte. Für „Tears Of White Roses“ und „Dark Chambers Of Deja-Vu“ baten wir den hiesigen Poeten Jan Petričko, uns die englischen Texte zu schreiben. Ich gab ihm die Themen und Rohentwürfe. „Act Of Creation“ ist das erste SEBASTIEN-Album, bei dem auch die Texte komplett von uns sind. Grundsätzlichen bevorzugen die hiesigen Fans, dass einheimische Bands Tschechisch singen, aber die jüngere Generation ist diesbezüglich offener. Jetzt, mit mehr Erfahrung, schreibe ich dien Texte auch direkt auf Englisch. Der Bonustrack am Albumende, ‘V Sítištěstí‘, ist die tschechische Version von ‚Queen From The Stars‘. Es ist ein Song, den Andy Mons für seine Frau geschrieben hatte. Ich sang ihn zu seinem Gitarrenspiel bei ihrer Hochzeit vor einigen Jahren. Daher entschieden wir uns für beide Versionen auf „Act Of Creation“. Die tschechische ist für unsere internationalen Fans eine kleine Besonderheit.“
Songs aus der Navar-Ära befinden sich nicht mehr im Set. „Mit Ausnahme von zwei Gigs für spezielle lokale Promoter, die schon Navar-Fans waren. Ich mag das damalige Album immer noch, weiß aber nicht mehr, wie viele Einheiten davon gepresst wurden. Manche wurden sogar nach Japan exportiert. Mittlerweile sind alle Bestände ausverkauft und ich besitze nur noch mein eigenes Belegexemplar. Ein deutsches Label würde es gerne wiederveröffentlichen. Wir werden sehen – Priorität hat das derzeit für uns nicht.“
Mit seiner Wollmütze und dem Mehrtagebart ähnelt George dem deutschen Comedian und Satiriker Torsten Sträter. „Cool, ich habe seine Homepage gecheckt – vielleicht sollten wir ein Projekt starten, die „Rockin‘ Beanie Twins“. Gebt mir seine Telefonnummer“, lacht der 1984 geborene Musiker, dessen Vater Sträter als 1966er Jahrgang sein könnte. „Früher hatte ich lange blonde Haare, rasierte mir dann aber eine Glatze. Bei vielen Auftritten rann mir dann aber der Schweiß direkt in die Augen. Manchmal brannte es so sehr, dass ich die Augen nicht geöffnet halten konnte. Also begann ich, konsequent Beanies zu tragen, was schließlich zu einem Markenzeichen wurde.“
Schon für das Navar-Demo schrieb Rain einen Song über Troja Auch heute noch bevorzugt er Bücher gegenüber Spielfilmen oder Dokumentationen als Inspirationsquell. „Allerdings wünschte ich mir mehr Zeit zum Lesen, mein Freund. Vieles ändert sich, wenn man erst einmal Vater ist. Ich studierte unter anderem Geschichte, es gehörte zu meinen Hobbys, also war es klar, dass ich dieses Interesse für unsere Texte anzapfte. Ich liebe aber auch die Magie, die Atmosphäre eines Orts, genius loci. Daher reise ich gerne und ließ mich unter anderem In Rom, London, Wien und Schottland direkt inspirieren. Oder auch in meiner Heimat, wie für ‚Fields Of Chlum (1866)‘. Interessierten Fans empfehle ich als Lektüre vor allem Bücher der französischen Annales-Schule von Autoren wie Marc Bloch, Georges Duby und Jacques Le Goff. Ich sammle Originale, darunter auch deutsche oder solche in lateinischer Sprache. Dafür klappere ich Antiquitätenläden und Buchhandlungen ab, stöbere aber auch im Internet. Die meisten Bücher meiner Sammlung haben religiöse Themen. Es ist faszinierend, etwas zu besitzen, das vor 300 Jahren von Hand hergestellt wurde. In einem Buch fand ich drei kleine Papierblätter mit Noten, handgeschrieben am Ende des 17. Jahrhunderts. Als ich jünger war, sammelte ich zunächst Münzen. Ich besaß einige keltische und arabische Exemplare, spezialisierte mich aber auf Exponate aus dem mitteleuropäischen Mittelalter. Nachdem alles gestohlen wurde, begann ich erneut, aber es war zu frustrierend, also sattelte ich auf Bücher um.“
Nicht nur national ist George in der Musikerszene gut vernetzt. „Für zwei Jahre lebte ich in Schottland. Ich habe alle Gastbeiträge auf unseren SEBASTIEN-Alben arrangiert. Bei Kreyson brachte ich Mike Terrana als Drummer und Roland Grapow als meinen Gitarrenkompagnion ein. Die Wahrheit ist, dass ich früher gar kein wirkliches Interesse an der einheimischen Musikszene hatte. Ich wollte immer hier raus… Aber nach den zwei Auslandsjahren, zwei Europatouren und den vielen Reisen, die ich liebe, fühle ich mich hier im Herzen Europas doch sehr wohl.“ Zudem arbeitet George neben seinen Verpflichtungen bei der eigenen Band sowie den Veteranen Kreyson und Citron an der Yamaha-Musikschule als Gitarrenlehrer. „Das sind zwei Tage die Woche und meine „Kids“ sind teilweise über 50 Jahre alt. Meist kennen meine Schüler oder deren Eltern mich von Kreyson und Citron, so dass ich ihnen immer mitgebe, sich auch mal SEBASTIEN anzuhören. Normalerweise mögen die meisten unsere Musik dann – so sagen sie es mir zumindest. Nach meinem Uni-Abschluss arbeitete ich in Schottland auf Beerenfarmen und dann in Edinburgh als Pflegekraft. Wieder daheim folgten ein Job bei einer Mobilfunk-Firma und drei Jahre als Verkäufer in einem Instrumentenladen.“ Zudem spielt George zudem noch in der Akustiktruppe von Kreyson- wie Citron-Sänger Lada Křížek .
Dass er einen Master Of Arts saht bedeutet im übrigen nicht, dass Rain abseits der Musik künstlerisch tätig ist. „Das ist wie Ph.D. beispielsweise auch nur ein akademischer Titel. Glaub mir, niemand würde etwas von mir gemaltes sehen wollen“, schmunzelt er. Erstmals wurden nicht nur die Texte komplett von der Band verfasst, auch die Aufnahmen fanden bei ihrem Bassisten Petri statt. „Er besitzt ein professionelles, kleines Studio, in dem neben lokalen Rockbands auch Pop und Rap-Künstler aufgenommen haben. Roland Grapow, der unser Debütalbum produziert hat, ist ein enger Freund von mir, zudem Mitmusiker bei Kreyson und Produzent des letzten Citron-Albums. Mit SEBASTIEN wollten wir aber freier und noch mehr auf unsere Ideen fokussiert sein. Man hört den Unterschied, die Keyboards und Backing-Vocals kommen beispielsweise stärker zur Geltung. Roland hat uns viele seiner Erfahrungen vermittelt, durch ihn wurden wir zur professionellen Band. Derzeit wollen wir unseren eigenen Sound finden, aber das schließt eine weitere Kooperation in der Zukunft nicht aus.“
Mit Apollo Papathanasio, der schon auf „Tears Of White Roses“ eine Gastrolle übernommen hatte, gibt es ein Wiederhören. „Wir sind Freunde, mailen und telefonieren häufig. Nach seiner großartigen Perfomance bei ’Silver Water‘ stand er 2012 beim Masters Of Rock mit uns auf der Bühne. Drei Jahre später schrieb ich ‚Chasing Shadows‘ und ‚Fallen Endlessly‘ für sein Soloalbum. Für beide Songs nahm ich die Gitarren, den Bass und einige Backings auf. Nun also eine weitere Kooperation, für die auch ein Video-Clip gedreht wurde. Ich liebe seine Stimme vor allem im Power Metal-Umfeld von Firwwind oder damals Majesty, schätze aber auch seine aktuelle Ära bei den Spiritual Beggars sehr. Seine stimmlichen Fähigkeiten sind herausragend! Ich liebe einfach Musik. Von Mozarz bis Elvis, von The Beatles bis Michael Jackson, von Black Sabbath bis Cradle Of Filth. Genesis habe ich ein meiner aktuellen Playlist, weil ich gerade das fantastische aktuelle Buch von Phil Collins („Da kommt noch was – Not dead yet“ – Anm. d. Verf.) lese.“