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Mit PETER PAN'S NEVERLAND NIGHTMARE wagt das sogenannte Poohiverse einen weiteren kühnen, beinahe respektlosen Schritt tiefer in den Abgrund der literarischen Dekonstruktion von Kindheitshelden. Scott Chambers, der hier nicht nur die Inszenierung übernommen hat, sondern auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, schafft mit seiner Interpretation von J.M. Barries „Peter Pan“ ein Werk, das gleichermaßen verstört wie fasziniert.

Statt uns wie in den beiden Vorgängerfilmen in den Hundertmorgenwald zu Pooh und seinen garstigen Freunden zu entführen, präsentieren uns die Macher hier ihre Version des ewigen Jungen Peter Pan. Dieser ist hier kein schelmischer Kindheitsheld, sondern ein verdreckter, geistig entgleister Serienkidnapper. Sein „Nimmerland“ ist keine Traumwelt, sondern ein verfallenes Crackhaus am Rande der Realität, ein Ort voller Verwesung, Wahn und Wahnsinn. Die Mär wird zum Horrortrip, zu einer düsteren Parabel über Missbrauch, Sucht und den Verlust der Unschuld.

Unterstützt wird Peter von Tinkerbell (Kit Green), die als gebrochene Figur mit leeren Augen agiert. Ihre Herkunft ist so tragisch wie perfide inszeniert: einst ein unschuldiges Kind, entführt von Peter und seither durch Drogen (hier zynisch als „Feenstaub“ bezeichnet) und psychologische Manipulation in seine willenlose Helferin verwandelt. Dass Chambers Tinkerbell nicht zur Karikatur degradiert, sondern sie mit subtiler Tragik auflädt, zeugt von einer unerwarteten Sensibilität im Grauen. Im Mittelpunkt der Geschichte steht jedoch Wendy Darling (Megan Placito), die versucht, ihren kleinen Bruder Michael (Peter DeSouza-Feighoney) wiederzufinden, der von Peter entführt wurde, als sie auf ihn aufpassen sollte. Wendy ist hier Jägerin und Gejagte zugleich.

Chambers gelingt mit seinem Film ein bemerkenswerter stilistischer Wechsel: PETER PAN'S NEVERLAND NIGHTMARE ist kein ironischer Fun-Slasher wie seine Vorgänger, sondern ein, trotz seiner Prämisse, ernster Psychothriller mit Splatter-Einschlag. Die Gewalt ist roh, explizit und stets schmerzhaft – nicht Selbstzweck, sondern Ausdruck einer zutiefst gestörten Welt. Die Morde, meist mit dem Messer verübt, sind choreografiert wie makabre Tänze, untermalt von einem pulsierenden Sounddesign, das sich tief in die Magengrube bohrt.

Die schauspielerischen Leistungen sind – ganz entgegen der Erwartung bei einem Horrorfilm dieser Art – durchweg überzeugend. Besonders Martin Portlock brilliert mit seiner Peter-Pan-Darstellung, die irgendwo zwischen „Es“-Clown Pennywise und Batman-Gegner Joker changiert, ohne je ins Lächerliche zu kippen. Seine Figur ist keine Parodie, sondern ein Manifest des Bösen im Kinderzimmergewand – verstörend glaubhaft, erschreckend real.

PETER PAN'S NEVERLAND NIGHTMARE ist ein riskantes Unterfangen, das seine Wurzeln im Trashkino nie ganz verleugnet, aber überraschend tiefgründige Qualitäten offenbart. Es ist ein Film, der sich traut, konsequent zu sein – in seiner Morbidität, in seiner Härte, aber auch in seiner ästhetischen Kohärenz. Wie es sich für ein Franchise gehört, führt der Film zudem auch einige Charaktere wie Captain Hook (Charity Kase) ein, die in den kommenden Filmen noch wichtige Rollen spielen werden.

Scott Chambers beweist mit diesem Werk, dass das sogenannte Poohiverse nicht bloß ein kurioses Meme ist. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die Figur des Peter Pan im angekündigten Gipfeltreffen der fiesen Kindheitshelden POOHNIVERSE: MONSTERS ASSEMBLE entwickelt, in dem er unter anderem auf das böse Bambi, den perfiden Pinocchio und die hinterhältigen Hundertmorgenwald-Gesellen treffen wird.

Florian Tritsch

Titel: PETER PAN'S NEVERLAND NIGHTMARE

Land/Jahr: USA 2025
Label: PLAION PICTURES

FSK & Laufzeit: ab 18, ca. 86 Min.
Verkaufsstart: 22. Mai (digital), 10. Juni (physisch)