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Auch die letzten beiden Jahre hatte Veranstalter Thomas Richter ein Ferienlager organisiert, teilweise auch mit ein paar Bands am Start, um das Festivalfeeling aufrecht zu halten. Aber so richtig kracht es erst in diesem Jahr wieder. Auch kurzfristige coronabedingte Absagen können die Stimmung nicht verderben. 3 Tage und 39 Bands (die natürlich unmöglich alle gesichtet werden konnten), die vom tiefsten Underground über Lokalmatadore bis hin zu echten Hochkarätern reichten … die Mischung macht das In Flammen seit eh und je aus.

Tag 1 – Donnerstag:
Nach erfolgter Anreise am Donnerstagnachmittag deibeln zuerst GRIMA in schwarzen Umhängen und mit Masken bewaffnet ihren atmosphärischen Black Metal dem Publikum um die Ohren. Vor der Bühne ist es voll, die Stimmung ist bereits sehr gut und die Band aus Sibirien kann einen gelungenen Auftritt verbuchen. Danach geht’s zurück in die Zeit des Ersten Weltkrieges. KANONENFIEBER schmeißen die „Menschenmühle“ an und schießen ihren Death Metal à la 1914 in das gut gefüllte Rund. Vermummt, in weiße Hemden gekleidet, dazu Sänger Noise stilecht mit Pickelhaube verziert, heizt die Band die Stimmung weiter an.
Mit DOOL steht anschließend ein echtes Highlight auf den Brettern. Die Band aus den Niederlanden zelebriert nach anfänglichen Soundproblemen eine Vintage-Doom-Rock-Messe vom Feinsten. Was auf Platte (noch) nicht immer vollständig überzeugt, zündet live ohne Ende. Frontfrau Raven van Dorst und ihre Mannen reißen das Publikum mit und erobern die ersten Zugaberufe des Tages.
SADISTIC INTENT aus L.A. sind eine der großen Underground-Legenden im amerikanischen Thrash/Death Metal, und das obwohl sie seit ihrer Gründung im Jahr 1987 bisher nur eine Handvoll EPs und Splits veröffentlicht haben. Sänger Bay freut sich bereits beim Soundcheck darüber, dass es nach zweieinhalb Jahren endlich wieder Auftritte gibt. Die Band strotzt nur so vor Spielfreude und hat mächtig Spaß in den Backen. Oldschool-Kracher wie ‚Ancient Black Earth‘, ‚Impending Doom‘ oder ‚Eternal Darkness‘ schließen einen Festival-Donnerstag ab, der besser und kultiger nicht hätte sein können.

Dool

DOOL

 

SadisticIntent
SADISTIC INTENT


Tag 2 – Freitag:
Der Freitag beginnt, wie zu erwarten, mit leichtem Kopfschmerz, der aber von Bier und den Festival-Kultgetränken „Mexikaner“ (Tomatensaft, mit Wodka und Tabasco) oder „Froschkotze“ (Pfeffi mit Milch) recht zügig behandelt wird. Nach der kurzfristigen krankheitsbedingten Absage von Bitch Hammer und dem Aufruf an Bands auf dem Gelände, die Bock haben zu spielen, sich zu melden, entern dann die Niedersachsen von DEMORED gegen 15:40 Uhr die Bühne und kommen so mit geborgten Instrumenten zu einem unerwarteten Spontanauftritt. 7 Songs können sie aus dem Stehgreif spielen, dazu kommt eine Zugabe. Der größtenteils schleppende Death Metal des Dreiers ist über die gesamte Dauer etwas eintönig, aber was soll’s. Die Sympathiepunkte der Besucher haben sie auf jeden Fall und werden ordentlich abgefeiert. Coole Aktion!
Danach kommt eine ganz besondere Band, wahrscheinlich um die falsche Uhrzeit, auf die Bühne. Umhüllt von Weihrauchschwaden zelebrieren die Thüringer MOSAIC ihren atmosphärischen, heimatverbundenen sowie hochmelodischen Black/Pagan Metal. Bandkopf Martin van Valkenstijn, vor einigen Jahren noch goldbemalt auf der Zeltbühne, diesmal in einer Art Holzfällerkluft gekleidet, intoniert voller Inbrunst und Hingabe. Tolles Konzert, jedoch entfalten Songs wie ‚Unterhulz Zoubar‘ zur hellen Nachmittagsstunde nicht ihren vollen Zauber.
Es folgt ein radikaler Wechsel – nach Musik für Kopf und Seele heißt es nun: Hirn aus, Party an. Porngrind aus Tschechien steht auf dem Programm und SPASM laden in Zweierstärke zum Tanz mit Pömpel, Klobürste, fliegenden aufblasbaren Einhörnern, Krokodilen oder Pelikanen und jede Menge Konfetti. „Möchten Sie tanzen?“ Die Meute feiert und die Truppe freut sich unter ihrem geschmackvollen Pimmel-Backdrop sichtlich darüber. Ein ‚Pedophilic Kindergarten‘ wird dem Papst, ‚Suck My Dick‘ den Frauen („only girls!“) gewidmet. Die abschließende Botschaft „If you don’t masturbate with us, you masturbate against us!” kann man mal so stehen lassen.
Danach folgen auf der Hauptbühne die erst vor kurzen eingesprungenen SISTERS OF SUFFOCATION sowie die skandinavischen Deather DEMONICAL. Im Zelt stehen M.A.D. in den Startlöchern, die jedoch mit massiven Soundproblemen zu kämpfen haben, die sich durch den ganzen, dadurch auch kürzer ausfallenden Gig ziehen. Sänger und Basser Rob sieht man seinen Unmut an, Gitarrist Ulf strahlt jedoch wie eh und je über die Bühne. Ein Thrash/Death-Abriss ist es allemal und die Leute feiern die sympathischen ostdeutschen Veteranen ab.
Bevor die Leipziger Black-Metaller GRABAK, ebenso mit nicht ganz optimalem Sound kämpfend, die Zeltbühne für den Freitag beschließen, trifft eine sehr unschöne Nachricht ein. Paradise Lost müssen ihren morgigen Auftritt coronabedingt leider canceln. Das muss erst mal verdaut und runtergespült werden. Glücklicherweise ist Greg Mackintosh dennoch vor Ort und legt auf der Hauptbühne seinen ersten Gig mit seinem neuesten Projekt STRIGOI hin. Doomige Grundstimmung, zähe Brocken mit einigen Death-Metal-Erruptionen – etwas sperrig, dennoch ein guter Einstand.
Was danach folgt, ist ein einziger Triumphzug. MEMORIAM zelebrieren einen Abriss vom Allerfeinsten. Probleme beim Flug und Instrumente auf dem falschen Flughafen merkt man den vier Engländern überhaupt nicht an. Im Gegenteil! Karl Willetts strahlt wie ein Honigkuchenpferd, genießt sichtlich „eines der besten Festivals in Europa“ und ruft zum gegenseitigen Respekt untereinander und zum Zusammenhalt auf. Die Leute rasten aus und feiern die Songs querbeet von „For The Fallen“ bis „To The End“ ab.
SAMAEL haben es mit ihrem weniger wuchtigen Sound danach etwas schwer, arbeiten sich aber in das Set hinein, das vor allem auf die alten Klassiker ausgerichtet ist. Viel von der „Blood Ritual“- bzw. der „Ceremony Of Opposites“-Scheibe wird gespielt, und die Leute vor der rappelvollen Bühne gehen ordentlich mit. Im Anschluss entlassen ASAGRAUM mit ihrem atmosphärischen Black Metal die glückliche Meute in die Nacht.

DemoredDEMORED

Strigoi

STRIGOI

Spasm

SPASM

Mosaic

MOSAIC


Tag 3 – Samstag:
Der Samstag beginnt Vormittags mit einem Katerlauf und wird in den frühen Nachmittagsstunden – wie jedes Jahr – für alle mit Kaffee und Kuchen eingeläutet. Auch dies ist ziemlich einmalig und macht das In Flammen so familiär. Danach laden die Festivallieblinge SERRABULHO zu ihrer Death-Grind-Rave-Party und die Partygemeinde feiert ab. Erneut kommen allerlei Kostüme und Utensilien vor der Bühne zum Einsatz, der Sänger führt einen das ganze Bühnengelände umspannenden Circle an und zum Schluss steht Veranstalter Thomas selbst mit auf der Bühne am Mikro. Die Por(n)tugiesen heizen die Stimmung mächtig an und freuen sich sichtlich über ein Pärchen, das auf die Bühne geholt wird und verkündet, dass es nunmehr seit 2019 verheiratet ist, nachdem der Mann seiner Frau beim In Flammen 2018 während des Auftritts der Band einen Antrag gemacht hatte.
Im Anschluss geht es schnurstracks ins Zelt, wo KHNVM komplett abräumen. Der Sound ist heute sehr gut, das Zelt ist voll und die junge Band kracht der Meute mit Songs wie ‚Portals To Oblivion‘ oder ‚Drink From The Chalice Of Suffering‘ einen geilen Old-School-Death-Metal um die geschundenen Ohren, dass es eine Pracht ist. Wie im letzten Jahr zum Ferienlager folgen danach AD CINEREM aus Dresden. Auch wenn das Zelt nun etwas leerer ist, steigert sich die Band unterstützt von einem klaren, druckvollen Sound in einen emotionalen Death-Doom-Rausch hinein, der am Schluss mit frenetischem Jubel honoriert wird. Großes Kino!
Auf der Hauptbühne schmettern die Italiener BLASPHEMER ihren angeschwärzten Death Metal unters Volk und rufen zum Kampf gegen des Christentum auf. Solide, aber kein Highlight. Demnach zurück ins Zelt, wo die Heidenheimer UNDERTOW die Releaseparty für ihr kürzlich erschienenes Album „Bipolar“ einläuten und eine kleine, aber feine Meute mit ihrem rockigen Metal und viel guter Laune zum Feiern bringen. Highlight ist das coole ‚Still Waiting‘ mit deutlichem Crowbar-Einschlag.
Leider geht der durchaus ambitionierte Auftritt von INCARCERATION voll in die Hose. Der chaotische Death Metal mit dem heißeren Gekeife von Sänger und Bassist Daniel ist eh nicht jedermanns Sache, aber massive Soundprobleme, die regelrechte Ohrenschmerzen verursachen, lassen zu Beginn des Gigs viele aus dem Zelt flüchten. SKANNERS bieten ein schönes Kontrastprogramm zum sonst eher Death-lastigen Billing. Die hierzulange eher unbekannteren Italiener, die auch schon zur In-Flammen-Familie gehören, haben 40-jähriges Jubiläum und feiern dieses auf der Hauptbühne mit ihrem klassischen Heavy Metal, der für gute Stimmung und gereckte Hände sorgt.
Danach wird es wieder finster. Die Ami-Urgesteine INCANTATION haben sich auf den Weg nach Torgau gemacht um ihren fiesen, zähen Death Metal in die Meute zu nageln. John McEntee und seine erneuerte Mannschaft kommen ultrabrachial daher und räumen ab. Der Sound ist extrem laut bis kurz vor dem Ohrenbluten, unterstreicht aber die Heavyness von Monstern der Marke ‚Anoint The Chosen‘ oder ‚Ascend Into The Eternal‘. Es bleibt finster. ARCHGOAT aus Finnland sind Szenelegenden, rar ihre Auftritte und bösartig ihre Botschaften. Der oft schleppende Black Metal des Dreiers mit tiefer Gurgelstimme hebt sich ab von anderen Szenebands und es gelingt den Jungs auch in Torgau ihre Nettigkeiten ziemlich gelungen zwischen INCANTATION und VLTIMAS zu platzieren.
Letztere hinterlassen einen etwas zwiespältigen Eindruck. Die Riffs von Blasphemer stellen immer wieder Bezug zu seiner Mayhem-Phase her. Das Ganze verbunden mit einem oftmals kraftvoll, aber klar singenden David Vincent hat definitiv einen ganz eigenen Anstrich, der viele Liebhaber findet, aber nicht alle vollends überzeugt. Songs wie ‚Monolilith‘ oder ‚Total Destroy!‘ sind teilweise sperrig oder wirken etwas bemüht. Dazu wirkt das Gehabe des behuteten Herrn Vincent doch etwas aufgesetzt. Nicht schlecht, aber kein Highlight.
Das setzen dann nochmal HEATHEN mit ihrem melodisch verspielten Thrash Metal und zeigen, dass sie mehr sind als ein kurzfristiger Lückenfüller. Kurzfristig während ihrer laufenden Tour als Überraschung für einen leeren Slot am Samstagnachmittag 14:20 Uhr im Zelt angekündigt, profitieren die Jungs aus San Francisco vom Ausfall Paradise Losts und rutschen auf die Headliner-Position. Und die besetzen sie mit viel Spielfreude und einem energischen Gig. ‚Sun In My Hand‘, ‚Empire Of The Blind‘ oder das abschließende ‚Hypnotised‘ mobilisieren nochmals alle Reserven und lassen keine Wünsche offen.
Fazit: Es war wieder ein Fest! Auch wenn einige Bands, die ursprünglich für 2020 angekündigt waren, 2022 nicht mehr im Billing standen, konnte doch der große Stamm zusammengehalten und um ein paar tolle weitere Bands ergänzt werden. Auch Ausfälle vor dem Festival (Shining, Origin, Internal Bleeding) oder wie erwähnt während des laufenden Festivals wurden von den Organisatoren abgefangen und die ca. 1000 Feierwütigen auf dem Gelände haben eine prächtige Party gefeiert. Chapeau – bis 2023!

Patrick Steinbach

Incantation1

INCANTATION

Heathen

HEATHEN