2017 haben Prophecy Productions so viele Bands eingeladen wie seit der Inauguration des Festivals im Jahr 2015 nicht. Neben den „eigenen“ Gruppen fanden noch so hochkarätige Musiker von SÓLSTAFIR, HEXVESSEL und HYPNOPAZUZU den Weg ins Sauerland. Im Programmbuch ist zwischen den Zeilen jedoch zu lesen, dass sich das Festival vielleicht doch etwas übernommen habe. Jedenfalls wird nächstes Jahr eine Pause eingelegt.
Dies macht den Freitag spezieller als er je schon ist. Schwadorf ist ein altbekannter Künstler der Prophecy-Familie und beim Debüt trat er bereits mit Empyrium in beeindruckender Form auf. 2017 bringt er sein Projekt SUN OF THE SLEEPLESS auf die Bühne, mit tatkräftiger Unterstützung von unter anderem Eviga von Dornenreich. Schwadorf bietet rüstigen Black Metal nordischer Provenienz und zur visuellen Verstärkung brennen zwei mannshohe Fackeln auf der Höhlenbühne. Sun Of The Sleepless spielen Stücke vom neuen Album. Als sie in die Black Metal-Raserei übergehen – ein stehendes Riff spielen und dazu die Drums schmettern – zieht durch die Kulturhöhle ein Geist von Archaik, wie sie den Black Metal in seinen Anfängen auszeichnet.
An diesem Freitag wirken manche Szenen wie aus einem surrealen Film. Als ARCTURUS fortsetzen, trifft der Black Metal, den SUN OF THE SLEEPLESS bereits erkundet haben, auf eine zappaeske Verrücktheit, die ihresgleichen sucht. Die Norweger sind spielfreudig und erzielen mit minimalen Effekten große Wirkung. Ihre Kostüme, besonders auch von Sänger ICS Vortex, erinnern eher an Outfits der Prog-Größen der 1970er, wie etwa frühe Genesis oder auch Yes als an Metal-Kluft. Die wechselfreudige Musik von ARCTURUS wirkt daher ein wenig wie metallisierte Gentle Giant. Es erstaunt etwas, dass es in den vorderen Rängen kein Gedränge gibt. Ausreichend Platz sorgt für ein angenehmes Konzerterlebnis.
Prophecy ist für das breite Spektrum seines Labelprogramms bekannt, so dass der folgende Act – GLERAKUR aus Island – auch ein anderes Klangbild auf die Bühne bringt. Atmosphärisch, weit ausladend, mit vier Gitarren und zwei Drumsets zeigen die Isländer, wie man aus einer begrenzten Anzahl von rhythmischen und melodischen Mustern eine raumfüllende Musik gestalten kann. Der Austragungsort Höhle verführt zu romantischem Geschwätz, zumindest zu verbrauchten Vokabeln wie „Eiseskälte“, „Urzeit“, „Primitivismus“, „Stamm“ oder „Höhlenbär“. Das Prophecy Fest zeigt anhand der einzelnen Auftritte, wie man sich an der Ausformulierung der akustischen Höhle versuchen kann. (Das Scheitern natürlich immer mit gedacht.) Weniger verkopft gesagt: GLERAKUR bieten auch mit einer gelungenen Videoshow auf der Leinwand Musik, mit der man die Balver Höhle füllen kann.
Der Abschluss des ersten Tages sollte durch eine Gastband gestaltet werden, die der Rezensent zuletzt im Süden der Republik im Jahr 2010 gesehen hat. Damals noch mit dem alten Drummer Guðmundur. Die Rede ist von SÓLSTAFIR aus Island, deren Sänger und Bassist es sich nicht nehmen ließen, ihre Landsmänner von GLERAKUR bei einer Coverversion der 1980er Jahre tatkräftig zu unterstützen. Der durchweg melancholische Ton verstärkt sich an diesem Ort noch; im Gegensatz zum Auftritt im Jahr 2010 bringen SÓLSTAFIR kaum noch Black Metal-Stücke – sie bieten einen ausgewogenen Einblick in die neueren Stücke, aber von älteren Alben wie „Köld“ spielen sie auch Stücke. Aðalbjörn Tryggvason bedankt sich für die Einladung zu diesem besonderen Ort und sie spielen dann einen Song im Angedenken eines sehr guten Freundes der Band, der sich vor einigen Jahren aufgrund einer schweren Depression selbst tötete. Der Moment ist bewegend, doch können sich manche Zuschauer das Lachen oder Quatschen zwischen den Songs nicht verkneifen. SÓLSTAFIR reagieren ungehalten – und machen erneut deutlich, wie sich manche Festivalbesucher mit der Stimmung der Höhle nur insofern anfreunden können, als dass es für sie Musikauftritte darstellen, von Bands, die sie mehr oder weniger gut finden. Wäre es nicht eine Überlegung wert, in der Höhle mit dem Klang aufzugehen, ganz so, wie es sich die Isländer vorgestellt haben?
Der zweite Tag konnte leider nicht berücksichtigt werden. Aber bereits der Freitag hinterließ eine unvergessliche Atmosphäre.
Dominik Irtenkauf
Fotos: Christoph Martin Labaj