Als schon um 19 Uhr ESCUELA GRIND den heutigen Konzertabend einläuten, ist die Backstage Halle bereits mehr als amtlich gefüllt und die Zuschauer drücken sich vor die Bühne. Entweder weil das zu 50:50 aus Männlein/Weiblein bestehende Powerviolence/Grindcore-Gebräu bereits im Vorfeld liebgewonnen wurde, oder weil man sich dem intensiven Sound als auch der Bühnenpräsenz sowie dem Charisma von Sängerin Katerina nur schwer entziehen kann. Auch wenn die Grundzutaten nicht neu sind, kann man den Amis aus Pittsfield, Massachusetts bescheinigen, ein recht eigenständig klingendes Songwriting-Gebräu zu fahren. Denn die Einflüsse pendeln relativ ausgewogen zwischen Grindcore und Hardcore-Punk hin und her. Ebenso zwischen schnellen und brutalen Blastbeat-Passagen, welche von groovigen, fast schon „tanzbaren“ Slam- bzw. Moshparts abgelöst werden. Diese Melange geht allen Anwesenden sofort ins Blut. Das konstant hohe Energielevel, die Spielfreunde als auch engagierten Ansagen in Richtung Anti-Rassismus, Weltoffenheit als auch Toleranz der Gay-/Trans-Community gegenüber tun ihr übriges, um in München voll und ganz zu punkten. Am meisten bleibt beim Rezensenten heute `Cliffhanger` und `My Heart, My Hands` hängen. Eine mehr als amtliche Anheizer-Show!
Foto: Andreas Krispler
Russland hat es anschließend zunächst schwer, an die vorherige Machtdemonstration anzuschließen. SIBERIAN MEAT GRINDER machen es aber richtig und versuchen erst gar nicht, in Wettbewerb mit der Brachialität von ESCUELA GRIND zu konkurrieren. Der Fünfer legt stattdessen alles an Motivation, Spaß und technischem Können in seine Performance. Speziell die Gitarrenfraktion spielt arschtight und mit klar verteilten Rollen auf. So kümmert sich der Shredmaster primär um die rassiermesserscharfen Riff-Salven, wogegen der Lead-Gitarrist konstant tolle Soli und Melodien raushaut. Ein echtes Dreamteam, dem man gerne auf die Finger beziehungsweise auf das Griffbrett sieht, um die Arbeit zu bestaunen. Auch bei dieser 2011 gegründeten Band stimmt die Mischung aus aggressivem, schnellem Crossover-Thrash und melodischeren Midtempo-Bangparts. Das Publikum reagiert während der ersten 15 Minuten der Show etwas verhalten, taut dann aber von Song zu Song immer mehr auf. Irgendwo verfehlen die Bärenmaske, die stellenweise witzigen Ansagen als auch kernigen Shouts von Sänger Vladimir mit seinem gekrönten Bärenkumpel, welcher auf der Bühne vorbeischaut, dann doch nicht seine Wirkung. Zudem sprechen Songtitel wie `Metal Bear Stomp`, `Bear Cult Is Real`, `Enter Bearface`, `Mother Bear`, `Into The Grind`, `Ruder Than Thou` oder `Hammer Of The Ghetto Tsar` ohnehin für sich. Metal beziehungsweise Musik muss nicht immer bierernst sein!
Foto: Andreas Krispler
Musik beziehungsweise Hardcore-Punk KANN aber auch verdammt ernst, politisch engagiert, authentisch und mächtig angepisst daherkommen. Insofern könnte das Kontrastprogramm mit den danach folgenden Koryphäen DROPDEAD nicht größer sein. Das Tolle dabei ist, dass die Mischung auf dieser Tour prächtig funktioniert und die Crowd auch diesen seit 1991 aktiven Altpunks vom Opener `Torches` an sofort aus der Hand frisst. Die Ausstrahlung und Aura von Sänger Bob Otis ist seit eh und je unvergleichlich einzigartig. Zu 50 % strahlt er den ultra-aggressiven, durchgeknallten Psycho-Hool mit irrem Aggro-Blick aus, dem zu jeder Sekunde die Sicherung durchbrennen könnte. Zu den anderen 50 % gibt er den sensiblen, nachdenklichen Erzähler, der für manche Zuschauer manchmal Song-Ansagen bis zur Schmerzensgrenze ausführt. Anti-Nazi Statements, Tierrechte und vegane Botschaften als auch Unity-Worte sind ihm besonders wichtig, weswegen er sich hierzu gerne auch wiederholt, ohne zu nerven. Bob wütet wie ein tollwütiger Bullterrier über die Bühne, wirbelt mit Mikrofon und Kabel, ist ständig in Bewegung und hält engen Blickkontakt mit den ersten Reihen. Bassist George hält sich zwar im Hintergrund, bearbeitet seinen Bass aber wie ein Besessener und geht ebenfalls ordentlich aus sich heraus. Trommler Brian verkörpert mit seinem stattlichen, in Würde ergrauten Bart die ZZ-Top-Fraktion des Punk und weiß gekonnt zwischen D-Beat-, Blast- und Groove-Parts hin und her zu schalten. Neben Mr. Otis wäre aber für den Grundsound der Rhode-Island-Posse-Gitarrist Ben Barnett wohl am wenigsten wegzudenken. Sein gerade im Hardcore-Punk immens originelles Akkord-Geschreddere und der unvergleichliche Groove und Vibe sorgen für die wohltuende Eigenständigkeit. Wenn Ben anfängt zu spielen, klingt er eben wie kein anderer Gitarrist der Szene. Sein Voivod-Leibchen passt hier wunderbar ins Bild. Denn beim guten Piggy (R.I.P) hat er sich definitiv die ein oder andere Raffinesse abgeschaut. Nicht nur wegen `Only Victims`, `Vultures` `Book Of Hate`, `A Disease Called Man`, `Bullshit Tradition`, `Army Of Hate` `You Have A Voice` und dem Rausschmeißer `At The Cost Of An Animal` erreicht der Moshpit den bisherigen Höhepunkt des Abends. Eine Killer-Show, welche die eingangs schmerzvolle Absage von Doom wieder völlig vergessen macht. Respekt Männer!
Foto: Andreas Krispler
Einige große Bands könnten nach den vorherigen drei Steilvorlagen nun als Headliner einpacken. NAPALM DEATH müssen sich hingegen nirgendwo und vor nichts und niemandem fürchten. Die bereits seit 1981 aktiven Birminghamer spielen bekanntlich nach wie vor in ihrer ganz eigenen Liga. Dies gilt für die Briten nach wie vor auf Konserve als auch im Live-Setting. In der Studio-Disziplin ist das letzte Album „Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism” als auch die 2022 nachgeschobene EP „Resentment Is Always Seismic“ das Beste, was die Engländer seit „Smear Campaign“ (2006) aufgenommen haben. Da sage und schreibe acht Tracks von diesen zwei Werken in der Setlist sind, scheint dies die Band ähnlich zu sehen. Da wir von einem denkwürdigen Abend sprechen, aber ganz der Reihe nach. Frontmann Barney wütet vom Opener `Narcissus` an wie ein Derwisch beziehungsweise radioaktives Eichhörnchen über die Bühne und scheint die letzten 15 Jahre irgendwie kaum zu altern. `Backlash Just Because` ist auch live ein Smasher und absolutes Highlight, welches den Moshpit eröffnet. Sound und Licht sind erstklassig und NAPALM DEATH wirkt sehr gut eingespielt. Schrill und cool wirkt Großmeister Shane Embury am Bass mit seinem bunten Magic-Mushroom-Hemd. Das steht dem guten wirklich! John Cooke an der Klampfe mit seinen ellenlangen Dreads und coolem Pig-Destroyer-Leibchen hat sich mehr als gut eingelebt und ist für die Fans bereits ein liebgewonnener Teil des sympathischen Quartetts geworden. Von Mitch Harris vermisst man live am meisten seine fiesen, unvergleichlichen Screams. Nach `Fuck The Factoid` weiß das zwischen Killing Joke und Grind pendelnde, coole `Contagion` für tolle Atmosphäre sowie wohltuende Abwechslung im Set zu sorgen. Während dem Altstück `Lucid Fairytale` vom 1988er-Klassiker „From Enslavement To Obliteration“ stürzt Mr. Greenway dann auf der Bühne und prellt sich den Ellenbogen ordentlich. Obwohl ordentliche Abschürfungen zu sehen sind und dieser deutlich anschwillt, zieht Mark mit `Everyday Pox`, `Invigorating Clutch` und den Klassikern `Unchallenged Hate` sowie `Scum` weiter tapfer sein Ding durch. Die Stimmung vor der Bühne kocht! Banger, Pogos als auch Stagediver werden gleichermaßen gesichtet. Ebenso Zuschauer aus allen Altersklassen und Subkulturen. Punks, Skins, Metalheads und Normalos united. An dieser Stelle muss auch mal ausdrücklich Drummer Danny Herrera gelobt werden. Das Schweizer Uhrwerk trommelt die alten, wüsten Grind-Klassiker ebenso souverän und cool wie die neuern, verschachtelten und technisch anspruchsvolleren Nummern. `Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism` repräsentiert wie auch die folgende, sehr atmosphärisch dichte, süchtig machende Killing-Joke-Verbeugung `Amoral` erneut den neusten Longplayer. Nach dem kurzen Wutausbruch `The Kill` vom Debüt ist dann aber erst mal Schluss mit lustig. Barney stürzt, vielleicht, weil ohnehin angeschlagen, während dem Hit `Suffer The Children` leider ein zweites Mal auf der Bühne und verletzt sich dieses Mal sein Bein wirklich ernsthaft. Er versucht das Stück als auch den folgenden Übersong `Mass Appeal Madness` noch tapfer auf einem Stuhl sitzend zu performen. Dann ist aber leider Schicht im Schacht. Mr. Greenway begibt sich zum Bühnenrand, wo sich Sanitäter und Ärzte um ihn kümmern. Shane, John und Danny performen dann nach kurzem Sync obwohl nicht auf der Setlist `Breed To Breathe` als Trio, wobei Mr. Embury den Gesang übernimmt und seine Sache wirklich saugut macht. Um Zeit zu gewinnen geht es dann als Trio mit den episch ausufernden Nummern weiter. Drei Sekunden `You Suffer`, dreißig Sekunden `Deceiver` und drei Sekunden `Dead`. Danach wird festgestellt, dass Barney heute definitiv nicht mehr performen kann. Nach Beratung entschließt sich die Band das Cover `Nazi Punks Fuck Off` (Dead Kennedys) zu bringen, wobei sich John und Shane die Vocals lässig teilen. Anschließend wird in gleicher Weise noch eine herrlich rotzig-räudige Version von `Siege Of Power` dargeboten, was die Untermalung von Barneys Abtransport mit Liege auf der Bühne ist. Lächeln tut der Gute noch, aber etwas tragikomisch ist die Situation für alle auf als auch vor der Bühne. `When All Is Said And Done`, das Bad-Brains-Cover `Don`t Need It`, ‘Mentally Murdered` und `Smash A Single Digit` bleiben heute ungespielt. Trotz allem großen Respekt vor NAPALM DEATH, die hier kollektiv wirklich das beste aus der Situation gemacht und alles gegeben haben. Daher gibt es auch keinerlei Murren oder unzufriedene Worte aus dem Publikum zu hören. Bleibt nur zu hoffen, dass die Großmeister aus Birmingham in dieser Form noch einige Jahre weitermachen können, wollen und werden. Respekt!
Fotos: Andreas Krispler