Zum Hauptinhalt springen

Wie schon im ersten Teil des Interviews in der Printausgabe #112 stehen nicht nur die Musiker Jérémy, Claude und Johanna von BLINDIGN SPARKS Rede und Antwort zu „Brutal Awakening“ , sondern auch ihr Cover-Künstler Fred Kempf und die Gastsängerin Océane. Zudem haben die französischen Alternative-Rocker das E-Mail-Interview mit seinen englischen Fragen direkt auf Deutsch beantwortet. So eine Hingabe muss honoriert werden.

Das Cover von “Deathbed” als Digital-Single sieht wie ein Kinoplakat aus. Allerdings liegt dort keine Person, der Sterbende steht vielmehr.

Jérémy Conrad: Das Cover der Single stellt eine Seele dar, die in die Hölle hinuntersteigt. Es gibt hier ebenfalls eine zweite Interpretation: Diese weiße Seele steht für die Dämonen, die an der Seite der Hauptfigur leben.
Fred Kempf: Ja, mir gefällt dieser Eindruck, dass es sich um ein Filmplakat handeln kann. Eine kleine Anspielung auf die sogenannten Slasher-Filme. Für mich ist der Geist eher der innere Dämon oder eine Sucht, die dich nicht verlässt und immer wieder heimsucht.

Hat das einen christlichen Hintergrund?
JC: Ich bin weder religiös noch spirituell, im Gegenteil, ich hasse alle Formen von religiösen Institutionen. Ich habe nichts gegen die Gläubigen, aber ich bin dagegen, dass diese Institutionen eine Lebensweise und eine Art zu denken aufzwängen. Religion und Spiritualität sind hingegen etwas Privates und Persönliches. Ich glaube weder an ein Paradies, weder an eine Hölle, noch daran, dass es eine Wiedergeburt gibt. Wir erleben das Paradies oder die Hölle hier auf der Erde; dadurch, was wir tun, welche Wahl oder Entscheidungen wir treffen.
Claude Hilpert: Was mich betrifft, so bin ich Agnostiker. Das Spirituelle ist anregend für mich, aber ich finde, dass die Religionen völlig überholt sind. Ich glaube nicht, dass es etwas nach dem Tod gibt. Aber weil ich Agnostiker bin, besteht immer ein Zweifel. Wenn es jedenfalls etwas nach unserem Leben auf dieser Erde gibt, dann meine ich nicht, dass es dem ähnlich sieht, was uns die Religionen erzählen. Wir sollten hier und jetzt versuchen die bestmöglichsten Menschen zu sein.
Johanna Flauder: Ich bin gläubig, aber ich praktiziere es nicht sehr oft. Ich meine generell, dass die Religion individuell ist, sie kann sowohl der erste, als auch der letzte Zufluchtsort in wichtigen Lebensmomenten des Einzelnen sein. Und dass sie am gerechtesten und ehrlichsten gelebt wird, wenn dies in der Privatsphäre geschieht. Ich glaube gerne daran, dass es ein Leben nach dem Tod gibt und dass man leben sollte ohne Dinge groß zu bedauern, die eigenen Entscheidungen akzeptieren und für die Richtung verantwortlich zu sein, die man sich entschieden hat einzuschlagen.

Mit "Renaissance Insipide" habt ihr auch vor dem Album eine physische Maxi veröffentlicht – oder sollte man besser von einem Demo sprechen?
JC: Ja, wir können die Maxi-Version von „Renaissance Insipide” als eine Art Forschungsgebiet für das neue Album „Brutal Awakening” ansehen. Auf dieser ersten Scheibe konnten wird verschiedene Sachen ausprobieren und Abstand zu unserer Arbeit gewinnen. Diese Scheibe kam in einer Auflage von 1000 Exemplaren heraus, die hauptsächlich verwendet wurden. um die Band zu promoten. Man kann sie immer noch kaufen, weil sie die Anfänge der Band veranschaulicht. Ich bin niemals voll mit den Ergebnissen meiner Arbeit zufrieden, und dadurch kann ich mich kontinuierlich verbessern. Es stimmt, dass sie den aktuellen Zustand der Band nicht wiedergibt, aber sie kann von der musikalischen und technischen Evolution von BLINDING SPARKS zeugen.

Für eine Band, die in der kurz gehaltenen Liste ihrer Einflüsse Linkin Park und Audiosklave nennt, muss 2017 ein rabenschwarzes Jahr gewesen sein.

JC: Ohne Linkin Park würde ich keine Musik machen. Wie es im Booklet von „Brutal Awakening” geschrieben steht, habe ich das Album Chester gewidmet. Vor dem Tod Chester Benningtons haben wir den Titel ‚In The End‘ live gecovert. Von da an war kein Song von Linkin Park auf unserer Setlist vertreten.
Ich möchte gerne in der Zukunft eine Adaption des Titels One More Light’ aufnehmen. Und was Audioslave betrifft, so mag ich die Songs von Chris Cornell sehr.
CH: Audioslave gehört zu meinen Lieblingsbands. Die Riffs von Morello in Verbindung mit der Bass- und Schlagzeugsektion von Tim Commerford und Brad Wilk begeistern mich regelrecht. Mir hat ebenfalls gefallen, was Zack de la Rocha gemacht hat. Er ist für mich einer der besten Metal-Rapper. Aber der Gesang von Chris Cornell gab den Songs wahrlich eine andere Dimension. Sein Tod hat mich sehr traurig gemacht. Er hatte eine unglaubliche Stimme. Sie haben sich mit Chester gegenseitig bewundert. Es ist wirklich traurig. Ich bin sicher, dass die beiden noch viele Songideen hatten. Es ist ein verdammt beschissener Verlust.
JF: Meine Einflüsse liegen weniger in diesem Musik-Genre, obwohl wir insbesondere Songs von Linkin Park gecovert haben, mehrmals, aus Spaß, oder auf kleinen Bühnen. Es waren große Künstler, die Millionen von Fans hinterlassen haben, welche natürlich bestürzt darüber waren, dass sie von uns gegangen sind.
Océane Thomas: Als ich vom Tod Chesters gehört habe, konnte ich daran nicht glauben. Er hat mich inspiriert, mir Lust gegeben Musik zu machen und mich aus beschissenen Situationen gebracht, als ich die ersten Alben mehrmals hintereinander gehört habe. Es war ein großartiger Sänger mit einer einzigartig kraftvollen Stimme und einer unglaublichen Fähigkeit, seine Emotionen in seinen Songs auszudrücken. Was ich sehr an ihm gemocht habe, war die Tatsache, dass er seinen Fans nahestand. Er ist eine Inspiration für eine ganze Generation.

Mit Kyo wird auch eine Band genannt, die hierzulande nahezu unbekannt ist, in Frankreich aber riesengroß zu sein scheint. Für das Frühjahr 2018 ist ein neues Album angekündigt.
JC: Während meiner Jugend habe ich ihre Musik oft gehört. Ich ertappe mich manchmal beim Singen einiger Titel von ihnen. Ich bin neugierig auf die neue Veröffentlichung, aber ich muss gestehen, dass ich mit ihrer musikalischen Entwicklung nicht vollkommen zufrieden bin. Ich habe viel Respekt vor Künstlern, die sich musikalisch weiterentwickeln. Ich finde, dass es mutig und riskant ist, aber es funktioniert nicht immer. Ich wäre sehr erfreut und geehrt, als ihre Vorband aufzutreten. Ich konnte bei einem ihrer Konzerte dabei sein und fand ihren Bühnenauftritt ziemlich verblüffend. Jedoch war ich vom Publikum sehr enttäuscht, weil ich es als extrem passiv empfand.

Einige ihrer Songs wurden für einen Anime Soundtrack oder einem Fußball-Videospiel platziert. Welche eurer Songs würdet ihr für solche Zwecke hergeben?
JC: Ich kann keinen bestimmten Song nennen, das würde wirklich von der Gattung des Films oder des Videospiels abhängen. Ich mag Thriller sehr und es würde mir gefallen, Musik speziell für einen Film aus dieser Gattung zu schreiben. Was Videospiele betrifft, so bin ich ein riesengroßer Fan der Serie Halo. Es wäre eine Anerkennung, wenn einer unserer Songs dort vorkommen würde. Insgesamt ziehe ich es vor, Musik in einem konkreten Kontext zu komponieren.
CH: Ich hatte die Gelegenheit Musik in verschiedenen Stilen zu komponieren, von Electro über Funk und Sinfonie bis zu Rock. Es war eine angenehme Erfahrung, Musik auf Bestellung zu schreiben; für einen Werbe-Wettbewerb und einen Kurzfilm. Es hat mir Vertrauen in mich selbst gegeben, dass ich das geschafft habe. Musik zu schreiben ist das, was ich wirklich mag.
OT: Ich bin bei diesem Punkt bei Jérémy, es gibt keinen speziellen Song für mich. Was mich betrifft, so mag ich Komödien, aber es kommt auch vor, dass ich Actionfilme, Dramen, Musicals, Polizeifilme, Liebesfilme oder Science Fiction schaue. Bei Horrorfilmen hingegen sieht es etwas schlechter aus, weil bei mir seit einer gewissen Zeit seltsame Dinge passieren, insbesondere wenn ich diese Filme gucke.
JF: Ich würde gerneDon’t Need A Name, The Last Song oder A Tough Road For The Heartin einem Animationsfilm oder Videospiel hören, obwohl alle Songs passen könnten, je nachdem, worum es sich handeln würde. Ein solcher Vorschlag wäre eine zusätzliche Herausforderung für die Band. Es wäre eine echte Freude meinen Stempel einem Werk aufzudrücken, das extra für solche Medien wie ein Videospiel oder einen Animationsfilm konzipiert wäre.

Entstehen eure Songs in Jam-Sessions?

JC: Ich schreibe meine Songs zuerst selbst, dann überarbeiten wir sie zusammen, sodass jeder ihnen etwas von sich hinzufügt.
JF: Man muss verschiedene Sachen probieren, bis man die endgültige Version findet, die sich wiederum nochmals ändern kann, bis wir schließlich diejenige haben, die dem Publikum auf der Bühne vorgestellt wird. Man improvisiert zusammen, um eine bessere Tonart zu finden, hat eine neue Idee - die manchmal auch ausgefallen ist, weil sie aus einer mutigen Entscheidung resultiert - in Bezug auf die Rhythmik oder die Art und Weise wie die eigene Stimme zu den Haupt-Vocals hinzugefügt werden kann. Ich mag es zu spielen, neue Chöre in den Songs zu finden und mich auf diese Weise zu verbessern. Aber generell habe ich die Gewohnheit, dass ich Dinge alleine ausprobiere bevor ich sie den anderen Bandmitgliedern präsentiere.
CH: Ich komponiere meine Instrumentalparts und schreibe meine Texte zu neunzig Prozent ganz alleine. Die verbleibenden zehn Prozent bleiben für eine Zusammenarbeit mit anderen Songschreibern oder Musikern wie Jérémy, Nicolas, Johanna und Océane übrig.
OT: Ich bin nicht begabt wenn es um das Schreiben von Texten geht. Ich bin eher eine von denen, die Coverversionen aufnehmen. Ich habe zum Beispiel auf meinen YouTube-Kanal zuerst den Song ‘’Not The American Average‘ von Asking Alexandria hochgeladen. Er ist nun seit drei Jahren online und wurde mehr als 530 000 Mal gehört. Anschließend habe ich einige Songs von anderen Bands gecovert, wie zum Beispiel: Sleeping With Sirens, Issues, Paramore, Suicide Silence. Der letzte war Just Another von Jinjer und genau dabei hat mich Jérémy entdeckt.

Die Songtitel ‘My Dog Will Piss On You’ und ‘I Fuck It’ fallen sehr drastisch aus Flirtet ihr mit einem “Parental Advisory - Explicit Lyrics”-Sticker?
JC: Das Album hat Sticker, mit Ausnahme der Version für den amerikanischen Markt. Wir mussten uns der prüden Seite der Amerikaner unterordnen; in Europa hingegen ist es nicht notwendig. Ich finde, dass meine Musik aggressiv ist und wie ein Ventil zum Abreagieren funktioniert, das mir ermöglicht, meine Wut nach außen zu richten. In meinem normalen Leben bin ich ein ruhiger und vernünftiger Typ. Ich sammle meine Wut und lasse sie in der Musik aus.
OT: Die Musik an sich hilft mir absolut alles nach außen zu bringen, was ich im Inneren verspüre, ob es nun Trauer oder Freude ist. Ich meine, dass ich ohne die Musik nichts Besonderes wäre, ich könnte ehrlich sagen, dass ich langweilig wäre.

Hat zumindest euer Gitarrist einen Metal-Background? Das Solo in ‘My Dog Will Piss On You’ klingt jedenfalls danach.
CH: Alles hängt davon ab, wie man den Begriff Metal” interpretiert. Ich kann durch all diese Sub-Genres nicht mehr durchblicken. Zwischen dem Power Metal, Deathcore, Nu Metal, dem guten, alten Hardrock weiß ich nicht mehr, was ich spiele. Meine Einflüsse sind sehr zahlreich, von Van Halen bis Morello und von Steve Vai bis Nuno Bettencourt, dazu noch Slash und Nyle Rogers, Al Di Meola, Birelli Lagrene und viele andere. So kam es zum Moment, in dem ich einfach angefangen habe, zu spielen und zu komponieren, ohne an diese fantastischen Gitarristen zu denken und zu versuchen - ich betone, zu versuchen - originell zu sein.

Schreibt ihr eure Texte grundsätzlich zunächst in eurer Muttersprache Französisch?
JC: Wenn ich mich entscheide einen Song auf Englisch zu schreiben, dann mache ich dies direkt in dieser Sprache. Es gibt keinen Song von mir sowohl auf Französisch als auch auf Englisch.
CH: Ich bringe viel Zeit für meine Texte auf. Vielleicht zu viel. Ich bin dabei zu versuchen, dies zu verbessern. Ich schreibe oft auf Französisch und lasse mir helfen, wenn ich eine Idee auf Englisch habe.

Wie habt ihr den Musical-Darsteller und Singer/Songwriter Laurent Bán direkt für zwei Gastauftritte rekrutieren können?
JC: Laurent Bàn ist ein alter Freund von Claude. Er war zum Beispiel der Sänger in seiner ersten professionellen Band One O One. Mir gefallen die Musikkomödien und ich lasse mich manchmal von ihnen inspirieren. Laurent Bàn ist für mich ein perfekter und talentierter Künstler, ich würde sehr gerne in seine Fußstapfen treten.
CH: Was soll ich noch sagen. Wir haben in vielen Bars kleine Konzerte gespielt. Das war die beste Schule! Wir haben zusammen gearbeitet, zusammen komponiert, er war bei praktisch allen meinen Projekten da. Es war für mich ganz natürlich, dass er bei BLINDING SPARKS mitmacht. Eine Freundschaft, die Jahre überdauert hat und immer noch anhält. Aufgrund der Entfernung sehen uns seltener, aber jedes Mal ist es so wie am ersten Tag.

Wie kam es dazu, dass Océana in ‚The Straight Line‘ singt?
JF: Als mir Jérémy diesen Titel präsentiert hat dachte ich zuerst, dass ich keine Idee haben würde, wie man dort einen Chor hinzufügen könnte. Aber ich habe zu mir gesagt, dass Chöre nicht zwingend auf allen Songs vertreten sein müssen. Es ist mir aber schließlich gelungen eine Tonart zu finden, die zu diesem Song passte, aber komplett außerhalb meiner musikalischen Komfortzone war. Ich habe also mit Jérémy und Océane in den Refrains mitgesungen und finde, dass es gut klingt! Die weibliche Stimme, die man auf den anderen Songs des Albums, wie auch in „Arch“ hört, ist ebenfalls meine.
JC: Was Laurent Bàn betrifft, so war er während der Aufnahme des Albums im Studio als Vocal-Coach aktiv. Im Anschluss an diese Arbeit haben wir ihm angeboten bei zwei Songs mitzuwirken. Nachdem die technischen Fragen geklärt sind, wird er an Konzerten teilnehmen, aber nur ab und zu. Und Océane wird ab der im Frühjahr 2018 beginnenden Tour zur Band stoßen. Wir haben ihnen die Instrumentalparts sowie den Text mitgeteilt, um ihnen den Raum für ihre eigene Interpretation zu lassen.
OT: Ich kann es kaum erwarten, meinen Traum erfüllen zu können, den ich seit der Zeit habe als ich ein kleines Mädchen war: meine gesamte Energie mit dem Publikum zu teilen.

Handelt ‘A Trois’ von einer Ménage a trois? Da hätten doch auch zwei zusätzliche Sänger(innen) gepasst.
JC: Ja, „A Trois“ handelt von einer Dreiecksbeziehung. Ich denke nicht, dass es nötig war zwei Sänger hinzuzufügen, weil der Song einfach nur meine Vision der Zukunft erzählt. Ich bin nämlich der Ansicht, dass das Paar in 100 Jahren nicht mehr dasselbe sein wird, wie heute - worüber ich mich freue!

War ‘The last Song’ zunächst nur ein Arbeitstitel, der sich dann gehalten hat?
JC: Seit wir begonnen haben, das Album zu schreiben, war ‚The Last Song‘ als letzter Song vorgesehen. Es ist sozusagen die letzte Chance, um das Publikum zu überzeugen und mitzureißen.

Foto: www.facebook.com/blindingsparks/