Zum Hauptinhalt springen

Dortmund Deathfest 1.-2. August @ Junkyard, Dortmund

Es ist zu Beginn nicht ganz klar, ob die 2025er Auflage des Dortmund Death Fest der Vorjahres-Ausgabe das Wasser reichen kann. Namen wie The Black Dahlia Murder, Terrorizer, Vader, Suffocation, Misery Index, Sinister, Memoriam, Massacre, Incantation und Skeletal Remains sorgen bei Todesblei-Jüngern schließlich schon für ein „Denk‘ einfach an Baseball“, wenn man sie nur hintereinander vorliest. In diesem Jahr ist dagegen fast schon Underground angesagt. Mit DYING FETUS, DECAPITATED, MALEVOLENT CREATION, MACABRE und BRUJERIA sind aber natürlich auch ein paar Schwergewichte dabei. Mal sehen, wie die 2025er-Mischung funktioniert.

Freitag, 1. August

Undeath3

UNDEATH

Am Freitag sorgt das Verkehrschaos schon mal dafür, dass ich CAEDERE, CELESTIAL SANCTUARY, SEVERE TORTURE, COGNITIVE, DESERTED FEAR und TEETHING verpasse und erst zu UNDEATH das JunkYard-Gelände betrete, zeitgleich mit dem Einsetzen eines nervigen Regenschauers. Endlich mal Matsch im August außerhalb von Wacken. Die Amis nehmen es gelassen und zocken routiniert ihr Set runter. Live fällt noch einmal auf, dass sie wesentlich brachialer zu Werke gehen als The Black Dahlia Murder, mit denen die Jungs ja oft verglichen werden. Überflüssige Dudeleien müssen zugunsten des nackten Stahls im Gitarrenkoffer bleiben. Shouter Alexander Sason trägt seine Sonnenbrille offenbar, um dem Wettergott den Stinkefinger zu zeigen, setzt das Ding aber ab der Mitte des Sets ab, weil er wohl dank der dichten Wolkendecke kaum noch etwas auf der Bühne sehen kann. UNDEATH holen sich die Meute Stück für Stück und Song für Song. Dabei sind sie geduldig, werden spätestens beim Bandklassiker ‚Lesions Of A Different Kind‘ von einem tobenden Publikum belohnt und verlassen glücklich die Open-Air-Stage.

Pausen gibt es beim Dortmund Death Fest überhaupt keine. Während auf der Main Stage die Umbauarbeiten starten, steht in der Halle einer der heimlichen Festival-Headliner auf der Bühne. Was DEADSQUAD aus Jakarta an diesem Freitag abliefern, ist nichts weniger als ein Tsunami. Leute, die zumindest das aktuelle Werk „Catharsis“ kennen, wissen, warum das so ist. DEADSQUAD sind weder stumpf noch Frickelfetischisten. Sie nehmen das Beste aus allen Welten und brauen ihren eigenen Cocktail zusammen. Ergebnis: Die Combo um Bandgründer und Flitzefinger Stevie Morley Item ballert ihre Brutal-Death-Hymnen mit einem Energie- und Partyfaktor ins Rund, dass es kein Halten mehr gibt. Sänger Viky peitscht die Menge immer wieder auf. Dabei wirken die Jungs durchweg sympathisch und die Mucke zwar anspruchsvoll, aber nicht zu verkopft. Die Circle-Pit-Kommandanten kommen daher ebenso auf ihre Kosten wie die stoischen Dauerheadbanger. Dass die Mucke offenbar allen mundet, wird durch das zum Bersten gefüllte Zelt mehr als deutlich. Der Hallen-Tagessieg geht am Freitag ganz klar nach Indonesien.

Illdisposed2

ILLDISPOSED

Kontrastprogramm auf der Open-Air-Bühne. ILLDISPOSED hauen dem gut gefüllten Infield ihre rockigen Todeshymnen um die Ohren. Es ist ein Rätsel, warum diese seit mittlerweile fast 35 Jahren existierende Band nie größer geworden ist, denn im Grunde haben die Dänen alles, was man dazu benötigt: die Songs, den Groove, eine schöne Ausgewogenheit aus Melodie und Härte, die Musikalität, die Coolness und die schönen Menschen. „Hier an der Klampfe, das ist der Ken. Der heißt so, weil er so hübsch ist wie der Freund von Barbie. Aber sorry Ladies, er ist stockschwul“, reißt Sänger Bo den ersten 90er-Jahre-Witz. Und nimmt den Status seiner Band gelassen: „Spart eure Puste. Nach uns kommen viel bessere Bands“, sagt er trocken. Auch die Tatsache, dass man nicht wie Rockstars um die Welt jettet, sondern mit der Fähre nach Kiel und von dort per PKW weiterreisen musste, kommentiert er lapidar: „Wir haben von Kiel acht Stunden gebraucht. Das bedeutet, ich habe jetzt acht Sanifair-Bons.“ Den Titeltrack des 95’er Werks „Submit“ kündigt er mit den Worten an: „Der nächste Song ist noch älter und noch schlechter.“ Doch das permanente Understatement täuscht nicht darüber hinweg, dass Danish Dynamite auf der Bühne höllisch gut funktioniert und die Band so tight ist wie ein Uhrwerk. Das wissen die Fans zu goutieren. Crowdsurfer und Moshpits bestimmen das Bild und feiern nicht nur die Klassiker, sondern auch die neuen Songs des aktuellen Werks „In Chambers Of Sonic Disgust“ gut ab. Top-Gig!

Maceration3

MACERATION

Wir bleiben bei historischen Bands aus Dänemark, tauchen aber etwas mehr ins Obskure ab. In der Halle stehen MACERATION auf der Bühne. Seit 1990 als Nebenprojekt zweier ehemaliger Invocator-Schergen aktiv, haben die Burschen gerade mal drei Longplayer veröffentlicht. Das Debüt von 1992 hat übrigens ein gewisser Dan Swanö eingesungen. Das ist alles lange her. Die Oldschool-Bande muss hier und heute in Dortmund zeigen, was sie wert ist und vertritt als einzige Band des Dortmund Death Fest die HM2-Fraktion. Und siehe da: Man kann sich durchaus in die natürlich absolut traditionell gehaltene Mucke hereingrooven. Sänger Jan Bergmann Jepsen, der ungefähr so aussieht wie ein verwirrter Kunstlehrer am Freidenker-Gymnasium strahlt mit seines Sidekicks um die Wette, weil das Publikum sowohl die klassischen Songs als auch die – kein bisschen weniger traditionell anmutenden – neuen Tracks von „Serpent Devourment“ zu mögen scheinen. Natürlich steppt hier nicht so der Bär wie bei den verrückten Deadsquad, denn insgesamt sind die Jungs ja auch ein wenig gemächlicher unterwegs. Aber als Achtungserfolg geht die Show allemal durch.

Decapitated2

DECAPITATED

Zeit für den ersten Headliner auf der Main Stage. DECAPITATED bitten zum Tanz und haben ihre Jünger umgehend im Griff. Natürlich zehren die Polen von ihrer jahrzehntelangen Erfahrung und zig Welttourneen. Aber in Gestalt des immer noch relativ neuen Sängers Eemeli Bodde gibt es dann doch noch genug Potenzial für ein wenig Lampenfieber. Doch weit gefehlt: Bodde regiert die Meute, als sei er seit dem Debütalbum Teil des DECAP-Teams. Er beschwert sich kurz über die nervige Anreise, sagt aber dann aus voller Überzeugung: „Nur das hier ist jetzt wichtig.“ Und genau so feuert das Quartett seine Hits ins Plenum. Mit Tracks wie ‚Just A Cigarrette‘ oder ‚Earth Scar‘ kocht der Mob von Beginn an. Präzision ist Trumpf bei DECAPITATED, hier wird nichts dem Zufall überlassen. Drummer James Stewart nagelt die komplexen Baller-Rhythmen mit unglaublicher Präzision ins Brett. Für den Rock ‘N‘ Roll-Faktor sorgt wiederum Shouter Eemeli, indem er bei ‚Kill The Kult‘ kurzerhand einen Mitsing-Teil einbaut. Ginge es nach den Anwesenden, könnten die Jungs noch stundenlang weiterspielen, aber irgendwann ist auch die schönste Nackenbrecher-Orgie mal vorbei. Würdiger Top-Act!

Der Abend neigt sich dem Ende entgegen. Aber die Halle wird noch einmal brechend voll. DEFEATED SANITY kann man eigentlich nur lieben oder hassen. Es gibt im Brutal Death Sektor keine zweite Band, die dermaßen ins Mett frickelt. Ich bin zugegebenermaßen etwas befangen, weil mir nach einem Festival-Gig Vaughn Stoffey, der nebenbei bemerkt so ziemlich der beste Gitarrist der ganzen verfickten Welt ist, mal auf die Schulter klopfte und „good show“ meinte. Sagt er wahrscheinlich jedem, damit er schneller sein Zeug von der Bühne schafft. Aber der Fan-Boy in mir will es eben anders. Die schiere rohe Gewalt dieses einzigartigen, weil irgendwie jazzigen Dauergeballers tut dann auch umgehend seine Wirkung und vertreibt die Zweifler, während es die Gläubigen auf eine andere Ebene entführt. Unbeschreiblich, unwiderstehlich!

Wer nicht weiterfeiern will, den treibt es zu seiner Schlafstatt. Gottlob gibt es in Dortmund ausreichende günstige Unterkünfte. Der Legacy-Reporter ist gut einen Kilometer vom JunkYard in einem Hotel abgestiegen, das inklusive sehr üppigem Frühstück gerade mal 60 Euro pro Nacht kostet. Vergleicht man das mit den Campinggebühren einiger Festivals, ist man durchaus gut dabei und schläft in einem warmen, weichen Bettchen. Gute Nacht!

Samstag, 2. August

Am nächsten Morgen geht es zunächst zu Sir Hannes Schmidt und seinem Kult-Laden „Idiots Records“ an der Rheinische Straße 14. Mann, ist die Hütte um diese Zeit schon voll. Hier wird erst mal jede Menge Musik und Mode abgegriffen – natürlich bekommt der Kunde aufmerksamerweise bereits um 10.30 Uhr morgens eine leckere Gerstenkaltschale aufs Haus gereicht. Kein Wunder, dass der gut sortierte und preislich ebenfalls akkurate Laden seit mehr als 30 Jahren brummt.

Plagueborne 

PLAGUEBORNE

Nach einer kleinen Stärkung geht es dann um 14 Uhr auf dem JunkYard-Gelände weiter. PLAGUEBORNE aus Andernach waren mir mit ihrem 2021er Debüt „A Blueprint For Annihilation“ extrem positiv im Gedächtnis geblieben. Brutal Death trifft auf Oldschool, trifft auf moderne Grooves und ein paar melodische Tupfer. Die Mischung ist unwiderstehlich. Und mit der Meinung stehe ich anscheinend nicht alleine da, denn die Halle ist trotz der frühen Tageszeit bereits pickepackevoll. Live klingt das Ganze noch einen Zacken brutaler als auf Platte, und der Fünfer haut kurz nach dem Mittagessen schon ziemlich tief in die Magengrube. Mehr als nur ein Appetithappen würde ich sagen. Daumen nach oben.

Danach müssen WARSIDE die Freiluft-Bühne am Samstag entjungfern. Und damit tun sie sich schwerer als ihre Kollegen in der Halle. Denn die Franzosen verfolgen mit ihrem aggressiven Death Metal zwar eher den Oldschool-Ansatz, brauchen aber ein wenig Zeit, um eine entsprechende Atmosphäre zu kreieren. Dass Neusänger Mathieu schon nach drei Minuten einen Circle Pit von den nicht eben vielen Zuschauern vor der Bühne fordert, ist da schon ein wenig ambitioniert. Allerdings fangen die Jungs die Fans im Laufe ihres Gigs dann doch ein wenig ein – so überzeugt der präzise dargebrachte Todesstahl vor allem dank der maschinenartigen Bearbeitung des Drumkits von Schlagwerker Thomas auf lange Sicht schon. Zudem häufen sich die Moshparts analog zur Partylaune der Zuhörer, sodass die Bewegung zunimmt. Mathieu entpuppt sich zudem als sympathischer Dauerkommunikator. Ende gut, alles gut also? Auf jeden Fall. Checkt die wirklich gute „The Enemy Inside“-EP und das in der Entstehung befindliche neue Album nach seiner Veröffentlichung unbedingt an, wenn ihr auf die Energie der alten Deicide und ein paar modernere Elemente abfahrt.

Embedded4

EMBEDDED

EMBEDDED aus Osnabrück sind kurzfristig für die aufgrund personeller Schwierigkeiten verhinderten Messticator eingesprungen und haben nicht nur einen ordentlichen Anhang mitgebracht, sondern kloppen ebenso amtlich ins Mett. Mehr als 30 Jahre hat die Truppe auf dem Buckel und sich in dieser Zeit von einer gediegenen Oldschool-Kapelle zu einer ziemlich brutalen Truppe entwickelt, was sich nicht nur an den tiiiiiieeeeeeeeefen Vocals von Shouter Rainer bemerkbar macht, sondern auch an den immer wieder eingestreuten Brutal Death Parts, die aber nie langweilig werden. Das hat schon auf dem letzten regulären Output „Bloodgeoning“ (2016) hervorragend funktioniert und wirkt live noch eine Spur ruppiger, auch wenn die beiden Gitarristen André und Wolfgang ihre nicht unanspruchsvollen Parts in stoischer Gelassenheit vortragen. An EMBEDDED lässt sich die Entwicklung vieler Bands der alten Tage gut ablesen. Stillstand muss nicht sein. Die Menge feiert das Ergebnis jedenfalls amtlich ab, und wir alle hoffen nach diesem Gig, dass es mit der Band auch albumtechnisch noch einmal weitergeht.

Fulci2

FULCI

Draußen wird derweil die Leinwand hinter der Bühne gecheckt, denn FULCI sind an der Reihe. Die Band aus Caserta in Italien widmet ihr gesamtes Schaffen dem Werk des Kult-Regisseurs Lucio Fulci, der Klassiker wie „Ein Zombie hing am Glockenseil“ oder „Das Haus an der Friedhofsmauer“ geschaffen hat und auch als „Godfather of Gore“ bezeichnet wird. Geschmackvolle Ausschnitte aus seinem Kanon laufen während des Gigs des Quintetts permanent über besagte Leinwand, sodass der geneigte Voyeur nur selten auf die Musiker achtet. Wenn doch, dann wird man beispielsweise der Fähigkeit des Sängers Fiore gewahr, die Augäpfel so zu verdrehen, dass nur noch das Weiße zu sehen ist. Musikalisch ist das Ganze einwandfrei gezockter, eingängiger Death Metal, der vor allem das aktuelle Album „Duck Face Killings“ mit Songs wie ‚Maniac Unleashed‘, ‚Human Scalp Collection‘ oder ‚Rotten Apple‘ würdigt und sich ansonsten aus Nummern von „Tropical Sun“ (2019) und „Exhumed Information“ (2021) zusammensetzt. Die Dortmund-Deathfest-Familie feiert die fünf Splatter-Freaks gebührend ab. Verdient, denn neben der visuellen Animation ist das Ganze auch musikalisch mehr als überzeugend.

BEGGING FOR INCEST machen mit ihrem Deathgrind nun auch schon seit beinahe 20 Jahren die Szene unsicher. Mit ihrer Mischung aus groovigen Slam-Parts und viehischem Geknüppel hat man die Halle direkt fest im Griff und die Tanzwütigen auf seiner Seite. Dass die als Porngrind-Combo gestartete Truppe mittlerweile auch lyrisch ernsteren Themen nachgeht als auf ihren ersten Veröffentlichungen, spricht für einen gelungenen Reifeprozess. Auf „Awaiting The Fist“ (2008) waren die kölschen Bengels damals gerade der Pubertät entwachsen und erbrachen und Songs wie ‚Cuntpuncher‘ oder ‚A Severed Head, A Better Blowjob“, die heute möglicherweise anders – äh – rezipiert würden. Spätestens mit „Finsternis“ (2016) ist man aus dem Land des gedanklich degenerierten Dauer-Gangbangs ausgewandert und begeistert sich für düstere Themen ohne misogyne Beigaben. Das neue Album „Going Postal“ steht in den Startlöchern, und der Gig geht definitiv als Kaufempfehlung durch.

Malevolent Creation 2

MALEVOLENT CREATION

Ordentlich Platz ist danach auf der Hauptbühne, wo sich MALEVOLENT CREATION auf ihren Gig vorbereiten. Oder besser gesagt: das, was von der legendären US-Combo übriggeblieben ist. Nachdem sich das einzig verbliebene Originalmitglied Phil Fasciana Mitte Juli während der Europatour eine lebensgefährliche bakterielle Lungenentzündung eingefangen hat, muss er stationär in Frankreich behandelt werden. Daher sind für den Rest der Tour nur noch Jesse Jolly (b,v), Chris Cannella (g) und Ron Parmer (d) an Bord. Keiner der drei hat an irgendeiner Veröffentlichung der Band mitgewirkt. Interessant ist das Line-up dennoch, denn wir haben es mit einer Art Deicide-Light zu tun. Während Jesse und Ron einige Jahre bei der Deicide-Vorgängerband Amon gezockt haben (allerdings lange nach Glen Bentons Ausstieg), griff Chris sogar drei Jahre lang für Bentons Hauptkapelle in die Saiten. Das Trio müht sich redlich und professionell, doch zumindest bei den alten Fans will der Funke nicht unbedingt überspringen, da hier noch nicht einmal die Truppe auf der Bühne steht, die das bis dato letzte Album „The 13th Beast“ (2019) eingespielt hat. Zudem wird Phils Spiel schmerzlich vermisst. MALEVOLENT CREATION sind eben kein Trio, und Klassiker wie ‚Premature Burial‘ oder ‚Slaughter Of Innocence‘ klingen in dieser Besetzung einfach anders. Dass MALEVOLENT CREATION ihre Tour weiterspielen, obwohl ihr Herz und unbestrittener Steuermann ausgefallen ist, wird vermutlich wirtschaftliche Gründe haben. Fasciana ist jedenfalls nach aktuellem Stand übern Berg, darf wieder nach Hause und verspricht, bereits im Herbst mit Krisiun wieder in Europa zu touren. Der MAMMOTH GRINDER-Gig fällt leider menschlichen Bedürfnissen zum Opfer.

Macabre1

MACABRE

Dafür geht es direkt gestärkt vor die Hauptbühne zu den Irren von MACABRE. Und die werden gefeiert wie die verlorenen Söhne. Seit mittlerweile 40 Jahren musizieren Lance, Charles und Dennis nun bereits zusammen und zelebrieren ihre Hymnen über Massenmörder zur Freude ihrer Anhängerschaft. Musikalisch ist das Ganze eher simpel gehalten, und man möchte sich nicht vorstellen, wie die Band überleben würde, wenn sie sich einer weniger morbiden Grundthematik verschreiben würde. Aber die Frage stellt sich zum Glück nicht. Lance alias Corporate Death erzählt vor jedem Song die Geschichte zum betreffenden Killer. Das gestaltet sich oft unterhaltsamer als die Songs an sich. Dazu kommt, dass man einen Komparsen in diverse Masken und Kostüme steckt, die das Antlitz netter Menschen wie Jeffrey Dahmer, Ed Gein, Richard Ramirez oder Richard Kuklinski abbilden. So werden Songs wie ‚Hitchhiker‘, Éd Gain‘‚Night Stalker‘ oder ‚The Iceman‘ für ein paar Minuten irgendwie zum Leben erweckt. Das sorgt für jede Menge gute Laune und wohl auch dafür, dass MACABRE auch in zehn Jahren noch als Stimmungsaufheller zu Festivals eingeladen werden.

Bei GUTSLIT ist die Stimmung anschließend ebenfalls großartig. „Wir sind extra den weiten Weg von Indien hergekommen“ ruft Sänger Aditya fröhlich in die Menge – und die lässt den Brutal Deathern umgehend sämtliche Herzen zufliegen. Was die auch für einen Abriss veranstalten, ist nicht von dieser Welt. Alles auf der Bühne ist in Bewegung. Basser Gurdip Singh lässt seinen Schlabberlappen permanent aus der Futterluke hängen und wirkt damit wie ein Gene Simmons mit Turban. Songs wie ‚Matriarch‘ oder ‚Blind Torture Kill‘ vom aktuellen Album „Carnal“ werden dabei ebenso frenetisch abgefeiert wie der Bandklassiker ‚Blood Eagle‘ von „Amputheatre“. Überragend an der Band ist neben ihrem Bewegungsdrang auch die absolut nachvollziehbare Musikalität und kompositorische Klasse, die dazu führt, dass die Riffs Alleinstellungsmerkmale besitzen und die Songs zu etwas Besonderem und vor allem unterscheidbar machen. So vergeht die halbe Stunde im Flug und macht Lust auf mehr.

Brujeria1

BRUJERIA

Der abgeschlagene Schädel auf dem Drumset macht es klar: Es ist Zeit für BRUJERIA. Und wie die Vorzeige-Gang loslegt: Schon das Eröffnungsdoppel ‚Brujerizmo‘ und ‚El Desmadre‘ holt die Menge in den Pit. Die Truppe um Shouter Henry Sanchez und Criminal-Chef Anton Reisenegger reißt an diesem Nachmittag mit ihrem groovigen Extremmetal Bäume aus. Jeder Song geht umgehend ins Bein. Dazwischen haut Sanchez Parolen ins Publikum wie „Zurückstecken ist nicht.“ Schön ist auch, dass er irgendwann fragt, ob ihm jemand einen Joint besorgen könne und dann mit den Dingern zugeschmissen wird. Es lebe die Legalisierung! ‚Anti-Castro‘ beschreibt das Gegenteil von Freiheit und wird aus vielen Kehlen mitgesungen. Am Ende wird die vor Glück tanzende und johlende Menge mit der ‚Macarena‘- Verlade ‚Marihuana‘ in den Abend entlassen.

ACRANIUS aus Rostock sollen in der Halle mit ihrem brutalen Deathcore die Zeit bis zum Dying Fetus Gig verkürzen. Das klappt bei mir nur insofern, als es mich nach ein paar Songs hinaus in den lauen Abend treibt. Es gibt bestimmt Menschen, die diese Art von Musik zu würdigen wissen – das sieht man auch vor der Bühne deutlich. Aber ich kann damit einfach nichts anfangen, mir fehlen schlicht die Riffs, seht’s mir nach.

Dying Fetus2

DYING FETUS

Warum DYING FETUS noch mal in einer ganz anderen Liga spielen als alle anderen Bands des Festivals, spürt man vom ersten Ton an. Obwohl das US-Trio den Bewegungsradius einer Slayer-Show noch unterbietet, ist die Mischung aus stumpfen Slam-Passagen, klassischen Death Metal Riffs und verspielten Parts so unwiderstehlich, dass gefühlt das gesamte Gelände sofort zum Circle Pit wird. John Gallagher, der ohne seine akustische Power wirkt wie ein Schulhausmeister, fordert die Menge zu immer neuen Rekorden in Sachen Kollektives Ausrasten auf: „Get the pit started“ Und die Meute gehorcht hat aufs Wort. Auf einmal ist das Geschrei eines Säuglings zu hören. „You hear the fuckin‘ Baby? Here’s some shit, called ‚From Womb To Waste‘“, geifert Sean Beasley ins Mikro bevor die nächste Sause startet. „You guys are definitely the wrong ones to fuck with“ lobt Gallagher die Dortmunder Fans vor dem entsprechenden Lied. Die Fans mobilisieren nicht mehr für möglich gehaltene Reserven und rennen noch angefixter im Kreis herum. ‚Grotesque Impalement‘ und ‚In The Trenches‘ zerlegen das Gelände weiter, es ist ein Traum. Irgendwann ist der Spuk aber dann doch vorbei. Glücklich strömt die Masse dem Ausgang entgegen. Oder vielleicht doch noch der Halle?

Denn dort starten EXTERMINATION DISMEMBERMENT ihre Show. Die vier Slam Deather aus Weißrussland sehen in ihren SQUAD-Schutzwesten erstmal aus wie eine Vorabend-Krimiserie. Sirenengeheul, Stroboskop-Licht, Geballer, Breakdown, Slam, Geballer… Ihr wisst schon, wohin die Reise geht. ‚Serial Urbicide‘, ‚Terror Domination‘ – eine wunderbare Gewaltdusche, um zufrieden in die Nacht zu entgleiten. Deathbanger’s paradise – so muss das sein!

Muss ich noch etwas zum Drumherum sagen? Ok, hier muss man den Veranstaltern einfach ein riesiges Kompliment machen. Das Security-Personal ist durch die Bank freundlich, die Shirtpreise bewegen sich in der Regel zwischen 25 und maximal 35 Euro, die Getränkepreise sind mit 4,50 Euro für 0,33 Liter Bier auch im Rahmen, zumal man sich zwischen diversen Sorten entscheiden kann. Gleiches gilt auch für die Softdrinks. Toiletten gibt es nicht im Übermaß, aber die vorhandenen Anlagen werden quasi im 15-Minuten-Takt geputzt – Hut ab vor den Reinigungskräften. Dass die Wege zwischen den Bühnen kurz sind, versteht sich bei dem Gelände von selbst. Der Sound ist drinnen naturgemäß noch etwas krachiger als auf dem Open-Air-Gelände. Am Ende sieht man hauptsächlich zufriedene und glückliche Gesichter. Gibt es beim Billing einen Kritikpunkt? Wenn man unbedingt nach dem Haar in der Suppe suchen will, dann bemängelt man vielleicht den Umstand, dass der gute alte Schweden-Death gefehlt hat. Unleashed, Entrails oder Demonical wären im kommenden Jahr sicherlich eine Bereicherung. Alles andere bitte beibehalten und danke für ein geniales Festivalerlebnis!!!

Text & Fotos: Marcus Italiani

Vorschau 2026