
Die Gothic-Metal-Legenden CRADLE OF FILTH treiben den Redakteur zu später Stunde hinaus in die österreichische Nacht. Zum einen ist es ungewöhnlich, dass die Dame und die vier Herren in einem so kleinen Club wie dem Conrad Sohm in der österreichischen Provinz auftreten. Zum anderen passt das Ambiente – ein intimer Club mitten im Wald – perfekt zur geisterhaften Stimmung, welche die englischen Pioniere dieser Musikrichtung erzeugen. Entsprechend groß ist die Neugier, ob CRADLE OF FILTH die Versprechen aus unserer Titelstory in Ausgabe #155 auch tatsächlich einlösen.
TERRADOWN
Für TERRADOWN ist der Redakteur leider zu spät eingetroffen (man bittet um Entschuldigung), doch sowohl ein Foto auf Social Media (siehe hier) als auch Gespräche mit anwesenden Bekannten lassen erkennen: Die Herren machten als Opener einen mehr als soliden Job – und durften sogar schon vor einigen Zuschauerinnen auftreten. Wer die Jungs bisher nicht kennt: Die neueste EP „Checkmate“ (hier streamen!) kann definitiv was!
NERVOSA
Weiter geht’s mit den „Maidens of Thrash“, wie Dani Filth sie später treffend nennen sollte. Die Band rund um Frontfrau und Gitarristin Prika Amaral (Revolta) macht das, was sie am besten kann – moderne Thrash-Salven in die Menge feuern. Diese sind zwar teils old-schoolig strukturiert und arrangiert, klanglich aber eindeutig in der Post-2000er-Ära verortet. Die ewigen Vergleiche mit neueren Destruction-Werken werden so bald wohl nicht abreißen. Trotzdem wirken die vier Damen auf der Bühne äußerst sympathisch und publikumsnah – vielleicht sogar einen Hauch zu freundlich und dankbar, wenn man bedenkt, dass ihre Texte durchaus düstere und bittere Inhalte transportieren.
Macht aber nichts – gerade den ersten Reihen im Conrad Sohm gefällt’s, auch wenn es etwas dauert, bis die Menge auftaut. Mit „Seed Of Death“, „Jailbreak“ und „Behind The Wall“ gibt’s einiges vom aktuellen Album Jailbreak (2023, Napalm) auf die Ohren. Auch Downfall Of Mankind (2018) wird nicht vergessen – und wenn der Redakteur sich nicht verhört hat, wird mit „Under Ruins“ auch der beste Song von Perpetual Chaos (2021) gespielt. Alles launig dargeboten – nicht überragend, aber solide –, sodass die Meute bereit ist für den kleinen (nicht körperlich gemeint, sondern im Vergleich zu Ozzy Osbourne) Prinzen der Dunkelheit. Nach rund 40 Minuten ist Schluss, und die CRADLE-Crew, teils in „Crewdle“-Shirts (ein Brüller!), beginnt mit Soundcheck und Umbau.
"We wish to live deliciously
In this garden of delights
We wish to live deliciously
Enraptured, bedight
We wish to live deliciously
In this sea of paradise
We wish to live deliciously
Enchanted, free to every vice"
Um 21:30 Uhr geht das Licht aus, das Hellraiser-Thema erklingt, und dann betreten die vier Männer und die Dame die Bühne. Dani torkelt wie ein besessener Geist mit schwarzer Haube auf dem Kopf ins Rampenlicht – nur um dann mit voller Kraft in „To Live Deliciously“ zu starten. Perfekter Opener: Das Publikum ist sofort dabei und hungrig auf weitere Kracher.
Spätestens nach dem dritten Stück, „The Forest Whispers My Name“, sind zwei Dinge klar: CRADLE OF FILTH erwischen heute einen besonders starken Tag, und die Band ist in dieser Formation ein gut geölter, symphonischer Panzer. Der Soundcheck hat sich gelohnt – sogar in den ersten Reihen sind alle Instrumente und der Klargesang von Zoe Marie Federoff nahezu perfekt zu hören. Stark!
Ansagen sind bei Dani spärlich, aber stets charmant, selbstironisch oder pathetisch – und gegen Ende, als die Midian-Songs erklingen, wirkt er beinahe irritiert, dass das Publikum die neuen Stücke besser zu kennen scheint als die Klassiker („Do you know of a city called Midian? … It seems you don’t!“).
Auf „The Forest Whispers My Name“ folgt „She Is A Fire“, das schlichtweg knallt und einen ersten Höhepunkt markiert. „Malignant Perfection“ wiederum sorgt für ein Schmunzeln – live klingt das Stück fast wie eine Disco-Black-Metal-Nummer mit viel Groove und „Wackelpotenzial“. Überhaupt scheint es, als würden die Gitarristen Ashok (langjährig dabei) und Donny Burbage (seit 2022) die schwarzmetallische Atmosphäre gezielt etwas zurückfahren. Die Songs wirken heavy-metal-lastiger – live funktioniert das wunderbar. So erscheint „Nymphetamine Fix“ fast wie ein stilistischer Fremdkörper (leicht übertrieben), während „Heartbreak And Seance“ alles niederreißt. Natürlich sind CRADLE OF FILTH auch 2025 noch – vielleicht mehr denn je – ein wenig albern. An Danis Kung-Fu-Moves und seinem gezappelten Gehampel scheiden sich die Geister, zumal viele Stücke auf der Bühne alles andere als „geisterhaft“ wirken. „Musical Black Metal“ scheint als Bezeichnung daher gar nicht so falsch.
Was man Dani lassen muss: Er ist gesanglich in Topform – auch wenn die hohen Töne ihm gelegentlich „vergaggeln“, wie man in Österreich sagt. Auch sein Brustpanzer nervt ihn sichtlich – mehrfach muss er den Schulterteil richten –, doch es besteht nie Zweifel daran, dass er mit vollem Herzen dabei ist. Die drei Kollegen an Gitarren und Bass agieren zurückhaltend, sorgen aber gleichzeitig dafür, dass alles perfekt läuft und das Publikum stetig angeheizt wird. Drummer Marthus geht hinter seiner Glaswand auf der kleinen Bühne etwas unter – nach 20 Jahren bei CRADLE wird er’s wohl verkraften.
Klassikerfans kommen voll auf ihre Kosten: In der zweiten Set-Hälfte gibt es gleich drei Songs vom Midian-Album – „Creatures That Kissed In Cold Mirrors“ (vom Band), „Death Magick For Adepts“ und natürlich „Her Ghost In The Fog“.
Im Zugabeteil betritt ein Drum-Tech (?) die Bühne, um bei „Cruelty Brought Thee Orchids“ und „Death Magick For Adepts“ gemeinsam mit Dani die tiefen Gesangspassagen zu übernehmen – inklusive coolem Szepter. Nicht schlecht: CRADLE OF FILTH sind eben auch Entertainment – und dürfen das auch sein.
Nach gut 80 Minuten ist Schluss, und das Publikum wird in die dunkle Nacht und den angrenzenden Wald entlassen. Mit den Songzeilen im Ohr bleibt festzuhalten: CRADLE OF FILTH können es 2025 noch. Die Titelstory war mehr als verdient – und Dani Filth bleibt einer der besten Texter, die die Black-Metal-Szene hervorgebracht hat. Einziger Wermutstropfen: 40 EUR für ein Tourshirt – meine Herren!
"Red hot is her inclination
I beg incineration
She came walking from the flame
Burning with dark inspiration
She is a fire"
Setlist:
01. Main Theme from Hellraiser: Resurrection Waltz
02. To Live Deliciously
03. The Forest Whispers My Name
04. She Is A Fire
05. Malignant Perfection
06. Principle Of Evil Made Flesh
07. Heartbreak And Seance
08. Nymphetamine Fix
09. Born In A Burial Gown
10. White Hellebore
11. Creatures That Kissed In Cold Mirrors
12. The Monstrous Sabbat (Summoning The Coven)
13. Cruelty Brought Thee Orchids
14. Death Magick For Adepts
15. Her Ghost In The Fog
16. Blooding The Hounds Of Hell