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FROZEN CROWN, FELLOWSHIP, LUTHARO @ Rockpalast, Bochum - 22.04.2025

Dienstag in Bochum. Später Nachmittag. Vor dem Rockpalast hat Bruno’s Imbiss auf zwei Rädern Konjunktur. Zahlreiche Kuttenträger, die vorm Eingang in der langen Schlange warten, wollen noch kurz in was Handfestes beißen, bevor es drinnen laut und feucht-fröhlich wird. Ergo wird die eine oder andere Asi-Schale in die Panzerung geschraubt. Sehr lange Schlange?  Wie jetzt? Spielen etwa Sodom im Pott?

Weit gefehlt. Mit FROZEN CROWN (I), FELLOWSHIP (GB) und LUTHARO (CAN) steht der metallische Nachwuchs auf den berühmten Brettern im Inneren des altehrwürdigen Gemäuers. Und das wollen sich sehr viele Fans offenbar nicht entgehen lassen. Die Headliner waren bereits vor einem halben Jahr im Tross von Kamelot auf Konzertreise, hatten da aber die undankbare Aufgabe, als erste von vier Bands nur eine Hand voll Songs zum Besten zu geben. Das ist dieses Mal anders – und das ist auch gut so.

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Doch zunächst stehen die Kanadier von LUTHARO auf der Bühne und legen mit ‚Ruthless Bloodline‘, dem Opener ihres aktuellen Albums „Chasing Euphoria“ los wie die berühmte Feierwehr. Die Mischung aus Thrash, Death und Power Metal kommt bei der zunächst leicht skeptischen Menge nach wenigen Momenten gut an. Frontfrau Krista Shipperbottom turnt wie ein ADHS-Floh über die Bretter und wechselt zwischen Gekreische und cleanen, aber nie trällerelsigen Vocals hin und her. Sympathisch daran: Sie setzt darauf, komplett in der Musik aufzugehen, anstatt die ziemlich anspruchsvollen Lines in jedem Moment sauber zu performen. Das führt zwar dazu, dass sie ab und an mal an einem Ton vorbeischrammt, bringt aber jede Menge Punkte auf der Energieskala – und die ist live selbstredend entscheidend. Ihre Sidekicks tun es ihr gleich und das Songmaterial ist ohnehin eine Klasse für sich. ‚Reaper’s Call‘ bekommt von Krista folgende Ansage verpasst: „Leute, der nächste Song handelt davon, betrunken zu werden. Und ich muss euch sagen, dass ich diese Erfahrung gestern Abend selber gemacht habe und gerade mit einem schmerzvollen Tag büße.“ Dennoch peitscht sie durch den Song als wäre es ihr letzter Gig, während Drummer Cale Costello so hart zuschlägt, dass er fast sein Set zertrümmert. Applaus gibt es für beides. Bei ‚Wings Of Agony‘ von der gleichnamigen EP läuft mir jedes Mal ein Schauder über den Rücken, denn Krista klingt in den cleanen Passagen schon sehr nach der legendären Keltziva, die in den 90ern mit ihrem Organ die besten Scheiben von Dismal Euphony veredelte. Ob Frau Shipperbottom die frühen Werke der norwegischen Melo-Black-Metaller als Baby mit der Muttermilch verabreicht bekommen hat, ist nicht bekannt. Der Song erzeugt aber auch an diesem Abend Gänsehaut – die Mischung ist einfach unwiderstehlich. Das zeichnet auch den Rausschmeißer der Kanadier aus. ‚Lost In A Soul‘ vom 2021er-Album „Hiraeth“ lässt die Zuschauer abwechselnd die Schönheit des Seins feiern und blinder Zerstörungswut nachgeben – zumindest platonisch. Ein mehr als würdiger und musikalisch ziemlich interessanter Anheizer, dem vielleicht die Zukunft gehört.

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Mit FELLOWSHIP betritt dann das Kontrastprogramm die Bretter. Stilecht gewandet, legen die symphonischen Happy Metaller mit ‚Glory Days‘ von ihrem vorletzten Output „The Saberlight Chronicles“ los. Und live hat das, was auf Konserve oft ein wenig zu poliert klingt, durchaus den Ansatz von Eiern. Gitarrist Brad Wosko fühlt sein Gitarrenspiel – ein Arpeggio jagt das nächste. Der Umhang flattert dazu im Wind seiner Bewegungen. Und auch Sänger Matthew Corry kommt neben seinem engelsgleichen Gesang die eine oder andere lustige Anekdote über die Lippen. Highlight ist sicherlich, als er ankündigt, die kaputten Stiefel seines Gitarristen nach der Show am Merch zu versteigern. Und auch der Aufforderung, bei ‚Hold Up Your Hearts (Again)‘ mit den Händen ein Herz zu formen und über den Kopf zu halten, kommt ein Großteil des Publikums nach. FELLOWSHIP sind durchaus agil und überzeugt von dem, was sie tun. Allerdings täuscht das nicht darüber hinweg, dass die Briten am Ende des Tages ein Pop-Geschwader im harten Gewand sind. ‚World End Slowly‘ könnte beispielsweise bei Verzicht auf die Klampfe als Lied von The Smiths durchgehen. Kurz: Ausnahmslos jeder Song würde sich als Soundtrack zu einem Hobby-Horsing-Turnier eignen. Die meisten Zuschauer stört das aber kein Stück, sie feiern jede Nummer des Quartetts frenetisch ab. Und das dürfen sie natürlich auch. Hauptaugenmerk liegt auf den Songs des neuen Werks „The Skies Above Eternity“, das musikalisch durchaus einige Sahnehäppchen zu bieten hat. Zum Beispiel das hymnische „Victim“, das sowohl musikalisch als auch lyrisch wohl das Beste ist, was die Band bislang zustande gebracht hat und umgehend Gänsehaut erzeugt. Hier schafft es die Band, echte Emotionen mit galoppierenden Riffs zu verweben. Und musikalisch ist das Ganze ohnehin eine Klasse für sich – Yngwie Malmsteen würde stolz auf seinen Gitarre spielenden Enkel im Geiste schauen, würde er dieses Spektakel miterleben.

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FROZEN CROWN werden schon bei Betreten der Bühne willkommen geheißen wie die verlorenen Töchter und Söhne des Ruhrgebiets. Und die Truppe um Frontfrau Giada Etro enttäuscht nicht. Zu gut sind die Jungs und Mädels mittlerweile eingespielt, zu magisch läuft das, was sie tun ineinander. Etro strahlt wahlweise ins Publikum, mischt die Meute auf oder tritt auch schon mal beiseite, um sich das Wirbeln ihrer Gitarrenfront in Ruhe anzuschauen. Und da gibt es einiges zu sehen. Was Federico Mondelli, Fabiola Bellomi und Alessia Lanzone hier auffahren, ist das ganz große Musiker-Kino. Hochgeschwindigkeits-Shredding, Harmonien zum Niederknien und sattes Geriffe lassen die Kinnladen diverser Zuschauer gen Erdkern klappen. Aber von der reinen Angebershow sind die Italiener weit entfernt. Da wo Dragonforce, die ja gerne als große Brüder von FROZEN CROWN bezeichnet werden, immer mal wieder den Faden verlieren, nagelt das Sextett seine Tonfolgen allesamt ins Ziel. Der mit Sonnenbrille cool ins Publikum grinsende Basser Francesco Zof nickt wissend und begleitet das Feuerwerk auch aufgrund seines Altersvorteils wie ein erfahrener Internats-Aufseher. Seine frechen Kids nutzen den geringen Platz der Bühne derweil bis zum letzten Millimeter aus, selbst wenn es eigentlich gar keinen Platz gibt. Drummer Niso Tomasini bekommt beispielsweise einen solchen Adrenalinkick, dass er mal eben große Teile des Sets im Stehen spielt. Was geht hier ab? Dass FROZEN CROWN das leben, was sie lieben, wird mit jeder gespielten Note, mit jeder Pose und jeder Ansage deutlich. Fünf Alben in der bislang erst achtjährigen Karriere der Italiener sind eine klare Ansage. Zumal sich auf den Platten trotz des meist mörderischen Tempos auch unterscheidbare und im Gedächtnis haftenbleibende Hits befinden – da kommen wir wieder zum nicht verlorenen Faden. Wer Songs wie ‚I Am The Tyrant‘, ‚Call Of The North‘ oder das unkaputtbare ‚King‘ im Programm hat, der muss auf lange Sicht einfach die Erfolgstreppe hochfallen. Zur neuen Nummer „Ice Dragon“ gibt es eine ergreifende Ansprache von Federico zu einem österreichischen Fan der frühen Stunde, dem dieser Song gewidmet ist, der aber die Fertigstellung nicht mehr miterlebte. Natürlich werden auch diverse weitere Stücke vom aktuellen Album „War Hearts“ zum Besten gegeben. ‚Steel And Gold‘ ist jetzt bereits ein Publikumsliebling und wird dies wohl auch in vielen Jahren noch sein, der Song besticht einfach durch seine eigensinnige und völlig euphorische Melodieführung. Auch das eröffnende Titelstück, ‚Night Of The Wolf‘ sowie ‚To Live To Die‘ knallen gut rein. Apropos Reinknallen: The return of the drum-solo ist natürlich auch grandios – und wird von Tomasini entsprechend zelebriert. FROZEN CROWN scheren sich einen Dreck um irgendwelche Trends. „Die wollen nur spielen.“ Der Rockpalast dankt es lautstark, und wir verlassen das Venue mit der Gewissheit, dass er wieder da ist, dieser ursprüngliche Metal-Spirit, den es nicht kümmert, ob ein Gig am Samstag in einer Arena oder mitten in der Woche auf einem Acker stattfindet und man am nächsten Tag mit kleinen Augen zu Arbeit oder Schule darf. Das Erlebnis alleine zählt. Danke dafür!

Fotos & Text: Marcus Italiani