DRITTE WAHL, MASSENDEFEKT @ L.A., CHAM – 10.10.2024
Eine klasse Angelegenheit, dass Rostocks bester Punk-Export auch in der tiefen Oberpfalz haltmacht und hier quasi die Tour zur neuen Scheibe „Urlaub in der Bredouille“ einläutet. Da es noch nicht zu kalt ist um vor dem mit Herzblut unglaublich originell dekorierten L.A. Venue zu sitzen, findet sich eine bunte Mischung aus Jungpunks, Altrockern, Metallern und in Würde ergrauten Oldschool-Metalpunks bereits früh ein um sich den ein oder anderen Burger zwischen die Kiemen zu schieben.
Die Anheizer-Rolle dürfen heute MASSENDEFEKT aus NRW übernehmen. Die Männer aus Meerbusch unweit von Düsseldorf sind auch bereits seit 2001 aktiv und haben bereits neun Alben veröffentlicht. Die letzte Platte „Lass Die Hunde Warten“ konnte sich sogar kurz in die Deutsche TOP10 hieven. Wir sprechen also nicht von rohem Anarcho-Punk, sondern von eingängigem, sofort ins Blut gehendem Punk-Rock. Etwas, dass dem Tote Hosen Fan als auch der Hausfrau-Rockerbraut zu gefallen weiß. Die Band gibt sich sehr bodenständig, natürlich und hat mächtig Spaß auf der Bühne. Diese gute Laune überträgt sich auch schnell auf das Publikum. In Cham scheinen sehr viele Zuschauer die Band bisher noch nicht gekannt zu haben. Dennoch schafft es das Quartett, das Publikum von Song zu Song immer mehr aus der Reserve zu locken und auf seine Seite zu ziehen. Gewisse Mitsing-Spielchen sind vielleicht nicht jedermanns Sache, verfehlen aber direkt vor der Bühne nicht ihre Wirkung. Besonders bleiben heute der Hit `Disco` als auch `Tag Am Meer` hängen. Dass die `Bro Hymn` von Pennywise angespielt wird, kommt ebenfalls gut bei der Crowd an. Eine richtig gute Anheizershow!
Und dann dürfen endlich die Punk-Großmeister aus Rostock auf die Bühnenbretter. Nach Meinung des Rezensenten sind DRITTE WAHL heutzutage ohne Wenn und Aber die beste noch aktive Deutsche Punk-Band der ersten Generation die noch voll im Saft steht. Heute verlässt man sich allerdings nicht allzu sehr auf die großen Klassiker der Frühzeit, sondern gibt dem neuen Album mit sieben Songs im Set sehr viel Raum. Vom Opener `Wir Schießen Die Milliardäre Ins All` an sind Sound und Licht erstklassig. Die Instrumente sind gut ausgepegelt, die Gitarren braten metallisch und Gunnars unvergleichliches Brachial-Organ kommt ideal zur Geltung. Wie wichtig ebenso die Backing-Vocals von Bassist Stefan sind, konnte man während des Covid-Sitzkonzertes in München vor ein paar Jahren beobachten. Da war der gute heiser und musste sich stark zurückhalten. Heute verpasst er der Band mit seinen Shouts und übernommenen Gesangspassagen einen ordentlichen Extra-Energieschub. `Kleiner Planet` und `Störung` sind Stücke, welche Live stets eine sichere Bank sind um das Publikum aus der Reserve zu locken. Spätestens zu Panama kocht das L.A: Venue und alles und jeder geht so richtig aus sich heraus. `Zu Wahr Um Schön zu sein` schlägt anschließend nachdenklichere, ruhigere Töne an. Eine willkommene Abwechslung! Das neue Stück `Steine Im Weg` kristallisiert sich als neue Live-Granate heraus. Rotziger und Pogo-lastiger wird es anschließend mit `Edwin Aldrin` und dem Klassiker `Halt Mich Fest`. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Gründungsmitglied und Ur-Drummer Jörn „Krel“ nichts von seinem Punch und Groove eingebüßt hat. Den bisherigen Stimmungs-Peak des heutigen Abends löst dann der Übersong `Keine Zeit Für weiße Fahnen` aus. Da ist DRITTE WAHL wirklich eine Großtat gelungen, welche Cham zum überkochen bringt. Während `Zusammen` und `Das Regelt der Markt` ist mehr Zuhören als abgehen angesagt. Die Fans scheinen eine kleine Verschnaufpause zu brauchen. Immer lieber guckt man Mr. Schroeder beim solieren und Gitarren-Leads zocken auf die Finger. In dieser Disziplin hat der gute über die letzten 10-15 Jahre weiter gesteigert. Manchmal denkt das Kopfkino hier an Momente die sonst Social Distortion zu erzeugen wissen. Nach `Zum Licht Empor`, `Alles nur Chemie` und dem Altstück `So wie Ihr Seid` wird der Titeltrack der neuen Platte abgefeuert, welche außerordentlich gut ankommt. Eine Dosis Extra-Pogo und Drive verpasst uns dann noch der Klassiker `Auge um Auge`. Der Track `Was weiß ich schon von der Liebe` polarisiert wie eh und je etwas. Allerdings dürften nicht wenige zugeben müssen, sich in dem Text gut selbst wiederzufinden. `Runde um Runde` lässt sich hingegen wunderbar mitgröhlen und macht Bierdurst. Nach der Endorphin-Bombe `Zeit Bleib Stehen! ` geht das Quartett kurz von der Bühne, ehe der Zugabeblock mit dem Zivilcourage-Smasher `Greif ein` eingeläutet wird. Was für ein Riff! `Tobias` ist heute der älteste Song und einziger Repräsentant des Debüts. Pogo satt! Und natürlich kann DRITTE WAHL kein Konzert beenden, ohne den Hit `Fliegen` zu performen. Dabei steht das L.A. Venue ein weiteres Mal völlig Kopf. Wahnsinns-Stimmung! Und wenn man denkt da kommt nichts mehr, öffnet sich `Der Himmel über uns`. An dieser Stelle soll noch angemerkt werden, dass Keyboarder Holger, der sich hier und da auch mal die Gitarre umschnallt, sehr gut in das Live-Setup integriert wurde und immer wieder Soundlöcher ideal zukleistert und für zusätzliche Atmosphäre-Farbtupfer sorgt. Das heutige Betthupferl ist `Wo ist mein Preis? ` sowie `Das Publikum war heute wieder wundervoll` (Bugs Bunny!), ein Cover von Orchester Eric Frantzen und Solisten wie wir uns sagen ließen. Ein nahezu perfektes Konzert, bei dem lediglich ein bis zwei Live etwas sperrige Lieder durch schnelle Smasher wie z. B. `Plakativ` ersetzt werden könnten. Das Merchandise von DRITTE WAHL ist übrigens gut sortiert und wird im Vergleich zu mancher „Konkurrenz“ zu Preisen angeboten, bei denen dem Fan nicht zu schwindelig wird.
Text: Markus Wiesmüller
Fotos: L.A. Cham