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Drei charismatische Vertreter außergewöhnlicher Klänge feiern an einem Sonntagabend in der verschneiten bayerischen Landeshauptstadt einen ungemein stimmungsvollen Abschluss ihrer gemeinsamen Europatournee: So oder so ähnlich in aller Kürze das Resümee eines denkwürdigen Abends. Doch der Reihe nach: Während die beiden nachfolgenden Künstler Bezug auf folkloristische Tradition nehmen, stellt dies lediglich ein Element im reichhaltigen Sound der Italienerin LILI REFRAIN dar. Gitarre, Loop-Effekte und die zwar gewöhnungsbedürftige, aber durchaus originelle Stimme der Dame sorgen für erheblichen Wiedererkennungswert. Dies hat die Römerin jüngst erst auf ihrem aktuellen Album „Mana“ unter Beweis gestellt, dessen Songs einen Großteil der Setlist an diesem Abend ausfüllen. In vorgefertigte Genre-Schubladen lässt sich das, was Refrain von sich gibt, nicht packen. Sicherlich ist da aufgrund der Rückbesinnung auf Mythen und Musik Sardiniens ein gewisser folkloristischer Ansatz erkennbar. Dennoch verfällt die Südeuropäerin nie in spezifische Schemata, sondern entzieht sich jedweden Vergleichsmöglichkeiten. Lilis ungemeines Geschick, mit Hilfe der Looptechnik originelle Experimental-Musik zu erschaffen, wird an diesem Abend überdeutlich. Und selbst wenn Refrains Klänge im Vergleich zu dem was folgt ein bisschen aus der Art schlagen, ist man den Tournee-Veranstaltern doch unendlich dankbar, keinen Opener zum bloßen Verheizen auserkoren zu haben, sondern eine ambitionierte Künstlerin, welche in musikalischer Hinsicht vollauf überzeugt und deren Auftritt die frühe Anreise allemal mehr als rechtfertigt.

Dafür dass aufgrund der winterlichen Verhältnisse auf den Straßen sowie vor allen Dingen dem Parkplatz vor der Veranstaltungshalle ein Großteil des Publikums erst zur Show von EIVØR PÁLSDÓTTIR eintreffen, kann man niemanden verantwortlich machen, das ist höhere Gewalt und leider zu akzeptieren. Die erwähnte färöische Künstlerin bildet indes mit ihrem aufs Wesentliche reduzierten Auftritt einen passenden Kontrast zur überbordenden, alle Sinne berauschenden Ritual-Performance des Headliners. Nur mit einem Mitstreiter, der für Samples und Tastenklänge verantwortlich zeichnet, zeigt sich Eivør auf der Bühne. Angesichts der Hallengröße sowie des Restprogramms dieses Sonntagabends konzentriert sich Pálsdóttir auf Percussion und verzerrte Gitarrenklänge. Heimelige Akustik-Folk-Klänge dürften in einem intimeren Kontext vermutlich weitaus besser zur Geltung kommen. Ihrem Sechssaiter entlockt die Nordeuropäerin eher minimalistisch anmutende Klänge, deren Sounds beständig verändert und bestens auf das jeweilige Stück abgestimmt werden. Und dann wäre da natürlich nicht zuletzt die unvergleichliche, elfengleiche Stimme der Dame: Gekonnt und mit einer verblüffenden Leichtigkeit wechselt Eivør zwischen tiefen und hohen Tönen, legt immens viel Gefühl in die ungemein eingängigen, tiefdringenden Songs. Beim mörderisch groovenden Hit 'Í Tokuni' verlagert sich Pálsdóttir auf lautmalerische Beschwörungsformeln, welche beim Hörer Zweifel aufkommen lassen, ob die auftretenden Gänsehautschauer nun von der draußen vorherrschenden Kälte oder der Musik herrühren. Vermutlich ist eher Letzteres der Fall. Sympathisch, fast schüchtern wirken die Ansagen zwischen den Songs und nicht Wenige überzeugt Eivør durch ihre natürliche, ungekünstelte Art. Das überragende, eingängige 'Trøllabundin' markiert dann auch bereits das Ende einer wahrhaft beseelten, exzellenten Performance, die viel zu schnell vorüber ist. Die Show macht auf jeden Fall absolut Lust auf mehr, vielleicht auf einen Abend in einer kleineren Location, wo die Künstlerin aus dem Färöer 400-Seelen-Örtchen Syðrugøta dann mehr Spielzeit zur Verfügung hat. Eine großartige, einzigartige Künstlerin und wohl eine der größten Folk-Musikerinnen unserer Zeit!

Wie bereits angeklungen, bietet der Auftritt von HEILUNG im Folgenden dann (selbstverständlich) ein komplett anderes Bild: Das heidnische Ritual gleicht einem Feuerwerk für Augen und Gehör, sodass die meisten Anwesenden gebannt gen Bühne schauen, um sich von der Stimmung komplett einfangen zu lassen. Und die Show des deutsch-dänisch-norwegischen Ensembles hat es auch in sich, alles wirkt akribisch aufeinander abgestimmt und atmet dennoch den Hauch eines uralten, wilden Rituals. Wenn Schwert- und Schildträger einmarschieren, die beiden führenden SchamanInnen Kai Uwe Faust und Maria Franz ihre Beschwörungsformeln intonieren oder die beiden Percussionisten wie besessen ihre Instrumente bedienen, fühlt man sich in eine andere Welt, an einen anderen Ort, eine andere Zeit versetzt. Natürlich stellt HEILUNG in erster Linie eine (populärmusikalische) Interpretation von Überlieferungen aus dem frühmittelalterlichen Nordeuropa dar. Dennoch gelingt dies dem Künstlerkonglomerat auf ungemein authentisch anmutende Art und Weise, so dass nachvollziehbar wird, weshalb die streng genommen noch relativ junge Formation zuweilen auf großen Festivals Headliner-Positionen innehat. Angefangen bei der stimmungsvollen Ausstaffierung der Bühne, über die jederzeit passende Licht-Inszenierung bis hin zum formidablen, homogen wirkenden Sound vermögen HEILUNG die Anwesenden über alle Maßen zu begeistern. Sänger, Instrumentalisten sowie Performances sind akribisch aufeinander abgestimmt. Dabei scheint es schwer zu sein, neue Elemente in das heidnische Ritual, das sich auf der Bühne abspielt, zu integrieren: Lediglich die Stücke 'Asja' und 'Anoana' der in diesem Jahr erschienenen Platte „Drif“ wurden ins Gesamtkonzept aufgenommen.

Ansonsten speist sich ein Großteil der Setlist aus Stücken des Zweitwerks 'Futha', aber auch vom Debüt finden sich insbesondere zu Beginn der Show so manche Perlen darin wieder. Trotz des durch und durch professionellen Charakters der Darbietung scheinen die Protagonisten getreu der heidnisch-wilden Tradition auch ihren Emotionen freien Lauf zu lassen, um eine Art Katharsis zu durchleben. Dies gipfelt freilich in dem von eindringlichen Beats begleiteten 'Hamrer Hippyer' zum Schluss des Auftritts, bei dem sich noch mal sämtliche Personen auf der Bühne in einem ausgelassenen, ausufernden Tanz endgültig der Ekstase hingeben. Nach und nach erst scheinen sich nach diesem atemberaubenden Finale Furioso die Protagonisten wieder zu fangen, es wird einmal mehr in der Mitte der Bühne ein Kreis gebildet, die letzten Töne verklingen. Kurz wendet sich das Künstlerkollektiv dem Publikum zu und genießt den tosenden Applaus, bis wieder die Kreisposition eingenommen wird und diese außergewöhnliche Darbietung einen leisen, stillen Ausklang findet. Die Show scheint wieder an ihrem Ausgangspunkt angekommen, welcher zu Beginn noch von Vogelgezwitscher begleitet war. Insofern schließt sich hier ein Kreis, Symbol für die Jahreszeiten, für das Unendliche oder die ewige Wiederkehr. Was dazwischen war, wirkt nun im Nachhinein wie ein wilder Traum des Vergangenen, wie ein rauschendes Fest des Todes, der Liebe und des Lebens. Ein großartiger, unvergesslicher Abend findet so sein gebührendes Ende!