Hatte die russische Armee bis zur Schlacht von Napue keine systematischen Gräueltaten verübt, begannen sie nun Zivilisten in ganz Westfinnland auszurauben, zu vergewaltigen, zu versklaven, zu foltern und zu ermorden. Kaufleute und andere wohlhabende Leute beschlossen daher, nach Schweden zu fliehen.
Ende September 1714 ruderten Hunderte von ihnen entlang der Küste, russische Kriegsschiffe vermeidend, um auf der Insel Hailuoto Rast zu machen. Den Russen jedoch blieb dies nicht verborgen; in der Nacht landeten russische Kosaken heimlich auf der Insel und metzelten bis zu 800 wehrlose Flüchtlinge nieder. Obwohl eigentlich als Völkermord einzuordnen, war das Massaker kaum ethnisch motiviert: die Kosaken wollten die wohlhabenden Kaufleute einfach ausplündern.
Basierend auf diesen schrecklichen Ereignissen haben wir den Texter Steven Parham gebeten, möglichst menschenverachtende und angsterregende Worte zu schaffen. Wir finden, das ist ihm sehr gut gelungen: Wir alle in DMB fühlen uns beim Lesen des Textes gründlich angeekelt!
So beschreibt Steven die Entstehung:
„Diese Lyrics zu schreiben war einschüchternd, sowohl wegen des Themas als auch weil ich das Gefühl hatte, dass beim Schreiben über finnische Geschichte als Nicht-Finne besondere Vorsicht geboten ist.
Sowohl Istanbul als auch Belgrad – die beiden Städte, in denen ich die Texte des gesamten Albums konzipiert habe – sind Orte, an denen Außenstehende es sich zum Brauch gemacht haben, lokale Katastrophen für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. An der Südspitze der anatolischen Viertel Istanbuls sitzend, suchte ich nach zeitgenössischen Geschehnissen, die mir Zugang zu dem geben könnten, was die 800 in Hailuoto abgeschlachteten Menschen in ihren letzten Momenten des Verrats gedacht haben könnten.
Ich starrte auf die Prinzeninseln direkt vor der Küste im Marmarameer, früher von den Osmanen und der frühen Republik zur Unterbringung von Gefangenen genutzt: Kinder der osmanischen Herrscher wurden dort festgehalten, ebenso wie Leo Trotzki nach seiner Flucht aus der Sowjetunion. Weiter westlich, um die Spitze Griechenlands und den Peloponnes herum, werden heute kleine Inseln benutzt, Kriegs- und Katastrophenflüchtlinge aus Syrien und weiter weg zu beherbergen. Auch wenn es nicht (ganz) deren Schicksal sein soll, im Schlaf massakriert zu werden, müssen die kargen Inselchen, auf denen sie in Europa ankommen, Orte sein, die zwar – ähnlich den finnischen Flüchtlingen von 1714 – vorübergehende Erholung versprochen hatten, aber schnell zu Friedhöfen ihrer Zukunft geworden sind.
Meiner Meinung nach ist dies so menschenverachtend wie nur möglich, und ich hoffe, dass mein gewalttätiger Text nicht als Appropriation, sondern als Approximation verstanden wird. Die kolossale Geschwindigkeit des Tracks und die abgehackten Lyrics, im letzten Vers auf halbe Geschwindigkeit reduziert und das anklagende Geheul von Matti Piipponens weiblicher Verwandtschaft einbeziehend, veranschaulicht die Verderbtheit, zu welcher der Engel des Schlachtens sich herabließ, um während des Großen Nordischen Krieges ihr Gemetzel zu entfesseln.“
Unsere Hexe aus ‚Where We Dwell‘ ist mit ihrem Zauberspruch gescheitert, Murhanenkeli bestimmt unerbittlich über den Untergang der Überlebenden, die ihre Dörfer zum Verbrennen verlassen haben. Die Kakophonie der Schreie der Opfer von Hailuoto wird niemals sterben, egal wie heftig der Wind im Winter über dieses Meer weht.
Für diejenigen unter euch, die in Finnland leben und Finnisch sprechen: Dr. Teemu Keskisarja hat eine interessante Fernsehdokumentation über das Massaker von Hailuoto gedreht:
https://yle.fi/aihe/artikkeli/2015/12/09/pimea-historia-viimeisella-rannalla
Ins Deutsche von Emanuel Schwarz (