„Lyrics über die finnische Natur zu schreiben ist ein bisschen heikel und bewegt sich immer am Rande des Klischees, insbesondere im Melodic Death Metal. Für mich, einen Fremden, der seit jetzt über einem Jahrzehnt im Land der 100‘000 Seen wohnt, sind die Jahreszeiten unnachgiebig in ihrer Berechenbarkeit und harsch fürs Gemüt. Die Natur Finnlands muss der schlimmste Feind gewesen sein für eine Armee, in der Plagen und Frost mehr Männer forderten als jeder menschliche Gegner; sie ist von sich aus schon unwirtlich. Für diejenigen, die ihren Launen unterworfen sind, lebt der Mordengel in jedem einzelnen Moor und Wald – und ist nicht menschlich.“
Zu Zeiten des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) waren bei den Fußsoldaten Hunger und Erschöpfung Alltag, und Krankheiten grassierten. Auch das kalte Klima der finnischen und russischen Front forderte seinen Zoll, weil die Soldaten oft keine anständige Kleidung besaßen. Mikroben kannte man noch nicht, und so unterschiedliche Krankheiten wie Typhus, Ruhr und Schwindsucht wurden kollektiv als „Feldkrankheit“ bezeichnet. Es galt als normal, dass zu jeder Zeit mindestens 10% der Truppen krank waren – und nicht mit bisschen Husten und Schnupfen, sondern nahe dem Delirium.
Zusätzlich zu seinen eigenen Erfahrungen in Finnland und dem historischen Kontext, erklärt von Dr. Keskisarja in dessen Buch Murhanenkeli (‚Mordengel‘), ließ sich Steven im Schreibprozess auch vom ottomanischen Reich inspirieren:
„Dies war der erste Text, den ich für DMB schrieb, und auch die erste Demo des entstehenden Albums, die ich hörte. Beschränkt auf nichts außer Drums, Gitarrenriffs und unsinniges Kauderwelsch, um mir eine Vorstellung zu geben, wie viel Text benötigt würde, saß ich in einer heruntergekommenen Extreme Metal Bar im Zentrum Istanbuls und zagte. Die Melodien aus Finnland bissen sich mit den engen, verschwitzten Gassen der früheren Hauptstadt des alten Ottomanischen Reiches. Das byzantine Konstantinopel war fern der frischen Wälder und Seen Fennoskandiens – ein Album über den Großen Nordischen Krieg zwischen Schweden und Russland an den Ufern des Bosporus zu konzipieren schien…frevlerisch.
Eine Story war vonnöten, und als ich am Rand des Goldenen Horns saß, entdeckte ich die Verbindung zwischen der Aussicht vor mir und der Vision der Band in ihrem Studio in den Wäldern Kareliens: Imperium. Imperium, erzählt von seinen Untertanen, erlebt durch das Klirren des Krieges und der Plage des Wandels. Imperium, angetrieben von einem Mordengel, der eifersüchtig alle Musik niederschmetterte, die es mit seinen eigenen, schrecklichen Balladen aufnehmen wollte.
Die repetitive Natur der Versstruktur in diesem Song veranschaulicht die Trostlosigkeit der finnischen Jahreszeiten, und „Murktide“ war mein Versuch, die geschätzten Landschaften der moorverseuchten Subarktis ins Herz eines anderen Reiches zu führen…eines Reiches, dessen Herz die wertvollste Beute sowohl für Kreuzritter aus dem Abendland wie Türken aus der Steppe bedeutete. Auch Byzanz und das Ottomanische Reich, beide beherrscht von Konstantinopel/Istanbul aus, waren durstige, von Blut durchtränkte und mit Knochen übersäte Länder, doch die Natur selbst war nie der Feind: Sich ablösende Eroberer des Bosporus mussten nie die schiere Feindseligkeit des Wetters fürchten. Schweden und Russen hatten in ihren jahrhundertelangen Konflikten in Finnland einfach nicht so viel Glück.“
Wahrlich, die treuen Frauen und Männer dieses Landes können sich der Unausweichlichkeit der schrecklichen, furchterregenden Sonne weder in ihrer Gegenwart noch in ihrer Abwesenheit entziehen. Hier ist Murhanenkeli in der Tat hart, unversöhnlich und gefühllos. In den Seengebieten Finnlands gedeiht Mord sowohl in der Düsterkeit des Winters als auch in den Tagen des Untodes im Sommer.
Ins Deutsche von Emanuel Schwarz (