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Kreuzfahrten waren vor ein paar hundert Jahren schon mal im Trend, zum Nachteil der jeweiligen Ureinwohner der eroberten Länder. Heute ist das Kreuzfahren wieder im Trend, nun zum Nachteil des Klimas und des Geldbeutels. Und vor allem zum Nachteil von Cille, die ihren 18. Geburtstag mit ihrer Mutter und Freundin Lea an Bord einer schwimmenden Stadt in der Karibik feiern will. Das erwartbare, ausgelassene Spektakel entpuppt sich aber sehr bald als ein Albtraum auf hoher See. 

Dass etwas schieflaufen wird, merkt man in den ersten paar Sekunden. Man sieht: Eine ältere Frau, mit nassen Haaren, wirbelt angsterfüllt zur Kamera herum. Alles ist in Rot getaucht. Warum? 

Perspektivwechsel. Ein riesiges Schiff liegt hell erleuchtet in Miami vor Anker. Gleich geht’s los. Das Urlaubsfeeling ist zum Greifen nah. Nanna, Cille und Lea sprudeln über vor Freunde und beziehen ihre winzige Kabine. Zum 18. Geburtstag soll die Distanz zwischen Mutter und Tochter mit einem Urlaub wieder aufgelöst werden. Cille wuchs bei ihrem Vater auf. Dass Nanna das Haus verließ, hat die Tochter nie ganz verwunden. Es deutet sich an, dass häusliche Gewalt eine gewichtige Rolle im Elternhaus gespielt hat. 

Das ist erst mal Schnee von gestern. Denn die drei Däninnen lassen es in der Geburtstagsnacht gewaltig krachen. Viel Alkohol wird fließen, obwohl es erst ab einem Alter von 21 etwas geben dürfte. Für Nanna ist das kein überwindbares Hindernis, um ihrer Tochter die tollste Nacht ihres Lebens zu bescheren. Sie erkennt sich in Cille wieder. Aber in dieser schicksalhaften Nacht wird sich der Weg der drei trennen. Nanna vergnügt sich mit einem Mitarbeiter des Schiffs: mit Alkohol und einem Joint. Kein Sex. In der Kabine trifft sie die schlafende Lea an, die sie für Cille hält. Die andere ist wohl noch unterwegs, denn die beiden Freundinnen hatten zuvor ein Auge auf eine Gruppe um den Noch-Junggesellen Kevin geworfen. 

Später klopft eine Servicekraft, die behauptet, Nannas Tochter auf dem Oberdeck angetroffen zu haben. Sie führt sie zu ihr. Cille ist verwirrt, betrunken, völlig weggetreten und hat Gedächtnislücken. Nanna findet zudem den zerfetzten Slip der jungen Frau. Die Hinweise erhärten sich, sie wurde vergewaltigt. Beim Schiffsarzt werden die Beweise gesichert. Die Krux an der Sache, sie sind in internationalen Gewässern, keine Polizei der Welt ist hier für irgendetwas zuständig, auch nicht für Ermittlungen. Das geht erst in einem Hafen. Der Vergewaltiger ist noch an Bord, wie auch das Opfer. Naheliegend: Draufgänger Kevin hat Cille als Letztes vor der schicksalhaften Nacht gesehen. Die Zeit drängt. Ein Hurrikan naht. Wenn das Schiff anlegt, ist der Täter mit Sicherheit verschwunden, bevor die Untersuchungen starten. Die Mutter, selbst ein früheres Opfer von Gewalt, ermittelt, obwohl ihre Tochter die Misshandlung negiert und verdrängt … 

Der Urlaubstraum, der sich in einen Albtraum verwandelt, hat eine lange cineastische Tradition. Man denke nur an „The Beach“ mit dem jungen Leonardo DiCaprio, „Cast Away“ oder jüngst die rabiate Satire „Triangle Of Sadness“, um nur wenige Beispiele zu nennen. Während sich viele Regisseure auf die schöne Umgebung und die unschöne Tat beziehungsweise das Elend stürzen, interessiert sich BIRTHDAY-GIRL-Macher Michael Noer weniger für den Vergewaltigungsakt an sich (zum Glück?) als viel mehr für die kaputte Mutter-Tochter-Beziehung. Cille wirft Nanna vor, ihren Vater verlassen und damit die scheinbar funktionstüchtige Familie zerstört zu haben. Eine Analogie ist Cilles eifersüchtiger Freund, der ab und an anruft. Man merkt, es scheint mit diesem Vertrauensverhältnis nicht zum Besten zu stehen. Nanna versucht, die Gräben zwischen ihr und Cille zu kitten. Sie zeigt sich von ihrer coolen Mutter-Seite und ermöglicht ihrer Tochter den Zugriff auf Alkohol, der ihr nach amerikanischem Recht eigentlich noch verwehrt bleiben würde. 

Ein feministischer Film mit starken Frauen, die unter der toxisch-übergriffigen Männlichkeit leiden. Sie befreien und emanzipieren sich, gehen ihren Weg, mag er noch so radikal sein. Sehenswert! MARCUS CISLAK


MARCUS CISLAK     

Titel: BIRTHDAY GIRL

Land/Jahr: Dänemark 2023
Label: PLAION PICTURES

FSK & Laufzeit: ab 16, ca. 90 Min.
Verkaufsstart: veröffentlicht