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DARK TRANQUILLITY, MOONSPELL, WOLFHEART @ Meet Factory (Prag), 01.11.2024

Kaffee. Das aromatische Getränk hat seine eigene Kultur in Prag. Beinahe an jeder Ecke finden sich kleine Kaffee-Läden mit teils ungewöhnlichem Ambiente, die das leckere braune Gebräu anbieten und zum Verweilen einladen. Ob umgebaute Überseecontainer, altes Stromhäuschen im Hinterhof, Bretterbude im Lost-Place-Style oder einfach nur ein kleiner Mini-Laden, überall lockt die kleine Pause für ein paar Kronen. Ein Stückchen Kuchen oder Cookie hat die jeweilige Bude meist auch noch im Angebot. Zum Abend hin gibt sich die tschechische Hauptstadt eher modisch elegant, Einheimische schlüpfen für den Bar-Besuch bei Schwarzbier und Geselligkeit gern in den edleren Zwirn. Vor der Silhouette der wunderschön verzierten Gründerzeit-Bauten versprühen die vor den Türen der Bars rauchenden Leute im Licht der schummerigen Laternen gar ein wenig Zwanzigerjahre-Ambiente.

Hiraes Spass Inne Backen

Der Kontrast auf dem Weg zum Veranstaltungsort MeetFactory könnte dann größer nicht sein: Links Autobahn, rechts Bahngelände mit verfallenden Bauten und Lokomotivfriedhof, Gebüsch wächst über die Gehwege. Der Laden, der neben Konzert-Location auch Kunstgalerie, Theater und Atelier ist meldet „Ausverkauft!“ und ist gut gefüllt, als HIRAES nach kurzem Intro auf die Bühne steigen und die ihnen gegebene halbe Stunde mit Stücken wie 'We Owe No One', 'Under Fire', 'Trough The Storm' oder 'Undercurrent' im Flug vorübergehen lassen. Sängerin Britta ist natürlich der Blickfang der Truppe und gestikuliert sich durch ihre Lyrics – als sie jedoch nach dem zweiten Stück merkt, wie sehr das Publikum HIRAES feiert, setzt sich in ihrem Gesicht ein Dauergrinsen fest, das sie den ganzen Abend nicht mehr loswerden soll. Kuriosum am Rande: Da alle Bands eigene Drumkits mit auf Tour haben, wird Schlagzeuger Matthias an den linken Bühnenrand hinter einen Pfeiler verbannt. Unsichtbar für viele Zuschauer in der Halle und für die Band auch sichtlich ungewohnt. Die Halle ist mit etwa 800 Leuten kuschelig gefüllt und es besteht kein Zweifel, die Versorgung mit Frischluft ist Achillesferse der Location. WOLFHEART legen dann nach kurzer Umbaupause mit 'Strength And Valor' los und limitieren den ohnehin sehr knappen Platz auf der Bühne durch mönströse Geweih-Mikroständer beachtlich, was die Instrumentalfraktion allerdings nicht davon abhält, wild headbangend über die verbleibenden Quadratmeter zu toben. Spätestens als ein Fan aus dem Publikum lautstark nach 'Burning Sky' vom neuen Album „Draconian Darkness“ verlangt, dürfte die Horde aus Finnland wissen, dass ihr melancholisch-melodischer Pagan Death-Sound in Tschechien eine kleine aber textsichere Fanbase hat, was Frontmann Tuomas Saukkonen ebenso sichtbar gefällt. 'The Hunt' entfesselt dann sogar noch einen Mospit. Es folgen noch 'Evenfall' und The King', bevor das Konzert mit 'Grave' einen Abschluss findet. Langanhaltender Applaus für WOLFHEART.

Wolfheart Smiling I


Da die Tour in Tschechien nur für den einen Termin in Prag Halt macht, haben viele Besucher aus dem ganzen Land den Weg auf sich genommen, um dieses Package sehen zu können, wie mir Marcela erzählt, die auf der Empore neben mir steht und selbst fast zweieinhalb Stunden bis in die Hauptstadt gefahren ist und nun auf ihre Lieblingsband MOONSPELL wartet. Als das Hallenlicht erlischt, das 'Perverse ...Almost Religious'-Intro ertönt und MOONSPELL mit 'Opium' und 'Awake!' gleich zu Beginn zwei Songs vom 1996er Überflieger-Album „Irreligious“ zum Besten geben, ist das versammelte Volk nicht mehr zu halten. Fäuste werden in die Luft gereckt, Haare fliegen umher, es wird mitgesungen, manche tanzen sogar auf engstem Raum. In der kommenden Stunde zelebrieren sich Leitvampir Fernando und seine Truppe durch alle Schaffensperioden der portugiesischen Kapelle. Es folgen 'Extinct', 'Night Eternal', 'Finisterra' vom „Memorial“-Album. Fernando mag in die Jahre gekommen sein, ein grauer Schleier zieht sich durch sein Haar, aber der theatralische, dunkle Entertainer, der gestikulierende und stark durch seine Mimik lebende Dämon hat sein Handwerk mitnichten verlernt und so ernten seine Gesten und Bewegungen an diesem Abend desöfteren Szenenapplaus. Wieso man genau zum ersten November nicht den gleichnamigen Song und auch sonst garnichts vom „1755“-Album spielt, wird wohl ewig das Geheimnis der Band bleiben. Vom letzten Album „Hermitage“ gibt's auch nichts zu hören. Nach 'Abysmo' von „Pecado – Sin“, 'Nocturna' und 'Breathe (Until We Are No More)' von „Extinct“ biegen MOONSPELL auf die Zielgerade ein und treiben die Temperatur in der MeetFactory nochmals mit 'Alma Mater' und 'Full Moon Madness' in die Höhe. Eigentlich wünscht man sich passend zur Spannung und Theatralik in der Musik der Band ein Finale mit hingeworfenem Mikrofonständer und Musikern, die als Schatten in rotem Nebel verschwinden. Stattdessen gibt es ein gemeinsames Foto mit dem begeisterten Publikum, welches auch noch alle verfügbaren Setlist-Zettel, Drumsticks und Plektren von der Band geschenkt bekommt.

Moonspell Embrace

Der Schweiß tropft von der Decke und so werden alle Türen und die Notausgänge aufgerissen um frische Luft in die Halle zu lassen. ,The Last Imagination' ist dann der Eröffnungssong von DARK TRANQUILLITY, die auf der Tour zum neuen Album „Endtime Signals“ dann eine Lichtkonstruktion auffahren, die von hinter der Bühne aus aufgebaut ist und grell und farbintensiv sind wohl die passenden Vokabeln um die Show der Göteborger Ausnahmeformation zu beschreiben. Links und rechts an der Rückwand befinden sich zwei Bildschirme, die Ausschnitte aus Albumcovers, Worte oder Logos passend zu den jeweiligen Songs zeigen und zusammen mit der grellen Beleuchtung dafür sorgen, das die Musiker die den Weg an die Bühnenkanten wagen, dort nur als Schatten zu sehen sind. Im Scherenschnitt-Stil quasi. Die Halle ist voll und bereits nach dem Kracher 'Nothing To No One' ist klar: Prag feiert DARK TRANQUILLITY nach allen Regeln der Kunst ab, wieder wird zwischen den fliegenden Haaren getanzt und so bekommen Songs wie 'Wayward Eyes', 'Hours Passed In Exile' oder 'The Dark Unbroken' eine Menge Applaus. Mikael Stanne ist auf der Bühne in seiner Welt, er gestikuliert beim Singen, malt Quadrate in die Luft, hält sich die Finger vor die Augen und ist ständig in Bewegung – schaltet binnen Sekunden von Klargesang in den Growlmodus und hat das Honigkuchenpferd-Grinsen im Gesicht, das er immer dann nicht verbergen kann oder will, wenn ein Auftritt für DARK TRANQUILLITY richtig gut läuft. Jedoch steht auch einem alten Hasen wie ihm die vollkommene Überraschung ins Gesicht geschrieben, als er den Song 'Final Resistance' ankündigen will, ihm damit aber jemand im Publikum lautstark zuvorkommt. Die Reaktionen seitens der Zuschauer auf genau diesen Song legen in den Musikern dann den Schalter um, der weitere Energie freisetzt. Was das Gitarristenduo Reinholdz und Thorpenberg daraufhin mit Riffs und Melodien anstellt, ist kaum in Worte fassbar. Ebenso erfreuend ist es, Bassist Christian Jansson auf der Tour zu sehen, der 2018 einen schweren Fahrradunfall hatte, lange im Krankenhaus liegen musste und um Haaresbreite an einer Amputation seines Beines vorbeigeschrammt ist. Er hält sich zwar meist im Hintergrund, macht aber dennoch konstant seine Wege auf der Bühne und taucht gern als Bass spielender Schatten in der Scherenschnitt-Zone auf, Leinwand und grelle Farben in seinem Rücken, während sein Spiel nach vorne raus in sehr angenehmer Lautstärke dazu beiträgt, dass Songs wie 'Atoma', 'Shivers And Voids' und 'Our Disconnect' die volle Wirkung entfalten können. Irgendwann ist der reguläre Teil des Gigs beendet, aber die Stadt an der Moldau will mehr. 'The Wonders At Your Feet', 'Lost To Apathy' und 'Misery's Crown' gibt es noch als Zugaben, dann ist Feierabend und einige Hundert Leute strömen in die kalte Nacht.

Dark Tranquillity Action

Und obwohl es gerade mal um Mitternacht ist, ist der öffentliche Nahverkehr in Prag schon im Ruhe-Modus, im Stadtteil Smíchov am großen Verkehrsknotenpunkt Anděl ist sogar schon die letzte Metro gefahren. Was dann kommt, ist ebenso abenteuerlich wie tschechisch elegant. In einer uralten, ziemlich kleinen Nacht-Straßenbahn werden sowohl Bar-Gänger in nobler Robe als auch verschwitzte und glückliche Metalheads nebst vielen anderen Kreaturen der Nacht in dieses Gefährt aus Sozialismus-Tagen gestopft und in atemberaubend schneller und äußerst rumpeliger Fahrt mit abruptem Zwangshalt mitten auf dem nachts majestätisch beleuchteten Wenzelsplatz quer durch die Stadt der tausend Türme wenigstens in die Nähe ihrer jeweiligen Destinationen gefahren. Immer wieder gerne, Prag ist eine Reise wert!

Fotos & Text: Wedekind Gisbertson